Höchste Aufmerksamkeit beim SAP-Outsourcing

Von der Vertragsgestaltung hängt der Projekterfolg ab

25.09.1992

Wilfried Heinrich ist freier Journalist mit Spezialgebiet Outsourcing in Köln

Die Inanspruchnahme von SAP-Dienstleistungen gehört zu den gängigsten Formen des Outsourcing und verzeichnet kräftige Wachstumsraten. Einige Anbieter haben sich inzwischen auf solche Leistungen spezialisiert. Trotz diverser Vorteile, weisen diese Projekte nach Ansicht von Wilfried Heinrich eine deutliche Schwachstelle auf: die Vertragestaltung.

Ein Vergleich von Verträgen und Angeboten unterschiedlicher Anbieter zeigt eine Reihe von Schwächen in den Leistungsabsprachen. Entweder bleiben Regelungen unklar definiert und relevante Aspekte der Zusammenarbeit unberücksichtigt, oder bestimmte Abmachungen führen zu einer einseitigen Risikoverlagerung.

Ursache der in manchen Fällen unzureichenden, in anderen Fällen für den Anwender ungünstigen Vertragsbestimmungen ist wohl weniger böse Absicht als vielmehr die noch geringe Erfahrung auf beiden Seiten. Der Anwender hat aufgrund des noch recht kleinen Anbieterkreises nur begrenzte Vergleichsmöglichkeiten. Zudem wird bei der Vertragsgestaltung für die externe Realisierung operativer Leistungen Neuland betreten.

Auch die Outsourcing-Anbieter bewegen sich auf relativ neuem Terrain: Weil der Wettbewerb als wichtiges Korrektiv noch schwach ist und die Anwender ihre Position aufgrund fehlender Erfahrungen nur schwer artikulieren können, neigen die Dienstleister dazu, ihr eigenes Selbstverständnis in den Vordergrund zu rücken.

Auf diese Weise ist eine Situation entstanden, die keinen ausreichenden Interessensausgleich zwischen Service-Anbietern und Kunden bietet. Dieser unbefriedigende Zustand hat sich auf die Qualität der bisherigen Outsourcing-Verträge niedergeschlagen. Entsprechend fordert zum Beispiel die Orga GmbH Musterverträge (siehe CW Nr. 26 vom 26. Juni 1992, Seite 11, "Outsourcing-Kunden sollen Orientierungshilfe erhalten"), und auch der Bundesverband der Unternehmensberater (BDU) will sich dieses Themas annehmen.

Die Untersuchung zahlreicher Vertrags- und Angebotsunterlagen zeigt: Die Leistungsvereinbarungen in sehr vielen SAP-Serviceverträgen beinhalten aus Anwendersicht eine Reihe teilweise gravierender Schwächen. Deshalb sucht der Kunde nach Kriterien und Entscheidungshilfen, um sich gegen das Risiko einseitiger oder unvollständiger Regelungen zu wappnen. In diesem Sinne möchte ich im folgenden zehn Ratschläge zur Vertragsoptimierung geben.

1. Festpreisvereinbarungen können zu wirtschaftlichen Nachteilen führen.

Wenn Fixkosten häufig als Vorteil des Outsourcing verstanden werden, so scheint zumindest im Falle SAP eine ganz wesentliche Fehleinschätzung vorzuliegen. Vergleiche in der Praxis zeigen, daß Pauschalpreise gegenüber der variablen Leistungsberechnung fast immer Kostennachteile von durchschnittlich 20 Prozent bringen.

Dies hängt im wesentlichen damit zusammen, daß nach einer SAP-Implementierung die Leistungsabnahme zunächst relativ gering ist und dann kontinuierlich ansteigt. Bei leistungsabhängigen Berechnungen entwickeln sich die Kosten analog zu diesem Nutzungsgrad. Sind jedoch pauschalierte Preise vereinbart, ist bereits nach der Einführung der vollständige Monatsbetrag zu entrichten. Darüber hinaus wird der Anwender mit Fixpreisregelungen auch bei Systemausfällen zur Kasse gebeten. Eine solch absurde Situation kann bei einem variablen Berechnungsmodell nicht entstehen.

Auch bietet mit Blick auf die Downsizing-Diskussion eine leistungsabhängige Berechnung Chancen zu Einsparungen, weil Anwendungen durch Download auf PCs verarbeitet werden können und damit eine kostenwirksame Entlastung der CPU-Ressourcen entsteht.

Noch ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang relevant: Obgleich der Anwender mit Pauschalpreisen fest kalkulierbare Größen erhält, muß er mit Nachteilen leben, da ihm Steuerungselemente verlorengehen. Denn ein kostenunabhängiges Nutzungsverhalten führt nach allgemeinen Erfahrungen zu einer relativ unkontrollierten Volumensteigerung, die bei Ablauf des Festpreiszeitraumes zu überraschend hohen Preisanpassungen führen kann.

2. Release-Wechsel sollten kostenloser Bestandteil der Leistungsvereinbarungen sein

Wenn Outsourcing-Befürworter den Innovationsaspekt ins Feld führen, dann heißt dies im Zusammenhang mit SAP-Services vor allem Putlevel- und Release-Wechsel. Diese Leistungen sollten mit den Nutzungs- und Wartungsgebühren abgedeckt sein und zu den generellen Pflichten eines Outsourcers gehören.

Mehrheitlich sehen die analysierten Verträge beziehungsweise Angebote solche Regelungen auch vor, doch nicht für alle Anbieter ist diese kostenlose Zusatzleistung selbstverständlich. Immerhin verschlingen Release-Wechsel recht schnell einen sechsstelligen Betrag, der dann dem Anwender aufgebürdet wird.

Unabhängig von finanziellen Gesichtspunkten sind im Rahmen des Projektplans genaue Absprachen über Release-Wechsel erforderlich. Kann der Anbieter aufgrund eigener Investitionsplanungen überhaupt im gebotenen Zeitraum neue Releases zur Verfügung stellen? An dieser Frage mißt sich die technische Stärke eines Dienstleisters. Um sie genau beurteilen zu können, muß der Anwender möglicherweise mit der SAP AG in Kontakt treten und sich über die anstehenden Releases detailliert informieren lassen.

3. R/3-Option: Den Weg in die Zukunft offen halten

Client-Server-Architekturen bieten in verschiedener Hinsicht interessante Perspektiven für eine Neugestaltung der DV-Struktur. Dazu gehören die wesentlich flexibleren Anwendungen und deren einfachere Integration in die immer schlanker werdenden Organisationen. Außerdem entstehen Vorteile beim Investitionsaufwand und den laufenden Kosten.

Der Anwender muß sich deshalb fragen, ob er mittelfristig an einem Host-orientierten Konzept und der SAP-Software R/2 festhalten will oder ob er sich in den nächsten Jahren für eine Abkehr von der zentralistischen Mainframe-Kultur entscheiden wird. Dann nämlich würde R/3 für ihn interessant. Er sollte die Partnerschaft zu einem Dienstleister suchen, der ihm diese Option bieten kann.

4. Die Betreuung genau definieren

Widerstände gegen die DV-Auslagerung werden insbesondere mit der Furcht vor Abhängigkeit begründet. Tatsächlich können hier Risiken liegen, wenn die Leistungs- und Betreuungsregelungen nicht eindeutig definiert sind. Die meisten Verträge belassen es in der Frage des Services bei lapidaren Aussagen. Diese können für den Anwender vor allem dann zum Fallstrick werden, wenn der Dienstleister - beispielsweise durch großes Engagement im Markt - die Personalressourcen nicht im notwendigen Umfang bereitstellen kann oder wenn sich die Kundenpräferenzen ändern.

Zur Vermeidung einer einseitigen Vertragsauslegung bedarf es deshalb einer konkreten und praxisnahen Beschreibung der Betreuungspflichten. Sie könnte in Form eines Pflichtenheftes erfolgen, in dem die Inhalte - insbesondere Qualitäts- und Zeitkriterien für den Support des Dienstleisters - festgelegt werden.

5. Verfügbarkeitsprobleme interessensgleich regeln

Natürlich träumt jeder Benutzer und DV-Chef vom Ideal einer dauerhaften 100prozentigen Verfügbarkeit seiner Anlage. In der Praxis werden aber, wie eine Befragung von Outsourcing-Dienstleistern ergeben hat, durchschnittlich nur 98 Prozent erreicht. Bei einer Leistungsbereitstellung von zehn Stunden pro Wochentag ergibt sich demnach immerhin eine monatliche Ausfallzeit von ungefähr 2,2 Stunden. Dadurch können die Organisationsabläufe und Produktionsprozesse des Anwenders erheblich beeinträchtigt werden.

Sicher wird es bei der sensiblen DV-Technik wohl immer Leistungseinschränkungen geben. Um damit kalkulieren zu können, sollte der Anwender aber erstens von potentiellen Service-Partnern konkrete Informationen über den Verfügungsgrad des letzten Jahres einholen und erfragen, welche Optimierungsmaßnahmen es gibt. Zweitens sind die diesbezüglichen vertraglichen Regelungen zu beachten, wobei das Augenmerk insbesondere auf die Aussagen über Antwortzeitverhalten und Systemausfälle zu richten ist.

Wir haben in den von uns untersuchten Verträgen Vereinbarungen gefunden, die dem Anwender erst nach einem sechsstündigen Systemausfall während eines Tages einen Preisabschlag zubilligen (bei Festpreisregelung).

Mit einem solchen Vertrag werden die Risiken weitgehend auf den Anwender übertragen, da dieser bei SAP-Serviceverträgen auf Pauschalkosten-Basis aufgrund dieser sehr hoch angesetzten Grenze auch ohne Leistung zur Zahlung verpflichtet ist.

Um das Prinzip des Interessenausgleichs wirksam werden zu lassen, ist für solche Verträge eine Staffelungsregelung zu empfehlen, die bei einem deutlich niedrigeren Ausfallniveau beginnt. Bei Vereinbarungen nach dem Modell der leistungsabhängigen Berechnung bleiben Systemausfälle für den Kunden in dieser Hinsicht sowieso kostenneutral.

Ein ähnlicher Vorschlag gilt für die Antwortzeiten. Pauschale Größen lassen sich bei SAP bekanntlich nicht definieren, da beispielsweise sehr einfache Transaktionen teilweise unter einer Sekunde liegen, während etwa interaktive Verbuchungen in den mehrminütigen Bereich hineingehen. Insofern stellen Regelungen, die sich auf einen Zeitraum in Sekunden beziehen, keine praxisbezogenen Größen dar. In Problemfällen bieten sie einen zu großen Interpretationsspielraum.

Eine Lösung kann darin liegen, die Antwortzeiten exemplarisch für zwei bis drei Transaktionstypen zu definieren, die in ihrer Charakteristik das Verarbeitungsverhalten des Gesamtsystems widerspiegeln. Auch hier dürfte eine Staffelungsregelung hilfreich sein, die genau beschreibt, bei welchem Systemverhalten Preisnachlässe wirksam werden.

Generell gilt allerdings, daß sich der Anwender für Instabilitäten des Anbietersystems adäquate Kündigungsmöglichkeiten einräumen lassen sollte. Solche Vereinbarungen bedürfen klarer Definitionen.

6. Backup - ein meist unverzichtbarer Bestandteil der DV-Auslagerung

Die erwähnte Befragung der Service-Rechenzentren erbrachte unter anderem folgendes Ergebnis: Nur zwei Drittel der Anbieter verfügt über angemessene, räumlich getrennt liegende Ausweichkapazitäten für den Katastrophenfall. Das ist bedenklich, denn nach Analysen von IBM und den Erfahrungen der Assekuranz droht bei DV-Großschäden ohne ausreichendes Backup nicht selten das wirtschaftliche Aus.

Backup-Regelungen sollten daher in Outsourcing-Verträgen berücksichtigt sein. Werden nur Absichtserklärungen oder kaum überprüfbare Aussagen geboten, so läßt sich der Anwender möglicherweise auf ein zu großes Risiko ein. Die Schlußfolgerung kann daher nur lauten: Vor den Vertragsverhandlungen sollte man sich ein genaues Bild über das Sicherheits- und Backup-Konzept des Dienstleisters machen.

Wenig interessiert an den Interessen der Anwender sind solche Anbieter, die Sicherheitsmaßnahmen und Verfügbarkeit lediglich in einer käuflich zu erwerbenden Informationsschrift darstellen. Hier kann nur eine vollständige und kostenlose Offenlegung vor den Vertragsverhandlungen empfohlen werden.

Was die eigentlichen Backup-Vereinbarungen angeht, so sollte als grobes Richtmaß die Wiederaufnahme der schadensbegründet unterbrochenen Produktion nach spätestens 48 Stunden erfolgen. Abhängig von den individuellen Anforderungen des Kunden, kann hier eine Differenzierung nach Leistungsarten vorgenommen oder auch ein insgesamt größerer Zeitraum festgeschrieben werden. Voraussetzung ist jedoch, daß die negativen Auswirkungen beim Anwender exakt kalkulierbar und im Rahmen des Vertretbaren bleiben.

7. Die Rechte an individuellen Entwicklungen sichern

Auch als Standardsystem muß SAP-Software bekanntlich in die individuelle DV-Umgebung des Benutzers eingepaßt werden. Die erforderlichen Entwicklungen gehen im Regelfall kostenmäßig zu seinen Lasten. Logischerweise sollte er daher auch die Rechte an den neuen Anwendungen beanspruchen. Dies kann sich besonders dann als nötig erweisen, wenn man den Dienstleister wechseln möchte. Gerade SAP bietet die Möglichkeit, die Abhängigkeit von einem Outsourcer prinzipiell zu reduzieren. Wer sich die Rechte an den individuell konzipierten Programmen sichert, kann solche Entscheidungen sogar relativ kurzfristig umsetzen.

8. Das Thema der Rückabwicklung nicht vergessen

In der Regel läßt sich die Beziehung zwischen Anwender und Dienstleister wohl als Ehe auf Zeit bezeichnen, auch wenn es beim derzeitigen Entwicklungsstand dieser Branche noch zu früh ist, derlei Aussagen zu machen. Ob die Zusammenarbeit über fünf Jahre oder einen anderen Zeitraum läuft, man sollte sich die Möglichkeit eines Partnerwechsels oder der Rückführung von DV-Funktionen in die eigene Verantwortung offenhalten. Bedingungen, unter denen ein Vertrag vorzeitig aufgelöst wird, können immer eintreten.

Für diese Fälle bedarf es entsprechender Festlegungen. Sie beginnen bei der Verpflichtung des Dienstleisters, das gesamte Datenmaterial im Zweifelsfall maschinell bereitzustellen. Ein ganz wesentlicher Punkt ist jedoch die Regelung der Übergabeprozeduren, die leider in allen gesichteten Verträgen fehlt. Da ein Wechsel des Dienstleisters nicht auszuschließen ist, kann durchaus die problematische Situation entstehen, daß der bisherige Partner das Datenmaterial an einen Wettbewerber übergeben muß.

Mit einem Pflichtenheft für die Rückabwicklung dürften sich solche Probleme vermeiden lassen. Dies ist eine vielleicht ungewohnte, im Interesse der Klarheit aber vermutlich sehr berechtigte Maßnahme. Dabei reicht es aus, die Erarbeitung eines Pflichtenheftes als Vertragsbestandteil aufzunehmen und die eigentlichen Festlegungen auf einen bestimmten Zeitpunkt der Zusammenarbeit zu verlegen. Sofern beim Anwender noch kein umfassendes SAP-Know-how besteht, wäre sogar anzuraten, die zeitlichen und inhaltlichen Detailmaßnahmen für die Übergabe erst später vorzunehmen.

9. Eine Schiedsklausel hilft, sich nicht vorschnell zu entzweien.

Streitigkeiten zwischen Vertragsparteien sind nie ausgeschlossen, doch stellt sich die Frage, ob sie sich nicht auch außerhalb der ordentlichen Zivilgerichte lösen lassen. Durch eine Schiedsklausel können unterschiedliche Auffassungen in vielen Fällen schneller geklärt werden.

Vor allem bietet sie die Chance, die meist gravierenden atmosphärischen Störungen zwischen Dienstleister und Anwender bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Solche Möglichkeiten werden nach der Ordnung des deutschen Ausschusses für das Schiedsgerichtswesen geschaffen. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts muß dabei die Befähigung zum Richteramt besitzen.

10. Warum den Vertrag nicht mit einer Öffnungsklausel optimieren?

Der gegenwärtige Outsourcing-Markt agiert nicht nach den üblichen Mechanismen des Wettbewerbs. Schon wegen der geringen Anzahl der Dienstleister greift das Prinzip freier Marktwirtschaften, daß nämlich Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, nur in Ansätzen. Daher ist das auslagerungsbereite Unternehmen in seinem Verhandlungsspielraum weitgehend eingeschränkt.

Zwar sind Preise lange nicht das alles entscheidende Kriterium für die Auswahl eines Servicepartners, denn Billigangebote können sich schnell als Bumerang erweisen. Außerdem darf bezweifelt werden, daß sich die Wettbewerbssituation schon in Kürze nachhaltig verändern wird. Dennoch bietet gerade bei langfristigen Verträgen eine Öffnungsklausel für deutlich kostengünstigere Angebote ein Instrument für Entscheidungskorrekturen.

So läßt sich beispielsweise vereinbaren, daß innerhalb einer bestimmten Frist (etwa ein oder zwei Jahre) die Zusammenarbeit vorzeitig gekündigt werden kann, wenn der Anwender ein leistungsmäßig adäquates, aber mindestens um zehn Prozent billigeres Angebot vorlegen kann.

Sofern Absprachen über Anpassungen der Kostenpauschalen oder Leistungssätze während der vereinbarten Laufzeit in den Vertrag eingehen, bietet eine Öffnungsklausel ebenfalls einen Weg, einem späteren Preisdiktat des Anbieters aus dem Weg zu gehen.

Allerdings darf nicht außer acht gelassen werden, daß ein Wechsel des Outsourcing-Partners niemals kostenneutral zu realisieren ist.