Sinn und Unsinn von Zeit-Management-Methoden

Von der Utopie, jede Sekunde des Tages nutzen zu können

20.08.1999
Von Hilde-Josephine Post* Schon seit Jahren sind Zeitplanbücher und Seminare en vogue, die gestreßten Managern eine Ersparnis ihrer kostbaren Zeit versprechen. Beim effektiven Zeit-Management kommt es aber darauf an, das rechte Maß zu finden und den natürlichen Rhythmus des eigenen Körpers zu beachten.

"Zeit-Management wird zu einer modernen Form der Heilserwartung, der alljene huldigen, die von der Furcht getrieben werden, etwas zu verpassen", bedauert Karlheinz Geißler, Professor für Wirtschaftspädagogik an der Münchner Universität der Bundeswehr. "In der Tat verpassen sie etwas, nämlich sich selbst."

Lothar Seiwert, Leiter des Instituts für Strategie und Time-Management in Heidelberg, ist zwar auch der Meinung, daß jeder, der über einen gesunden Menschenverstand verfügt und zu kritischer Selbstbetrachtung fähig ist, seine Zeit allein managen kann. Das Problem sei vielmehr, daß ohne Anregung von außen die Leute nicht über diese Dinge nachdenken würden. Herkömmlichen Zeit-Management-Methoden steht der Wissenschaftler allerdings skeptisch gegenüber: "Deren Ziel ist es doch nur, jede Sekunde des Tages nutzbringend auszulasten." Dabei würden oft andere Lebensbereiche vernachlässigt. Die Zeit müsse vielmehr ausgewogen auf Arbeit, Gesundheit, Beziehungen sowie Sinn- und Zukunftsfragen verteilt werden.

Heute wird der berufliche Sektor meist überbetont. So verwenden auch Seiwerts Seminarteilnehmer, darunter vorwiegend leitende Angestellte und Selbständige, nach eigenen Aussagen 70 bis 80 Prozent ihrer Zeit auf ihre Arbeit. Zur Selbstreflektion bleibt da vielen kein Raum mehr. Alles sei eine Frage der Einteilung, meint Oliver Fink von der Innovation Forces Network GmbH: "Ein wahrer König ist, wer seine Zeit qualitativ einzuteilen vermag." Das Geheimnis liege einerseits in der Ritualisierung: So sollte man sich morgens eine halbe Stunde zur Meditation oder zum Joggen gönnen. Andererseits sei es wichtig, konzentriert zu arbeiten und nicht mit den Gedanken abzuschweifen. Stratege Seiwert ist ganz seiner Meinung: "Wer Zeit für Muße nicht zum Bestandteil eines jeden Tages macht, hat verloren." Sein Leitsatz, der gleichzeitig Titel seines neuesten Buches ist, lautet: Gerade wer es eilig hat, muß auch langsam sein können.

Die Soziologin und Autorin Helga Nowotny spricht sich in ihrem Buch "Eigenzeit" dafür aus, daß jede Beschleunigungsmaschine eigentlich auch eine Bremsvorrichtung braucht. Doch die wird in der Nonstop-Gesellschaft bis auf wenige Ausnahmen vergessen. Zu diesen allerdings gehört der Verein zur Verzögerung der Zeit, den Professor Peter Heintel vom Institut für Interdisziplinäre Forschung der Universität Klagenfurt 1990 gegründet hat. Die Organisation verzeichnet seitdem steigenden Zulauf. In Symposien über das richtige Zeit-Management wollen die Verzögerer Mut zur Langsamkeit machen.

Das bedeutet laut Wirtschaftspädagoge Geißler aber nicht, daß generell auf Schnelligkeit verzichtet werden muß. Sinnvoll sei ein solcher Verzicht dort, wo Schnelligkeit nicht wertschöpfend ist. Wer innovativ sein wolle, müsse Pausen einlegen, auch mal Warten, Trödeln oder orientalisches Dösen akzeptieren können. Abwarten sei für die Markteinführung eines Produktes eine äußerst wichtige Disziplin. Beispiele wie Btx oder das Bildtelefon zeigten, daß verfrühte Kampagnen nichts taugen.

Fast lautlos verschwinden immer mehr Zeitformen, obwohl sie lebensnotwendig sind. So steht der "Rhythmus von Aktivität und Ruhe, von Beginnen und Beenden, von Helligkeit und Finsternis unter Veränderungsdruck", bedauert Geißler. Dabei weiß man seit langem, daß der Mensch nicht immer gleich leistungsfähig ist. Der Körper hat eine innere Uhr, das Licht fungiert dabei als Zeitgeber. Karin Kraft, Leiterin der Ambulanz für Naturheilverfahren an der Universitätsklinik Bonn, weist darauf hin, daß zwischen 13 und 14 Uhr und ab 17 Uhr Biotiefs liegen. Ein 20minütiges Nickerchen am Nachmittag könnte die Leistungsfähigkeit um etwa 20 Prozent erhöhen. Da allerdings nur die wenigsten Mitarbeiter die Gelegenheit haben, im Büro ein Schläfchen zu halten, schlägt Seiwert vor, in dieser Zeit soziale Kontakte zu pflegen und Routinearbeiten zu erledigen. Weitere Erkenntnisse: Von 9 bis 11 Uhr ist das Kurzzeitgedächt- nis am aufnahmefähigsten, und von 14 bis 16 Uhr ist wiederum das Langzeitgedächtnis besonders aktiv. Erhalten Mitarbeiter genügend Freiraum, läßt sich die gleiche Arbeit also in viel kürze- rer Zeit mit weniger Streß erledigen.

Grundsätzlich sollte jeder für sich lernen, seinen persönlichen Tagesrhythmus herausfinden. Siemens versucht seinen Mitarbeitern in diesem Punkt entgegenzukommen. Anfang 1998 startete der Elektronik-Gigant eine Teilzeitoffensive. Im Rahmen der "Schnupperteilzeit" können Beschäftigte versuchsweise an einzelnen Tagen die Arbeitszeit verkürzen. Zudem ist es möglich, eine Auszeit von bis zu sechs Monaten zu nehmen.

Angelika Laier, von der Zentralabteilung Personal, Information und Kommunikation, sieht in flexiblerer Arbeitszeitgestaltung Wettbewerbsvorteile, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit für die Mitarbeiter, private und berufliche Bedürfnisse besser zu vereinen. So würde die Auszeit genutzt, um ein Haus zu bauen, die Welt zu bereisen oder sich intensiver der Familie zu widmen. Während der Vertragslaufzeit von drei Jahren erhalte der Mitarbeiter je nach Länge des Freizeitblocks ein gleichbleibendes Einkommen, das zwischen 83 und 92 Prozent seines normalen Bruttoeinkommens liege.

In den USA sind es vor allem Topmanager, die sich eine unbezahlte Auszeit beziehungsweise Sabbaticals gönnen. Jüngstes Beispiel ist Nathan Myhrvold, Forschungschef bei Microsoft, der sich ein Jahr lang von der Gates-Company verabschiedet hat und lieber in den Bergen Montanas nach den Spuren der Dinosaurier sucht. Wer nicht soviel Phantasie in puncto Freizeitgestaltung hat, kann sich an Beratungsagenturen wenden, die das Geschäft wittern. Sie geben Tips, wie sich die freie Zeit verplanen läßt. Dösen und Trödeln haben auch hier keinen Platz.

*Hilde-Josephine Post ist freie Journalistin in München.