Objectworld: Träume von Millionen vernetzten Objekten

Von der Technikdenke zu Unternehmenslösungen

30.08.1996

"Objektorientierung ist eine seit Jahrzehnten erprobte Technologie, trotzdem ist sie in den Unternehmen praktisch kaum existent", summiert Michael Guttman, Executive Vice-President und CTO der Genesis Development Corp. Akzeptiert ist die Technik vor allem unter Entwicklern. Doch nach Ansicht Guttmans bedeutet die Objektorientierung mehr als Wiederverwendung von Code. Ins Blickfeld rücken müßten die Geschäftsobjekte, die die Unternehmensprozesse widerspiegeln.

Geschäftsobjekte zu entwickeln ist jedoch, da sind sich alle Objektgurus einig, nur möglich anhand unternehmensweiter Objektmodelle. Anstelle isolierter "Ofenrohre", die entstehen, wenn funktionsorientiert programmiert wird, kommt dabei ein "Einkaufswagen" voller Objekte zustande, die erst zur Laufzeit eine Applikation ergeben. Dabei erlauben Serviceobjekte eine Mehrfachverwendung in verschiedensten Applikationen, so daß sich zudem die Anzahl der Objekte verringern läßt und deren Beziehungen erheblich vereinfacht zu gestalten sind.

Wie David Taylor, President von Enterprise Engines, erläutert, ist Vereinfachung für die Optimierung eines jeden Objektsystems das höchste Gebot. Auch in der objektorientierten Programmierung gelte die Sieben-Plus-minus-zwei-Regel, nach der ein Mensch nicht in der Lage ist, mehr als etwa sieben Dinge auf einmal zu tun. Eine derartige Beschränkung lasse sich nur erreichen, indem die Methoden Collaboration, Specification und Composition intensiv zum Einsatz kommen.

Vereinfachung versprechen sich viele auch von der Sun- Programmiersprache Java. Die Kreuzung aus Smalltalk und C++ benötigt beispielsweise keine Pointer, die schon so manchem C- und C++-Programmierer Kopfschmerzen bereitet haben dürften. Nach Jeff Hong, Marketing-Manager bei Sun Microsystems, schätzen die eigenen Programmierer, die von C++ auf Java umgestiegen sind, daß sie nun fünfmal produktiver arbeiten.

Den Konferenzbesuchern kann die Weiterentwicklung der Sprache, die erst im April 1995 auf den Markt gebracht wurde, gar nicht schnell genug gehen. Für die von der COMPUTERWOCHE Befragten steht außer Zweifel, daß sie darauf wechseln werden. Dabei ist die Grundlage, die Freeware "Java Development Kit", nach Hongs Aussage noch derart mit Fehlern und Instabilitäten behaftet, daß das Sun- eigene, in Java implementierte Werkzeug "Java Workshop" noch immer nicht ausgeliefert werden könne. Man bastle derzeit noch an den Grundlagen.

Das Grundproblem verteilter Objekte kann jedoch auch Java nicht lösen. Für die Objekttechniker scheint es nicht schwierig zu sein, statische Objekte, etwa für GUIs, zu definieren. Objekte aber, die mit veränderbaren Geschäftsprozessen ihrerseits einem Deutungswandel unterworfen sind sowie von einem Unternehmen zum nächsten unterschiedlich interpretiert werden, wollen einfach nicht zueinander passen. Lösungen existieren hier bislang nur im Ansatz, beispielsweise durch Herstellerallianzen oder Gruppen, die im Rahmen der Object Management Group (OMG) gebildet wurden. Dort sitzen Anwender mit Herstellern an einem Tisch.

Wenig hilfreich scheint auch die "Unified Method" zu sein, die nach Darstellung vom Anbieter Rational in "Unified Method Language" umbenannt wurde.

Die Methodengurus Booch, Rumbaugh und Jaboson, die nun unter dem Dach von Rational zusammenarbeiten, haben im wesentlichen die Notation vereinheitlicht, die verschiedenen Verfahrensweisen, die auf unterschiedlichen Auffassungen von Prozessen basieren, jedoch nicht.

Einig waren sich dagegen Konferenzteilnehmer und Hersteller, was die Common Object Request Broker Architecture (Corba) angeht. Sie gilt als unabdingbare Vorausetzung für die Verteilung von Objekten. Durch die Interface Definition Language (IDL) biete sie ein sprachunabhängiges Objektmodell und zudem einen weithin akzeptierten Standard für Broker, von denen allein die Objectworld-Aussteller zirka 30 verschiedene zeigten.

Geradezu euphorisch reagierten die Objectworld-Besucher, sobald das Potential ins Blickfeld rückte, das das Internet für die verteilte Verarbeitung bedeuten kann. Java, Corba und Internet verschmelzen zu einer Vision. Es gab kaum eine Ankündigung, die nicht mit dem Internet oder Java zu tun gehabt hätte. Voraussetzung dafür ist die kürzliche Einigung der OMG auf das Internet Inter-ORB Protocoll (IIOP), das eine Schnittstelle von Corba darstellt.

Der Vortrag von dem eigentlich wenig charismatischen Marc Andreessen, Mitbegründer und Senior Vice-President von Netscape, geriet zum bestbesuchten und am höchsten gelobten der gesamten Objectworld. Da tat es auch keinen Abbruch, daß die populäre amerikanische Tageszeitung "USA Today" just an diesem Tag einen Vergleich der konkurrierenden Browser von Microsoft und Netscape brachte, der den "Internet Explorer" besser dastehen ließ als den "Netscape Navigator".

Für ein "Full Service Intranet", das Andreessen vorschwebt, braucht es zumindest die Net- scape Internet Foundation Classes, Hypertext Markup Language (HTML), Java und Javascript, IIOP, offene Mail-Protokolle, Sicherheitsdienste wie Secure Sockets Layer sowie viele Objekte, die sich miteinander unterhalten können. Für Andreessen bemißt sich die Zeit, bis genügend Objekte verfügbar sind, eher in Tagen als in Monaten oder gar Jahren, da Programmierung dank HTML und Java so einfach geworden sei. "Das Internet ändert alles. Es hat einen Tornado entfacht, der die Technik verteilter Objekte mitreißt", so Andreessen. Er rechnet damit, in den kommenden zwölf Monaten ungefähr 20 Millionen Client-ORBs auszuliefern. Seine Botschaft an die IS-Manager: "Bereiten Sie sich auf das Extranet vor, bestehen Sie auf Interoperabilität und arbeiten Sie in den Standardisierungsgremien der OMG mit.