Theorie und Realität der BA-Ausbildung

Von der Qualität der Praxis hängt der Berufseinstieg ab

10.08.1990

Michael Abel studiert im letzten Semester an der Berufsakademie Stuttgart im Bereich Wirtschaft, Fachrichtung Datenverarbeitung.

Das Studium an der Berufsakademie (BA) gilt als interessante Alternative zu einem Studium an Hochschulen. Nachdem in der CW Nr. 24 vom 15. Juni 1990, Seite 45, diese Ausbildung aus der Sieht eines Professors dargestellt wurde, meldet sieh jetzt ein Student, Michael Abel*, zu Wort, um aus seiner Sieht die Ausbildungsverhältnisse an der BA zu schildern.

Die Berufsakademie schließt eine Marktlücke, für die sie ursprünglich auch konzipiert worden ist, nämlich den Unternehmen hochqualifizierten Nachwuchs zur Verfügung zu stellen. Diese Berufsanfänger sollen zum einen praxisorientiert ausgebildet werden und damit lange Anlaufphasen oder Trainee-Programme überflüssig machen, zum anderen aber auch über einen gewissen wissenschaftlichen Hintergrund verfügen, der ein selbständiges und zielorientiertes Arbeiten ermöglicht Daß sowohl Unternehmen als auch Studenten dieses Studienkonzept als sehr attraktiv empfinden, zeigen die steigenden Studentenzahlen und die zur Zeit große Nachfrage n ach Ausbildungsplätzen

Allerdings sollte man bei soviel positiven Aspekten nicht vergessen, auch die Realität der Ausbildung zu betrachten.

Dozenten fehlt oft pädagogische Vorbildung

Richtig ist, daß die Vorlesungen an der Berufsakademie den Studierenden in allgemeinen Fächern wie BWL und VWL einen guten Überblick liefern und das Thema "Wirtschaft" durchschaubar machen. Die fachrichtungsbezogenen Spezialvorlesungen etwa über Systemanalyse und -entwurf führen in der Regel Praktiker durch Das sichert zum einen eine anwendungsorientierte Ausbildung der Studenten, kann andererseits aber (was zum Beispiel die Vorstellung von Methoden oder SW-Tools angeht) einseitig werden, je nachdem wie die DV-Abteilungen der einzelnen Firmen arbeiten.

Dazu kommt, daß viele der Dozenten zwar fachlich unbestritten kompetent sind, aber leider nur selten eine pädagogische Vorbildung besitzen, worunter die Qualität des Unterrichts erheblich leidet Ein weiterer Minuspunkt ist, daß durch die relativ kurzen Semester - im Schnitt rund acht Wochen mit daran anschließenden Klausuren -die Studenten einem erheblichen Leistungsdruck ausgesetzt sind.

Als Folge neigen viele zu einem Lernstil, der durch kurzfristiges "Pauken" vor der Klausur den Studenten Erfolge beschert, ein Können oder Beherrschen der Thematik durch intensives, wiederholtes Bearbeiten des Stoffes aber fast unmöglich macht.

Das zweite Standbein der Berufsakademie ist die praktische Ausbildung innerhalb der Betriebe. Die Wahl des Ausbildungsbetriebes stellt - nach der Entscheidung für das Studium - die wichtigste Aufgabe des künftigen Studenten dar.

Wie in jedem Arbeitsverhältnis unterscheiden sich auch bei der Berufsakademie die Arbeitgeber etwa in Fragen der übertariflichen Bezahlung und freiwilligen Leistungen (Fahrtkosten und Essenszuschüsse). Weitaus wichtiger scheint aber die mit der Wahl des Ausbildungsbetriebes verbundene Qualität der praktischen Ausbildung. Große Firmen mit eigenen Schulungszentren und professionellen Dozenten haben hier sicherlich die besseren Möglichkeiten, kleine Unternehmungen bieten dafür eventuell eine schnellere Eingliederung - Studenten werden als Mitarbeiter akzeptiert -, nicht als Auszubildende. Gerade für Kandidaten aus den Bereichen Datenverarbeitung oder Wirtschaftsinformatik ist es wichtig, Datenbanken, Programmiersprachen und Anwendungssysteme benutzen zu können. Allerdings arbeitet nicht jede Firma mit aktuellster Hard und Software und kann darüber hinaus noch Kapazitäten für (unproduktive) Auszubildende freistellen .

Ein weiterer Punkt, der in der Theorie meist positiver dargestellt wird, als er sich in der Praxis erweist, betrifft die Übernahme der Studenten in ein festes Arbeitsverhältnis. Tatsache ist, daß ein BA-Student sehr gute Chancen hat, in seinem Ausbildungsbetrieb eine Stelle zu finden. Es ist aber unbestreitbar, daß er dabei oft in Konkurrenz zu Absolventen anderer Hochschulausbildungen steht. Der Vorteil, den Betrieb zu kennen, erleichtert zwar die Suche nach einer geeigneten Tätigkeit im Unternehmen. Leider werden aber - und das gilt wohl nicht nur für die Berufsakademie, sondern für alle Ausbildungsberufe - die eigenen Azubis oft als Lückenfüller ein gesetzt, wenn Positionen im Moment nicht besetzt werden können.

Interessante und durch die Kombination von Wirtschaft und Informatik für BA-Studenten geeignete Stellen, die eine Verbindung zwischen der DV und den Anwendern herstellen sollen, bleiben den Ausgelernten oft verschlossen. Auch das häufig gebrauchte Schlagwort des "Führungskräfte-Nachwuchses" ist hier unangebracht, da Hochschulabsolventen meist solche Positionen besetzen.

Eine Alternative für jeden Abiturienten

In jedem Falle ist die Berufsakademie eine interessante Ausbildungsvariante, mit der sich jeder Abiturient beschäftigen sollte. Fest steht, daß die dreijährige Ausbildung einen hervorragenden Einblick in das jeweilige Studiengebiet gewährleistet, der die Grundlage für eine weitere Beschäftigung im Ausbildungsbetrieb bedeutet. Meiner Erfahrung nach würde sich ein Großteil der Studenten wieder für ein Studium an der Berufsakademie entscheiden.

Es sollte allerdings beachtet werden, daß es auch an diesem Ausbildungssystem Kritikpunkte gibt und man bei aller Begeisterung über das theoretische Konzept des dualen Systems die Abweichungen in der Praxis nicht vergessen darf.