Deutsche Gründer mischen im Silicon Alley mit

Von der Internet-Party ins Big Business

22.02.2000
Von VON Dagmar

Silicon Alley schläft länger

Am nächsten Morgen gegen zehn Uhr hängt er sich ans Telefon oder an den PC, um erfolgversprechenden Hinweisen nachzugehen. "Silicon Alley schläft gern etwas länger", lacht Peter. Dafür wird aber auch rund um die Uhr gearbeitet. 65 Stunden pro Woche sind keine Seltenheit, Partys nicht eingerechnet. Für seine Auftraggeber, vorwiegend namhafte Firmen aus Deutschland, schnürt der Cscout-Gründer die recherchierten "harten Fakten zu Info-Paketen", die er per E-Mail über den Atlantik schickt: "Binnen 24 Stunden ist der Hinweis auf ein heißes E-Commerce-Startup von der Silicon-Alley-Party auf einem Schreibtisch in Deutschland gelandet."

Alice O’Rourke kennt hier fast jeder. Die Präsidentin der 1994 gegründeten New Media Association (www.Nynma.org) schaut regelmäßig auf den einschlägigen Partys vorbei. Der gemeinnützige Verein versteht sich als Sprachrohr und Anlaufstelle der Branche und zählt mittlerweile mehr als 2000 Einzelpersonen sowie rund 1300 Firmen zu seinen Mitgliedern. Die Organisation vermittelt Kontakte, veranstaltet Fachvorträge und Branchentreffen, bei denen sowohl interessierte Firmen als auch investitionswillige Finanzmagnaten auf Partnersuche gehen. Da trifft es sich gut, dass ihre Büros in unmittelbarer Nachbarschaft der New Yorker Börse liegen. Der High-tech-Tempel mit hauseigenen Glasfaserleitungen für die super-schnelle Datenübertragung in alle Welt in der Broad Street 55 gilt als logistisches Epizentrum der Silicon Alley. Mitarbeiter darin untergebrachter Firmen wie Sun Microsystems sollen sogar den Lunch per E-Mail bestellen.

Es begann auf

zehn Quadratmetern

Rund 5000 Firmen mit etwa 107 000 Arbeitsplätzen haben sich in Silicon Alley inzwischen angesiedelt. Die meisten von ihnen haben ihre Büros in der Nähe des Broadway zwischen dem "Flatiron Building" und der Wallstreet. Die Zahl der Arbeitsplätze in der Internet-Branche könnte sich weltweit innerhalb der nächsten zwei Jahre verdoppeln, schätzt die Unternehmensberatung Pricewaterhouse-Coopers. Neben der engen Nachbarschaft zur Wallstreet profitiert die Cyber-Szene auch von einer gezielten Förderpolitik. So erhalten Gebäudeeigentümer, die ihre Gewerberäume an Multimedia-Firmen vermieten, Steuervergünstigungen. Außerdem ließ der zuständige Gouverneur GeorgePataki eine "New Media Task Force" (www.nyassist.cat.nyu. edu) einrichten, wo sich Branchenneulinge Rat holen können.

"Eine tolle Einrichtung", findet Peter, der sich noch gut an die mühsame Startphase erinnert. Allein die Beschaffung einer Arbeitserlaubnis kostete ihn mehrere tausend Dollar und jede Menge Nerven. Mindestens ebenso schwierig gestaltete sich die Suche nach geeigneten Räumen für die Trendagentur. Sein erstes 1996 angemietetes Büro an der Lower East Side war gerade mal zehn Quadratmeter groß. Heute residiert die dreiköpfige Mannschaft in einem großzügig geschnittenen Loft im 14. Stock eines ehemaligen Druckereihauses mit Blick auf den Hudson. Die Inneneinrichtung wirkt allerdings immer noch spartanisch: helle Holztische auf rohem Betonboden, weißgetünchte Wände, zahlreiche Bildschirme und überdimensionale Lautsprecherboxen in jeder Ecke. Das "Cyber-Industrial-Flair" gehört ebenso zum Image wie die freakige Kleidung des Chefs. Hemd und Schlips sind tabu, aber "trendy" muss das Outfit sein.

Mit seiner Geschäftsidee sitzt der Informationspfadfinder offenbar genau an der richtigen Stelle:"Hier im Silicon Alley kann ich mindestens fünf interessante Multimedia-Firmen an einem Tag zu Fuß erreichen", schwärmt Peter. "Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt." Seine Dienstleistung als "Missionar und Makler an der Schnittstelle zwischen Europa und den USA" sei ziemlich gefragt, freut sich der Jungunternehmer mit ausgeprägtem Faible für multimediale Kommunikation. Mittlerweile seien sogar die großen Unternehmensberatungen auf Cscout aufmerksam geworden. "Mit der Ausweitung von E-Commerce bemerken diese etablierten Beratungshäuser, dass sie sich im Internet nicht genug auskennen, mittlerweile haben wir uns schon mit Roland Berger oder der Boston Consulting Group getroffen."

Rund 1200 Dollar Tagesgage zahlen Kunden wie Adidas, Bertelsmann und die Deutsche Telekom für seine strategische und technologische Beratung, etwa für die Koordination des Markteintritts der Berliner Multimedia-Agentur Pixelpark in New York oder die Anfertigung einer Konkurrenzanalyse des amerikanischen Turnschuhmarktes. Zur Zeit arbeite Cscout gerade an einer Analyse für die Deutsche Telekom: "Wir sollen herausfinden, wo Deutschland im Vergleich zu den USA der Internet-Entwicklung hinterherhinkt", erzählt Peter von seinem Lieblingsthema "Trend und Technologie-Scouting".

Spannend findet der Jungunternehmer auch den Auftrag eines deutschen Automobilherstellers: innovative Softwareschmieden in Silicon Alley ausfindig machen, die ausgefallene Accessoires für Nobelkarossen entwickeln. "Das könnte ein im Fahrzeug integriertes Telefonbuch sein, welches sich automatisch auf die Stadt einstellt, in der sich der Wagen gerade befindet. Selbstverständlich müsste auch ein Internet-Anschluss vorhanden sein, mit dem sich während der Fahrt zum Hotel Börsenkurse abrufen oder Theaterkarten bestellen lassen", schwärmt der Cyber-Scout. "PC in the Car ist ein ganz heißer Markt für die Computerbranche."

Wenn deutsche Manager

von Praktikanten lernen

Bei seinen Recherchen greift Peter auf ein weitgespanntes Netz von Informanten zurück: Studierende und Professoren an der renommierten Columbia-University gehören ebenso dazu wie Journalisten und Branchenkenner aus der Industrie. Seine wichtigste Quelle zur Informationsbeschaffung ist jedoch das Internet.

Den Anstoß für die Entdeckung dieser Marktlücke gab ein Praktikum bei Bertelsmann am Timesquare in New York. Ein amerikanischer Datenbankanbieter auf der Suche nach einem Ansprechpartner in Deutschland hatte sich an die New Yorker Niederlassung des Medienriesen gewandt. "Aber der Marketing-Vorstand, dem ich dort zugeteilt war, wusste partout nicht, wen er anrufen sollte, um diesen geschäftlich höchst interessanten Kontakt zu vermitteln", entrüstet sich der Newcomer noch heute: "Jeder Praktikant kennt den Online-Markt besser als deutsche Manager, die auf dem amerikanischen Markt völlig orientierungslos sind." Denen wollte es der Absolvent der European Business School in Reutlingen fortan zeigen. Das Startkapital von 50 000 Mark lieh er sich von Freunden, bevor er im Juli 1996 seine Ideen in die Tat umzusetzen begann: Als Pfadfinder im New Yorker Cyber-Dschungel Trends erkennen, aufgreifen und verbreiten.

Wie Peter kamen viele Deutsche in Silicon Alley zunächst als Praktikanten oder im Rahmen der Ausbildung nach New York. Zum Beispiel Thomas Müller: Im Anschluss an ein Studium in Kommunikationsdesign wechselte der heute 29jährige zunächst von München nach Pasadena, wo er zweieinhalb Jahre lang das renommierte "Art Center College of Design" besuchte. Als er im Februar 1996 bei Razorfish anfing, hatte er dort vier Kollegen. Heute beschäftigt die New-Media-Agentur etwa 350 Mitarbeiter. Als Design Director bei Razorfish (www.razorfish.com) trägt der Münchner Kommunikationsdesigner heute die Verantwortung für ein Team von 22 Mitarbeitern.

Stefanie Trinkl setzte ihr 1989 in der Schweiz begonnenes Designstudium in Pasadena fort, wo sie 1993 den "Bachelor of Fine Arts in Communications Design" machte. Jobs bei verschiedenen Multimedia-Agenturen in New York folgten, bis sie die Nase voll hatte vom harten Angestelltendasein mit Zwölfstundentagen und lediglich zehn Tagen Urlaub im Jahr. Seit März 1997 arbeitet sie auf eigene Rechnung als Chefin und Angestellte zugleich."Ich mache fast alles per E-Mail", erklärt die CD-Designerin. Ihre Multimedia-Agentur Milkdesign (www.milkdesign.com) gründete sie in Kooperation mit einem Freund, der sich in Köln unter demselben Namen selbstständig machte. "Wir hatten dieselbe Idee und haben eine gemeinsame Website, arbeiten aber finanziell völlig unabhängig", erklärt Trinkl das Prinzip der "Virtuell Creative Community". Vorteile sieht sie neben dem größeren Freiraum in Sachen Lebensplanung auch in finanzieller Hinsicht. "Ich kann mir für jedes Projekt

die passenden Leute holen und muss niemanden bezahlen, wenn ich keinen passenden Auftrag für ihn habe. Das hört sich zwar hart an. Aber es gibt hier in New York eine unheimlich große Freelance Community, die genau so arbeiten will."

Marc Triebe kam vor dreieinhalb Jahren in die Silicon Alley, um seine eigene Firma zu gründen. "Hier habe ich optimale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Existenzgründung: Talent, Inhalt und Kapital", sagt der zuvor bei Pixelpark beschäftigte Webdesigner. Seine Firma Stockobjekts (www.stockobjekts.com) verkauft Grafiken und Animationen für die Gestaltung von Websites online.

Wer in der New Yorker Cyber-Szene bestehen will, muss allerdings nicht nur digital vernetzt sein. Mindestens ebenso wichtig ist die persönliche Kontaktpflege zu Kunden und Kollegen. Cscout-Chef Peter hat bereits eine weitere Marktlücke entdeckt. Seit Mai 1998 gibt er in Kooperation mit seinem früheren Schulfreund Marc Wohlrabe, der in Berlin schon seit Jahren das kostenlose Veranstaltungsmagazin "Flyer" verlegt, ein New Yorker Pendant heraus. Rund 1000 Veranstaltungshinweise pro Monat gehen bei Cscout ein. "Mit dem Flyer, der momentan mit einer Auflage von 50 000 Stück erscheint, verdienen wir zwar im Moment noch kein Geld, aber wir wissen immer etwas früher als andere, was in New York gerade passiert oder in Zukunft passieren wird", erklärt Peter. "Wir sind extrem nah dran an der Szene."

*Dagmar Sobull ist freie Journalistin in Hemmingen bei Hannover.