Maschinenbau: So vielfältig die Branche, so breit die Anforderungen

Vom Techniker zum Problemlösungs-Manager

25.10.2000
Von Helga Ballauf
Der Maschinenbau hat die jüngste Krise überwunden - dank der Informationstechnologie. Beide Sparten greifen immer mehr ineinander über. Wer Ingenieurslogik und Kenntnisse in der offenen Software-Anwendung verbindet, hat gute Berufschancen.

Ein Hersteller von Nutzfahrzeugen besetzt neue Stellen für die Pflege und den Ausbau der CAD-Software. Gesucht werden Maschinenbauingenieure oder Wirtschaftsinformatiker. Ein Automobilausrüster braucht Mitarbeiter für Industrial Engineering/Montagetechnik und setzt voraus, dass Bewerber sowohl eine Lehre im Metallsektor als auch ein Maschinenbaustudium erfolgreich abgeschlossen haben.

Steigen Sie ein!

Quelle: Stone Images, Stewart Cohen
Quelle: Stone Images, Stewart Cohen

Wir brauchen Sie! So werben kleine, mittlere und große Unternehmen der Branche Maschinen- und Anlagenbau wieder heftig um qualifiziertes Personal. Die Beispiele zeigen, in welche Richtung sich die Anforderungsprofile der Firmen entwickeln. Hochschulabsolventen, die früh den Blick über den Zaun der eigenen Wissenschaftsdisziplin geübt haben, stehen hoch im Kurs. Zusatzqualifikationen sind gefragt: Dabei kann es sich um Spezialwissen aus der Informatik, eine einschlägige Facharbeiterausbildung, vertiefte Fremdsprachenkenntnisse oder Marketing-Know-how handeln. Soft Skills wie die Fähigkeit zur Teamarbeit oder Kommunikationskompetenz im Umgang mit Kollegen und Kunden werden von immer mehr Betrieben als selbstverständlich vorausgesetzt.

Der deutsche Maschinenbau hat die Krise überwunden. Sank zwischen 1991 und 1997 die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche von 1, 5 Millionen auf rund 920 000, so stellen die Firmen seit einem Jahr wieder vermehrt Personal ein. Der "Weltmeister in Komplexität", wie die bundesdeutschen Maschinenbauer von US-amerikanischen Analytikern gern genannt werden, hat verlorene Anteile auf dem internationalen Markt zurück gewonnen. Der Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik spielt im weltweiten Wettbewerb ein große Rolle: Wer in Entwicklung und Konstruktion, bei Planung und Produktion, in Wartung und Service IT-gestützt schneller und konsequenter als die Konkurrenz arbeitet, hat die Nase vorn. In der Branche macht der Satz die Runde: "Wir bauen keine Maschinen mit Software, sondern Software mit Maschinen."

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und der Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI) können auf den Fachverband Informationstechnik zurück greifen, der sich auch eingehend mit den Qualifikationserfordernissen befasst (www.fvit-eurobit. de). Die im VDMA organisierten Firmen verteilen sich auf rund 70 Fach- und Arbeitsgemeinschaften. Wer sich die Liste im Internet ansieht (www.vdma.de), erhält einen schnellen Überblick über das weite Spektrum der Branche - von Abfall- und Fluidtechnik über Kraftmaschinen und Kühltürme bis zu Schiffsbau-Zulieferprodukten und Werkzeugmaschinen.

Quelle: Stone Images, Ken Whitmore
Quelle: Stone Images, Ken Whitmore

Der deutsche Maschinenbau ist eine mittelständisch geprägte Branche. Die rund 7000 Betriebe mit je mindestens 20 Beschäftigten produzieren für sehr unterschiedliche Marktsegmente unter wenig vergleichbaren Konditionen. Es kommt gar nicht so selten vor, dass Mittelbetriebe mit einer Belegschaft von rund 500 Beschäftigten Weltmarktführer in ihrer Produktionssparte sind - beim Bau von Autokränen ebenso wie bei der Herstellung von Anlagen für Industrieöfen.

Der VDMA spricht stolz von der "Innovationsindustrie", die er vertritt. Mehr als 20 000 Produkte und Prozesslösungen werden demnach derzeit angeboten; alljährlich kommen vier- bis fünftausend neue Anwendungen dazu. Uneingeschränkt positiv bewertet der Verband die Jahresbilanz 1998, stieg doch allein die Produktion um sieben Prozent. Für dieses und die kommenden Jahre ist die VDMA-Prognose jedoch vorsichtig: Da die Branche in hohem Maße exportorientiert ist, wirken sich Krisen in Kundenländern massiv aus - allerdings mit zeitlicher Verzögerung. So müssen derzeit vor allem die Textilmaschinenhersteller, die Produzenten von Hütten- und Walzwerkeinrichtungen sowie die Anbieter von Bergbaumaschinen einen kräftigen Auftragsrückgang aus den ost- und südostasiatischen Ländern verkraften.

Eine Auswertung der Stellenangebote von Fahrzeug- und Maschinenbauunternehmen Anfang dieses Jahres ergab, dass die Suche nach DV-orientierten Ingenieuren weiter an Bedeutung gewinnt. Der Adecco/EMC-Analyse zufolge profitieren in keiner anderen Branche die Bewerber so von ihren einschlägigen Software-Kenntnissen wie im harten Konstruktionsgeschäft. Ganz besonders gefragt sind künftige Mitarbeiter, die CAD/CAM-Systeme, 3-D-Programme und Software für CNC-Fertigungstechnologie anwenden können: In jeder zweiten Stellenannonce wird eigens erwähnt, dass Bewerber solche Kenntnisse mitbringen müssen.

Damit setzt sich ein Trend fort, der bereits in der Stellenmarktauswertung des vergangenen Jahres zu erkennen war: Der Umgang mit rechnergestützten Konstruktions- und Fertigungstechniken gehört aus der Sicht der Firmen für einen Nachwuchsingenieur inzwischen zum Einmaleins. Immer wichtiger werden Kenntnisse der Planungs- und Produktionssysteme PPS. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Verzahnung des dezentralen Konstruktions- und Herstellungsprozesses. Eine Untersuchung des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung hat ergeben, dass die deutsche Investitionsgüterindustrie bei der Modernisierung der Produktion heute weniger auf Technik als auf organisatorische Maßnahmen setzt. PPS-Systeme zur Materialwirtschaft und Kapazitätsplanung sowie die Vernetzung von PPS- und CAD-Technik sind bereits weit verbreitet. Die Bedeutung dieser Instrumente wird steigen.

Interessant an der Befragung von 1300 Betrieben - 42 Prozent davon aus der Maschinenbaubranche - durch die Fraunhofer-Forscher ist folgender Aspekt: Die großindustriell geprägten Techniklösungen erfüllen offenbar nicht die Anforderungen der mittelständischen Firmen. Im Umkehrschluss ergeben sich daraus in doppelter Hinsicht Beschäftigungsperspektiven für innovative Maschinenbauer und Informatiker: In Forschung und Entwicklung werden Spezialisten gebraucht, die rechnergestützte Lösungen bei Planung, Produktion und Prozesssteuerung an die Ansprüche kleiner und mittlerer Unternehmen anpassen. Sobald diese Firmen dann entsprechend ausgestattet sind, wird die Nachfrage nach kompetenten Anwendern steigen. Ein Blick auf die Stellenofferten für Fach- und Führungskräfte im Bereich Maschinen- und Fahrzeugbau zeigt, dass derzeit inbesondere Firmen der Automobilbranche und deren Zulieferindustrie Personal einstellen. Aber auch Konstruktionsbüros suchen verstärkt nach Ingenieuren mit Softwarekenntnissen, am häufigsten aus den Fachrichtungen Maschinenbau, Elektro- und Kommunikationstechnik.

Zwei Beispiele aus dem Stellenmarkt einer großen Zeitung illustrieren die statistischen Befunde: Ein mittelständischer Stanz- und Schweißmaschinenhersteller sucht einen Diplomingenieur mit Fachhochschulabschluß, der Kenntnisse im allgemeinen Maschinen- und Anlagenbau, in Antriebs- und Steuerungstechnik, Pneumatik, Hydraulik, CAD und Englisch mitbringt. Ein großer Schienenfahrzeughersteller stellt IT-Systemingenieure ein, die sich mit Unix, Windows NT, C-Programmierung, relationalen Datenbanken sowie dem Internet auskennen und wirbt dafür bei Hochschulabsolventen der Fächer Maschinenbau, Elektrotechnik oder Informatik.

Der Beschäftigungskrise im Maschinenbau Anfang der 90er Jahre folgte die Warnung vor dem Studium. Schnell halbierte sich bundesweit die Zahl der Studienanfänger von 16 000 im Wintersemester 1990/91 auf knapp 8000 Studierende im Jahr 1996/97 - der Schweinezyklus nahm seinen Lauf. Obwohl die Berufsaussichten in der Branche inzwischen wieder gut sind, bleiben Plätze an den Hochschulen frei. Beispiel Kaiserslautern: 75 Erstsemester haben im Herbst 1998 das Studienfach Maschinenbau gewählt - dreimal so viele könnten es sein. Inzwischen treibt den VDMA die Sorge um, dass im neuen Jahrtausend die Ingenieure knapp werden. "Sie sind heute nicht nur als Konstukteure, Fertigungsspezialisten oder Vertriebsfachleute tätig, sondern werden zu kompetenten Problemlösungs-Managern." So wirbt der Verband im Internet um Nachwuchskräfte. Neue attraktive Dienstleistungsaufgaben - wie Software-Entwicklung, Beratung und Schulung - kämen auf die Ingenieure zu.

Noch schlägt der Nachwuchsmangel nicht voll durch. Die meisten der befragten Firmen sehen keine Veranlassung, ihre betriebsspezifischen Erwartungen an Bewerber zurück zu schrauben. Die Strategien, hier und jetzt die richtigen Mitarbeiter zu finden, sind so heterogen wie die Branche selbst. Ein Mittelständler von der Schwäbischen Alb beispielsweise hat zum ersten Mal in einer überregionalen Zeitung eine Stellenanzeige für einen Maschinenbaukonstrukteur geschaltet. Ein Münchner Hersteller von elektromedizinischen Instrumenten bietet für fortgeschrittene Studenten Praktika mit der Aussicht auf spätere Festanstellung an. Das Tochterunternehmen eines Konzerns in der Sparte Fahrzeugbau pflegt den Kontakt mit den Hochschullehrern an einschlägigen Instituten und holt sich frühzeitig angehende Maschinenbauer ins Haus.

Viele der Betriebe, die sich in der Flaute bei Zeitarbeitsfirmen Personal besorgten, wenn für kurze Zeit eine plötzliche Auftragsspitze auszugleichen war, bleiben den Vermittlern von Leiharbeitern auch im Aufschwung treu: Jetzt können Kandidaten, die für einen befristeten Auftrag ins Haus kommen und sich bewähren, schnell mit einem festen Vertrag rechnen. Übrigens zeigt sich in der von Männern dominierten Branche: Wenn sich junge Frauen erst einmal im Studium durchgebissen haben, sind ihre Anstellungschancen gar nicht schlecht.

Genauso uneinheitlich wie die Praxis der Firmen bei den Rekrutierungsbemühungen ist, fällt auch das Urteil der Branche über Fähigkeiten und Kenntnisse des Ingenieurnachwuchses aus. Die einen vermerken kritisch, dass es bei so manchem eingefleischten Maschinenbauer am Kommunikationswillen fehle, und dass vielen der unaufhaltsame Vormarsch des Rechners in ihr Metier ein Greuel sei. Andere Firmenchefs dagegen sind des Lobes voll über die fundierten IT-Kenntnisse, die FH- und Uni-Absolventen schon völlig selbstverständlich mitbrächten.

Die Verbände haben ein eigenes Studienmodell entwickelt. Die deutsche Ingenieurausbildung soll um eine internationale Komponente erweitert werden. Die Unternehmerlobby wünscht sich weltweit kompatible Abschlüsse wie Bachelor, Master und Doctor of Philosophy (Ph.D.). Vor allem aber sollen die angehenden Fachkräfte einen Teil des Studiums im Ausland verbringen. "Gerade die international aktiven Unternehmen der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie sowie des Maschinen- und Anlagenbaus sind auf qualifizierte Partner, Kunden und Mitarbeiter mit Erfahrungen in anderen Kulturkreisen angewiesen", heißt es im Hochschulpapier von VDMA und ZVEI. Inzwischen rückt auch die Möglichkeit der betrieblichen Weiterqualifizierung von Fach- und Führungskräften im Ausland ins Blickfeld der Firmen. Gute Zeiten für Grenzgänger!