Der erste Kontakt zwischen Bewerbern und Personalern wird virtuell

Vom Schreibtisch aus über die Rekrutierungsmesse schlendern

20.10.2000
Die lästige Anreise entfällt, das Gedränge in den Hallen ist eine vage Erinnerung aus vergangenen Tagen. Stattdessen flanieren Bewerber als 3D-Wesen über die Recruiting-Messe, sehen sich an einem Stand die Stellenangebote an und unterhalten sich am nächsten kurz mit einem Aussteller. Entpuppt sich das Angebot als attraktiv, gibt der Interessent seine digitale Bewerbungsmappe ab.

Wir schreiben erst das Jahr 2000, und virtuelle Messen stehen erst am Anfang ihrer Möglichkeiten. Trotzdem finden Bewerber unter http://www.jobfair24.de seit einigen Monaten eine Rekrutierungsmesse im Internet. Während klassische Messestandorte wie Leipzig oder Köln beim Stichwort "Digitale Messe" gelangweilt abwinken und darin keine ernst zu nehmende Konkurrenz sehen, könnte es im Recruiting-Bereich eine sinnvolle Ergänzung bieten.

Die 3D-Recruiting-Messe der Uniworker aus Konstanz ermöglicht Studierenden, Hochschulabsolventen und Young Professionals die Stellensuche vom Schreibtisch aus. Auf dem drei- oder zweidimensionalen Messegelände kann man die Stände der Unternehmen besuchen, die aktuellen Stellenangebote begutachten und die digitale Bewerbungsmappe abgeben. Seit 10. April 2000 ist die Site online, und jobfair24 verbucht momentan zirka 200000 Page-Views pro Monat. Bisher sind 15 Firmen mit einem eigenen Stand auf der Messe vertreten, sechs weitere Stände sind gerade bei den Programmierern in Bearbeitung.

Schon heute sind namhafte Großunternehmen wie Andersen Consulting, Daimler-Chrysler, VW oder die Deutsche Börse auf der virtuellen Messe präsent. Zwar ist die Nachfrage von Bewerberseite momentan noch bescheiden, doch die Zahlen steigen. "Die ganze Sache ist professionell aufgemacht, und die Zielgruppe ist sehr interessant für uns", so René Schneider von der Deutschen Börse. Gerade beim regelmäßigen Online-Chat ist die Resonanz besonders groß.

Die Programmierung der Stände übernimmt jobfair24 für seine Kunden. In der Bewerberdatenbank haben bisher 1900 Studierende ihr Profil hinterlegt. Demnächst soll es Firmen möglich sein, in der Datenbank nach Bewerbern zu suchen - allerdings nur in einer anonymisierten Form und mit Zustimmung der Bewerber. "Wir bieten eine Plattform für den Erstkontakt zwischen den Unternehmen und den Bewerbern", so Jochen Schlolaut, Marketing- und Vertriebsexperte der virtuellen Messe. Während des Semesters bietet die 3D-Messe einmal pro Monat einen Recruiting-Tag an. Die Personaler stehen dann von 10 bis 18 Uhr für Fragen und die erste Kontaktaufnahme per E-Mail zur Verfügung, in den Semesterferien von 14 bis 18 Uhr.

Passt das Profil des Bewerbers zur ausgeschriebenen Stelle, kann der Chat in ein erstes Telefoninterview übergehen und möglicherweise bereits ein reelles Vorstellungsgespräch vereinbart werden. Zusätzlich bieten Firmen wöchentliche Chats für die potenziellen Bewerber an. Momentan können die Personalverantwortlichen und Studierenden nur über eine Textzeile chatten, doch für den Herbst planen die Konstanzer, Headsets an die Studierenden zu verteilen, um den Chat per Internet-Telefon anzubieten.

An manchen Messetagen kommen bis zu 1000 Besucher und schauen sich nach interessanten Angeboten um. Der Spaß darf dabei nicht zu kurz kommen. Die Bewerber geben sich nach ihrer Anmeldung eine virtuelle Identität. Dazu stehen für Frauen und Männer jeweils zehn bis zwölf virtuelle barbiepuppenartige Wesen, Avatare genannt, zur Verfügung. "Wir haben nicht nur die klassischen Anzugträger, sondern auch leger gekleidete Avatare zur Auswahl", erklärt Schlolaut, denn Informatiker könnten sich eher mit einem unkomplizierten Kleidungsstil identifizieren, so seine Erfahrung. Beim hinterlegten Bewerberprofil gehört auch ein digitales Foto dazu. Dort kann die Firma dann vergleichen, ob die Kunstfigur Ähnlichkeit mit dem realen Bewerber hat.

"Das Ganze hat einen spielerischen Hintergrund", so Schlolaut. Bei den Chats haben die Personaler auch die Möglichkeit, aktiv auf die Bewerber zuzugehen. Mit der Frage in die Chat-Runde "Wer hat Informatik mit dem Schwerpunkt Datenbankprogrammierung studiert und hat Projekterfahrung im Gesundheitsbereich?", melden sich mit etwas Glück entsprechende Bewerber während des Chats direkt beim Firmenvertreter.

Passt das Profil, schiebt der Bewerber seine digitale Bewerbungsmappe rüber, und beide Seiten können sofort klären, ob sie mit einem Telefoninterview in die erste Vorstellungsrunde gehen. Das Messeangebot ist für die Bewerber - von den Telefongebühren abgesehen - kostenlos. Die Firmen zahlen für den Messestand 15000 Mark für sechs Monate. Im Preis sind die Programmierung des Standes und alle Kommunikations-Tools enthalten. Ob die Firmen fünf oder 150 Stellenangebote online stellen, macht bei jobfair24 im Vergleich zu Online-Stellenbörsen keinen Unterschied.

Möglicherweise laufen die Avatare bald mit den projizierten Gesichtern der Bewerber durch die Messehallen. Technisch ist das kein Problem. Ob es dann noch so viel Spaß macht, ist eine andere Frage. Inkognito durch die 3D-Welten schlendern hat nämlich einen ganz besonderen Reiz.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.