Mobile Devices/Meta-Group: OS-Varianten hemmen die Entwicklung

Vom Mobile zum Pervasive Commerce: Auguren erwarten einen Plattformkrieg

08.09.2000
Der Sprung vom Electronic zum Mobile Commerce ist schon gewaltig. Folgt man den Expertenprognosen, potenzieren sich Marktmacht und Anforderungsprofil sogar. Einen Schritt weiter geht nun die Meta Group und führt den Begriff Pervasive Commerce ein. Was es damit auf sich hat und welche Konsequenzen auf Unternehmen zukommen, hat Winfried Gertz* unter die Lupe genommen.

Da staunt der Laie, und der Experte wundert sich. Kaum hat man sich damit vertraut gemacht, dass das Handy nicht mehr zur Imagepflege, sondern zum unverzichtbaren Begleiter heimatloser Business-Nomaden, schnatternder Teenies und um ihre Brut besorgter Eltern avanciert ist, soll es bald nur noch eines unter vielen anderen so genannten "Mobile Devices" sein. Zumindest in der geschäftlichen Kommunikation zwischen mobilen Anwendern und ihren Kollegen im Büro werden auch Laptops, Notebooks, Handhelds und Pager ihren Dienst tun, um den Informationsfluss unter der Maßgabe "anytime, anywhere" gewinnbringend zu steuern. Ob man es glaubt oder nicht - sogar über den Internet-fähigen Bildschirm im Auto kann sich der geschäftliche Anwender in den Datenstrom einfädeln. Die neue Spielart des Pervasive Commerce (P-Commerce), so die Meta Group, soll bereits in den Jahren 2001/2002 im geschäftlichen sowie 2003/2004 im privaten Bereich in voller Breite zum Einsatz kommen.

"Unternehmen, die sich heute auf das Wireless Application Protocol (WAP) konzentrieren und ihre mobilen Anwender mit entsprechenden Handys ausstatten, begehen einen großen Fehler", schreibt Jack Gold, Analyst der Meta Group, in einer Studie. Besser beraten seien sie, eine Vielzahl von verkabelten sowie drahtlosen Mobile Devices als Clients in ihre erweiterten IT-Architekturen einzubinden, zumal die Mehrheit der Anwender gleich mehrere dieser Gerätschaften mit sich herumschleppe. Sie alle müssten Anwendungen wie E-Mail, Terminplanung, Personalführung sowie Auftrags- und Vertriebs-Management ermöglichen und vor allem miteinander kompatibel sein.

Auf der anderen Seite, so Gold, dürften mittelfristig immer mehr Anbieter in Business-to-Consumer-Märkten dazu übergehen, ihren Kunden subventionierte "Info Appliances" zur Verfügung zu stellen, damit sie sich schneller als andere informieren und die neuen Offerten auch gleich ordern können. Virgin Records beispielsweise bietet Kunden, die sich in den Mega Stores mit neuen Musik-CDs eindecken und nichts dagegen haben, dem Pop-Multi wichtige Informationen über ihre Shopping-Vorlieben online zur Verfügung zu stellen (Clickstream Analysis), solche Geräte bereits an.

"Je mehr sich P-Commerce durchsetzt", hat Gold herausgefunden, "desto schneller werden Unternehmen ihre Maßnahmen zur Kundenbindung (Customer Relationship Management) mit Info Appliances realisieren. Der so ausgerüstete Anwender reserviert auf Knopfdruck einen Platz im Restaurant, zahlt die Maut auf Autobahnen oder checkt seine Kontobewegungen."

Ein solcher Ansatz hat erhebliche Konsequenzen nicht nur für die Konzeption von IT-Architekturen, sondern auch für das Design der zu integrierenden "Gerätschaften". Sie müssen nämlich erheblich anwenderfreundlicher gestaltet werden. Die Bedienung von Computertastaturen, wie sie im geschäftlichen Anwendungsbereich überwiegen, ist für die meisten User eine viel zu aufwändige Verrichtung. Je mehr sich allerdings die Anwendungen auf mobile Bereiche verlagern und dort unter der Devise "anytime, anywhere" ihren Dienst tun, umso einfacher müssen auch Interfaces und Bedienflächen gestaltet sein. "Ergonomisch reizvoll und zugleich kinderleicht", so Gold, hätten die mobilen Assistenten der Zukunft auszusehen. Das heute in der PC-Anwendung übliche Verfahren - man geht zu einem Rechner, schaltet ihn ein und lädt die Anwendung - wirkt dagegen ziemlich altbacken. Das neue Anforderungsprofil: so leicht wie die Bedienung eines Telefons, also jedem Menschen vertraut.

In Zukunft wird vieles anders sein als bisher. Ein Monopol wie zu Windows/Intel-Zeiten ist in der Ära des P-Commerce jedenfalls nicht zu erwarten. Vielmehr müssen sich Unternehmen darauf einstellen, zumindest in den nächsten drei bis fünf Jahren ein Sammelsurium aus WML, HTML, HDML, XML/XSL sowie proprietären Schnittstellen unter einen Hut zu bringen.

Windows CE tritt noch nicht ernsthaft hervorDamit nicht genug: Die Meta Group ist davon überzeugt, dass zahlreiche OS-Varianten wie Palm-OS, Windows CE oder Linux sowie ein Vielfaches an Chips (MIPS, SH3/4, Gerode, StrongARM, Transmeta) und Anbietern (HP, Casio, Compac, Intel, IBM, Gateway, Sony, Ericsson, Nokia, Motorola, Psion) den Schritt in den P-Commerce nicht gerade erleichtern. Dies habe zur Folge, dass die Synchronisierung von Daten aus unterschiedlichen Plattformen ein Vielfaches an Support nach sich ziehe. Welche Organisation, um nicht zu fragen, welcher IT-Shop ist darauf vorbereitet?

Ungeachtet dessen erwarten die Auguren eine Marktentwicklung, bei der vor allem Palm, Windows CE, Symbian sowie Linux den Ton angeben sollen. Bei einer allgemeinen Zunahme der drahtlosen Transaktionen von 15 bis 25 Prozent bis zum Jahr 2003 wird die aktuell führende Palm-Plattform laut Meta Group von einem Marktanteil von derzeit rund 80 Prozent auf etwa 50 Prozent zurückgehen. Und das trotz einer Erhöhung der Absatzzahlen und neuer Lizenzvereinbarungen mit Handspring, Symbol, Sony oder 3Com. Gold: "Palm benötigt ein Facelifting." Denn das Betriebssystem basiere auf einem zehn Jahre alten Mikroprozessor und unterstütze nur 16-Bit-Anwendungen. Zudem suche man bei Palm vergeblich nach Services wie zum Beispiel Asset Management oder Installationshilfen, mit denen jedoch Drittanbieter wie TRG, XcelleNet oder On Technology bereits erfolgreich aufwarten.

Ergonomische Erleichterung erwünschtMit großen Anlaufschwierigkeiten hat Microsoft zu kämpfen. Laut Gold dürften noch bis zu anderthalb Jahre vergehen, bis Windows CE ernsthaft in Erscheinung treten könne. Noch würde die vergleichsweise "schwergewichtige" Betriebssystemumgebung dem Wunsch der Anwender nach ergonomischer Erleichterung kaum entsprechen. "Einen guten Job" indes habe Microsoft mit dem Launch der Pocket-PC-Plattform gemacht, so der Analyst. Wie auch bei vergleichbaren Offerten von Compaq und HP komme der Anwender nun endlich auf seine Kosten. Insbesondere Anwender im Highend, die farbige Displays, Web-Browsing und eine Integration mit Outlook favorisieren, würden laut Meta Group die Angebote zu einem Preis von 500 bis 600 Dollar in den kommenden Monaten verstärkt nachfragen.

Vorteil von Windows CE: Neben der Unterstützung durch eine breite Herstellerschar sprächen für das System die bekannten Gestaltungselemente wie zum Beispiel Icons, die vor allem in unternehmensweiten Anwendungen favorisiert würden. Zudem liefere Windows CE Anknüpfungspunkte für Werkzeuge wie Visual Basic, Visual C++ oder Visual J++ und unterstütze zahlreiche Prozessoren wie MIPS, SH3, ARM und Strong ARM. Ebenso unterstützt würde eine Vielzahl von Treibern und Connectivity Sockets. O-Ton der Studie: "Langfristig wird Windows CE in Business- und vertikalen Märkten dominieren." Palm dagegen bliebe auf Anwendungen von geringem Datenvolumen beschränkt, die durchaus auch von WAP-Handys und den üblichen Jackentaschenrechnern (Handhelds, PDA) zu bewältigen sind.

Wenig Gewicht außerhalb des Telekom-MarktsEine weitere Variante des Angebots ist Symbian. Die Plattform basiert auf dem EPOC-Betriebssystem von Psion, das seit einiger Zeit von Giganten wie Nokia, Ericsson, Motorola und Panasonic unterstützt wird. Die daraus resultierenden Stärken relativieren sich laut Meta Group jedoch angesichts der mit P-Commerce verknüpften Herausforderungen. Zudem sei die PDA-Technologie in ihrem aktuellen Entwicklungskontext zu sehr auf WAP-Handys fixiert. Jenseits des Telekommunikationsmarktes habe die Plattform wenig Gewicht. Zudem bröckle die einst enge Herstellerfront zusehends auseinander, wie die aktuelle Zusammenarbeit zwischen Ericsson und Microsoft auf dem Gebiet des Microbrowser-Technik unterstreiche.

Als eine weitere Möglichkeit bietet sich Meta Group zufolge Linux an. Linux habe den Vorteil, volle Betriebssystem-Funktionalität auf individuelle Anforderungen herunterbrechen zu können. Allerdings würden bis dato nur wenige Applikationen angeboten, so Analyst Gold. Zwar entwickelten Hersteller wie Intel, Compaq oder Gateway spezielle Anwendungen und Utilities für Linux. Sie hätten allerdings nicht die Funktionalität, die Anwender von Windows CE oder Palm Pilot her kennen. Linux-Angebote seien deshalb aus Sicht der Meta Group kurzfristig nur im Niedrigpreismarkt zu erwarten.

Eine bescheidene Rolle im Bereich P-Commerce dürfte nicht zuletzt auch Java spielen. Hauptprobleme laut Meta Group: mangelnder Support jenseits des Sun-Einflussbereichs sowie unzureichende Wettbewerbsfähigkeit durch zu hohen Prozessorbedarf. Sollte sich die Prognose bewahrheiten, steht dem Hersteller, der wie kein anderes Unternehmen mit der Internet-Ära assoziiert wird, ein großes Problem ins Haus. Auf Scott McNealy''s Antwort auf die P-Commerce-Herausforderung darf also mit Spannung gewartet werden.

* Winfried Gertz ist freier Journalist in München.

Abb: Szenario unterschiedlicher Formen der Zusammenarbeit im Web. Quelle: Meta Group