CIOs wollen in Weiterbildung investieren und steigern ihre Anforderungen an Spezialisten

Vom IT-Handwerker zum Architekten

30.01.2004
MÜNCHEN (hk) - Die IT-Chefs schrauben zu Beginn dieses Jahres die Ansprüche an ihre IT-Experten gewaltig nach oben. Sie erwarten von ihnen, dass sie neben Details der Programmierung auch den Blick für das Ganze nicht verlieren und die betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkte stärker als früher berücksichtigen.

Arbeiten mit dem ganzheitlichen Blick

Friedrich Wöbking, IT-Vorstand des Münchner Allianz-Konzerns, geht davon aus, dass die Budgets für Weiterbildung in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr "leicht wachsen" werden. Allerdings räumt er ein, dass die Gelder für die Schulung der Mitarbeiter in der Verantwortung der einzelnen Fachbereiche liegen. Aus diesen Töpfen werden nicht nur die IT-Schulungen bezahlt, sondern auch andere Weiterbildungsmaßnahmen für alle Mitarbeiter. Wöbking setzt dabei verstärkt auf E-Learning: "So können wir für weniger Kosten mehr Programm anbieten."

Neben konkretem Know-how über einzelne IT-Systeme und Programmiersprachen geht es bei der Schulung der Allianz-Computerfachleute insbesondere um Projekt-Management und IT-Consulting. "Diese Themenbereiche mit einem ganzheitlicheren Blick auf die IT-Prozesse haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen", so der Allianz-Vorstand.

Laut Wöbkings Aussage ist IT nicht nur ein separater Prozess, der funktionieren muss, sondern ein fester Bestandteil der Geschäftsprozesse und das "erfordert Überblick und Verständnis für Schnittstellen". Deshalb erwartet Wöbking künftig mehr Verständnis für die Geschäftsprozesse der Kunden und mehr Beratungs-Know-how, das den einzelnen Abteilungen der Bank zugute kommen soll.

Erst wenn die hausinternen Kapazitäten nicht ausreichen, dürfen externe Berater und Freiberufler ran. "Wir setzen immer wieder Externe ein, um Fähigkeiten hinzuzugewinnen und sie dann bei uns zu integrieren", so Wöbking. Eine gewisse Quote an Externen in den IT-Kernprozessen gehört zur Unternehmensstrategie, "um die erforderliche Flexibilität beim Einsatz der IT- Mitarbeiter erreichen zu können".

SAP- und Microsoft-Themen bleiben wichtig

Rainer Janßen, CIO der Münchener Rück, des weltweit größten Rückversicherers, ist überzeugt, dass er sein Weiterbildungsbudget nicht kürzen muss. Auf der Trainingsliste ganz oben steht für ihn das Thema SAP, "da wir unsere Kernsysteme in der Rückversicherungsadministration von der Eigenentwicklung auf SAP-Standardprodukte umstellen". Weiteres wichtiges Trainingsthema sind für den promovierten Mathematiker Microsoft-Produkte.

"Auch wenn der Aufbau des .NET-Know-hows weitgehend abgeschlossen ist, werden Microsoft-Inhalte weiterhin erheblichen Weiterbildungsbedarf erzeugen", erklärt der IT-Manager des weltgrößten Rückversicherers. Um diesen gerecht zu werden, will sich auch die Münchener Rück in Zukunft stärker dem Thema E-Learning widmen. Bei den so genannten weichen Inhalten sieht der IT-Chef Bedarf auf dem Gebiet des Projekt-Managements und dem Arbeiten in Netzwerken. Um den Weiterbildungsbedarf zu steuern, haben die Münchner ein Skill-Management-System entwickelt, in dem für jeden Mitarbeiter ein Soll-Profil der wichtigsten Funktionen abgelegt ist, um dann daraus den Aus- und Weiterbildungsbedarf abzuleiten.

Laut Janßen haben sich die Aufgaben und Anforderungen an die IT-Beschäftigten in den vergangenen Jahren stark verändert. "Da wir auf vielen Gebieten eine konsequente Strategie des Outtasking, also des Ausgliederns nicht unternehmenskritischer, operativer Tätigkeiten verfolgen, verschiebt sich die Tätigkeit der internen Mitarbeiter zunehmend auf Steuerungs-, Architektur- und Fachkonzeptentwicklungsaufgaben." Wichtig sei, dass die IT-Experten die Bedarfe und Prozesse der Fachbereiche sehr genau verständen und sie in die geeignete IT-Architektur übersetzen könnten. Sie müssen die Möglichkeiten der neuen Technologien ausloten und sie in die unternehmenseigene IT-Landschaft integrieren. Ausgegliederte Aufgaben sollten sie als Service-Manager steuern und konzeptionell weiterentwickeln.

Vor allem im Systembetrieb setzt das Unternehmen seit Jahren "sehr stark" auf Outtasking. Der Rückversicherer hat sich seit dem Jahr 2000 am Standard IT Infrastructure Library (Itil) ausgerichtet und systematisch alle Teilprozesse wie 7x24-Desktop-Services, Hotline und Corporate Network, die er nicht selbst effizient betreiben kann, nach außen gegeben. "Dadurch können wir bei großen Rollouts sehr flexibel agieren, aber auch den Aufwand im Helpdesk oder in der Schulung schrumpfenden Budgets leicht anpassen", schildert Janßen.

In der Anwendungsentwicklung strebe man als Zielgröße ein Verhältnis von internen zu externen Mitarbeitern von zwei zu eins an. "Wegen einiger Großprojekte sind wir aktuell leider eher bei eins zu eins", resümiert der Manager. Ihm sei wichtig, "mit Projekten und Technologien zu atmen", andererseits aber auch die Gewissheit zu haben, die eigene Kernlandschaft unter Kontrolle zu behalten. Dabei stützt er sich auf eine sehr beschränkte Zahl strategischer Partner, deren Leistung die Rückversicherung im Rahmen ihres Qualitäts-Management-Systems beobachtet, jährlich bewertet - und gegebenfalls auch austausche.

Für die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern formuliert Janßen folgende Anforderungen: deutliche Präsenz am Standort, klares Dienstleistungsprofil, eine gewisse kritische Größe (ab 1000 Mitarbeiter), und eine "hohe Konstanz in der Kundenschnittstelle". Dabei sind ihm allzu große Dienstleister eher suspekt.

Einzelkämpfer und Kleinfirmen kommen bei ihm allerdings nur dann zum Zug, wenn es um Spezialkompetenzen geht, die für begrenzte Zeit und mit begrenztem Volumen eingekauft werden.

Ende der tayloristischen IT-Jobs

Der IT-Vorstand der Postbank, Dirk Berensmann, möchte dieses Jahr stärker in die Weiterbildung investieren als die Jahre davor, weil "massive Re-Skilling-Programme der internen Mitarbeiter und Führungskräfte in Verbindung mit einer Neuorganisation anstehen". Das bedeutet vor allem, dass Beschäftigte, die über zu wenig aktuelles IT-Wissen verfügen, auf zeitgemäße Technologien umgeschult werden müssen. Schwerpunkte der Kurse werden dabei unter anderem die Themen SAP,Java/J2EE-Entwicklerinhalte, Projekt-Management, moderne Datenbanken ("Bei uns läuft die größte DB2-Datenbank unter SAP") sowie Architekturen (insbesondere Multichannel, Dokumenten-Management und Middleware) sein.

Der frühere McKinsey-Berater erwartet von seinen IT-Fachleuten, dass sie auf ihrem Gebiet absolut fit sind. Zugleich setzt er voraus, dass sie im Gesamtkontext denken, Komplexitätstreiber erkennen und beseitigen, methodisch vorgehen können sowie ein Grundverständnis betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge mit Fokus auf Kosten-Management besitzen. Weniger wichtig werde in Zukunft die Organisationsprogrammierung nach dem "Wasserfallmodell" sowie Kenntnisse der klassischen Programmiersprachen wie Cobol.

Berensmann zeigt sich überzeugt, dass sich seine Mitarbeiter auf ein neues IT-Zeitalter einstellen müssen, "weg von rein funktionalen, arbeitsteiligen, also tayloristischen IT-Rollen und Jobs hin zu Skillpools entlang den drei IT-Wertschöpfungsstufen Architektur-Management, Projekt-Management und Ressourcen-Management für den integrierten Anwendungs- beziehungsweise Technologiebetrieb".

Der IT-Boss der Postbank ist dabei, die Zahl der Freiberufler zu reduzieren, vor allem nach dem Beenden von Großprojekten. Die Externen werden nur noch "sehr gezielt in Projekten eingesetzt, wenn wir spezielles Wissen benötigen". Die Flexibilisierung der Kosten spielt dabei keine Rolle. Freiberufler seien nämlich "gegenüber internen Ressourcen viel zu teuer, als dass sich die Flexibilisierung rechnet". Die Selbständigen hätten nur dann eine Chance, wenn sie "exzellentes Fachwissen besitzen, mit der Bereitschaft, dieses weiterzugeben".

Darüber hinaus erwartet der 41-jährige Mathematiker von den Freelancern konkrete Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten. Außerdem dürften sie keineswegs teurer sein als freie Kollegen mit vergleichbaren Qualifikationen. Null Chancen haben bei ihm "Rookies", die erst beim Kunden ausgebildet werden, Externe, die nur andere Externe/Interne managen wollen, "Black-Box-Externe", also solche, die kein Know-how an andere weitergeben, und diejenigen, die Preise über dem Marktdurchschnitt verlangen.

Machbarkeit vor Perfektionismus

Steffen Röhn, IT-Geschäftsführer der T-Mobile in Bonn, will in diesem Jahr vor allem in die interkulturelle Zusammenarbeit seiner Mitarbeiter investieren und das Thema Projekt-Management forcieren. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass der promovierte Physiker und ehemalige Berater mit Volldampf an der Integration aller europäischen IT-Aktivitäten seines Unternehmens arbeitet. T-Mobile wuchs nämlich in den vergangenen Jahren durch den Erwerb einiger Firmen in Europa enorm.

Auch technologische Themen stehen immer weit oben auf der Prioritätenliste, wie der 39-jährige Manager versichert, "diesmal angeführt durch EAI, J2EE, Portaltechniken, XML und neue Produkte aus dem Content-Geschäft, aber auch Testautomatisierung". An Bedeutung verloren haben dagegen klassische IT-Entwicklungsthemen wie Java oder objektorientierte Programmierung, da die Ausbildung abgeschlossen sei.

Was die Qualifikation seiner IT-Leute angeht, erwartet Röhn eine gesunde Mischung aus Fachkompetenz und Kenntnis des Geschäftes, also die "Business-Analyse und den Blick für das Ganze gepaart mit technologischem Spitzen-Know-how". Für ihn sei eine pragmatische Herangehensweise an die Probleme wichtiger als der perfektionistische ansatz des Best of Breed.

Um all die zahlreichen Projekte zu stemmen, wird der Bonner IT-Chef weiterhin mit Freiberuflern zusammenarbeiten, allerdings hängt er die Messlatte hoch, denn er erwartet "überdurchschnittliche Erfahrungen und Qualifikationen". Ziel sei, dass Verhältnis von eins zu eins zwischen festen und freien Mitarbeitern auf keinen Fall zu Ungunsten der Festen zu verändern: "Das Kernwissen wie Projekt-Management, Business-Analyse, Anforderungen und Design muss im Hause bleiben." Das reine Coding und die Testausführung erledigen die Externen, die "zwar etwas teurer als die eigenen Leute sind, aber eine höhere Flexibilität mitbringen".

Keine so große Rolle wie in der Öffentlichkeit diskutiert spiele für ihn das Thema Offshore-Programmierung, "da wir zunehmend auf Standardprodukte setzen". Wenn eine Eigenentwicklung vorgesehen sei, dann nur dort, "wo es einen strategischen Mehrwert gibt, und dann bewältigen wir das mit eigenen Leuten". Offshore sei "eine immer geprüfte Option, bislang allerdings ohne nachhaltigen Erfolg".

Hohes Maß an Lernbereitschaft

Clemens Jochum, Chief Technology Officer (CTO) der Deutschen Bank in Frankfurt am Main, beobachtet einen "grundlegenden Profilwandel" der IT-Organisation. Im künftigen Arbeitsmodell werde sie sich verstärkt konzeptionellen Tätigkeiten wie Design und IT-Architektur, der IT-Governance, aber auch dem Sourcing- und Vendor-Management als Kernkompetenz widmen und weniger auf rein technische Arbeitsschritte wie Programmierung konzentrieren.

Für die Mitarbeiter der IT-Abteilung ergäben sich aus dieser Entwicklung "anspruchsvolle und interessante Perspektiven". Das künftige Arbeitsmodell bietet nach Jochums Meinung "inhaltsreichere und komplexere Wirkungskreise und neue Arbeitsmöglichkeiten", fordere aber auch ein hohes Maß an Lernbereitschaft. Die neuen Anforderungen resultieren in einem veränderten Profil und Selbstverständnis der IT-Mitarbeiter: vom Handwerker zum Kaufmann und Architekten.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung seien die kontinuierliche Weiterentwicklung und Förderung der Mitarbeiter laut Jochum "unerlässlich". Deshalb habe die Deutsche Bank in den letzten Monaten für den IT-Bereich ein Kompetenzmodell entwickelt, das die Beschäftigten dabei unterstützen soll, "den zu ihren Aufgaben passenden Weiterbildungsbedarf zu identifizieren". Alle Schulungs- und Förderprogramme wurden diesen Kompetenzen angepasst.

Dabei zählt Jochum zu den IT-Kernkompetenzen die Projektorganisation, die Architekturentwicklung, die strategische Planung und die Steuerung der Zulieferer. Diese müssten deshalb im Haus verbleiben. Alle übrigen Bereiche könnten "auf eine mögliche Sourcing-Optimierung untersucht werden". Hierbei sei abzuwägen, ob intern, extern oder durch eine Kooperation die Dienstleistung schneller, innovativer oder günstiger darstellbar ist. Zudem sollte analysiert werden, ob durch das Sourcing spezifische Risiken oder Abhängigkeiten entstünden.

Personalpolitik 2004

Die COMPUTERWOCHE befragte einige deutsche IT-Schwergewichte der Republik, also CIOs mit mehreren tausend Mitarbeitern und zum Teil über einer Milliarde Euro Budget, welche Weiterbildungsthemen ihnen in diesem Jahr wichtig sind, wie sich die Anforderungen an ihre Mitarbeiter verändern werden und was sie von ihnen erwarten. Ferner sollten sie die Frage beantworten, ob sie aufgrund des gestiegenen Kostendrucks an Offshore-Aktivitäten oder einen verstärkten Einsatz von Freiberuflern denken.

Das verlangen die CIOs

- Mehr Projekte steuern als programmieren;

- Beratungswissen und Verständnis für Geschäftsprozesse;

- externe Dienstleister steuern und kontrollieren;

- das fachspezifische IT-Wissen muss aktuell gehalten werden;

- Freiberufler sollten überdurchschnittlich qualifiziert sein und marktgerechte Preise verlangen;

- Externe Berater müssen bereit sein, ihr Wissen in Kundenprojekten weiterzugeben.