Hochschulen wollen Existenzgründer fördern

Vom Hörsaal in den Chefsessel

23.04.1999
Die Wissenschaft will ihren Elfenbeinturm verlassen und sich der Praxis öffnen. Jedenfalls dann, wenn es darum geht, jungen Akademikern den Weg zum eigenen Unternehmen zu erleichtern.

von Gabriele Müller*

Wäre dem Studenten Urs Keller beim Basketball nicht ein gegnerischer Spieler in die Quere gekommen, würde es die Firma Websolute vielleicht nicht geben. So aber hatte er nach der Knieverletzung Zeit genug, um über seine berufliche Zukunft nachzudenken. Die beschloß er mit Dirk Schwartz anzugehen. Kennengelernt hatten sich die beiden beim Sport. Heute sind sie Geschäftspartner und Gründer eines Unternehmens in Karlsruhe, das digitale Dienstleistungen anbietet.

Eigentlich dürfte es so etwas wie die beiden Jungunternehmer gar nicht geben. Denn deutsche Studenten sind - glaubt man den offiziellen Hochschulstatistiken - nur auf eines fixiert: einen sicheren Job im öffentlichen Dienst zu finden. Mut und Risikofreude scheinen für den Durchschnittsstu-denten Fremdwörter zu sein. Schwartz und Keller sind ein Gegenbeispiel. Vor rund zweieinhalb Jahren haben sie ihr eigenes Unternehmen auf die Beine gestellt, auch wenn sie noch studierten. Informatik der eine, Wirtschaftsingenieurwesen der andere. "Eine ideale Kombination" findet Schwartz, zu dessen Aufgaben Kundenbetreuung und Projektleitung gehören, während Keller Administration, Werbung und Marketing übernimmt.

Karlsruher Business Angel half kräftig mit

Begonnen hat alles mit rund 15 Kunden, für die sie Serviceangebote rund um das Internet entwickelten. Heute zählen sie etwa 70 Unternehmen aus den Regionen Karlsruhe und München zu ihren Kunden, aus der GbR ist mittlerweile eine GmbH mit fünf Gesellschaftern geworden. "Am Anfang ging alles noch ohne gezielte Werbung oder Akquisition - Empfehlungen genügten."

Das Team engagierte allerdings schon früh einen Unternehmens- und Steuerberater und fand in Friedrich Georg Hoepfner, Chef der Karlsruher Hoepfner Privatbrauerei, den passenden Mentor.

Nach dem Vorbild der amerikanischen Business Angels stand der erfahrene Wirtschaftsboß den Newcomern mit Rat und Tat zur Seite. Über Hoepfner, den Vorsitzenden des Karlsruher Cyberforums, einer Existenzgründerinitiative für IT-Firmen, knüpften sie Kontakte zu potentiellen Kreditgebern und weiteren Geschäftspartnern. Heute bieten die Karlsruher eine ganze Palette von Dienstleistungen an - von Webhosting über Webdesign und Internet-Marketing bis hin zu Consulting-Leistungen.

Beim Thema Firmengründung graben sich dagegen bei Andreas Kämper höchstens tiefe Sorgenfalten in die Stirn. Auch er ist ein Newcomer, aber einer mit Problemen. Daß für ihn längst nicht alles so glatt läuft, liegt an seiner besonderen Situation. Mit der Diplomarbeit im Fach Automatisierungstechnik entwickelte der Wuppertaler ein digitales Bildbearbeitungssystem weiter, das der Ob- jekterkennung und -vermessung dient und "fast überall einsetzbar ist. Ob Schlüssel oder Skalpelle, das System liefert sehr schnell eine Fülle von Daten zur Auswertung und Weiterverarbeitung", schildert der Elektrotechnik-Ingenieur. Die Rechte daran liegen jedoch bei dem Hochschullehrer, der das Ursprungsprodukt konstruierte. So plagt sich der Gründer in spe zur Zeit noch heftig mit der Frage von Lizenzgebühren herum, statt Kunden zu akquirieren.

Dabei bekommt Kämper in Nordrhein-Westfalen eine ganz besondere Art der Unterstützung von "Pfau". Dahinter steckt das "Programm zur finanziellen Absicherung von Unternehmensgründern aus Hochschulen". Dessen Intention besteht darin, die Weiterentwicklung einer Produkt- oder Verfahrensidee bis zur Marktreife zu begleiten.

Das Programm übernimmt die Kosten für einen "halben" wissenschaftlichen Assistenten und gewährt der Hochschule außerdem einen jährlichen Zuschuß von 2000 Mark. Schon 180 Anträge haben die Universitäten an Rhein und Ruhr bei der Mühlheimer Zenit GmbH, dem Projektträger von Pfau, gestellt. Rund 70 davon wurden bewilligt. Ähnliches, so Zenit, gibt es nur noch in Bremen.

Durch Pfau soll der Lebensunterhalt des Jungunternehmers gesichert und die Hochschule in die Lage versetzt werden, den Gründer mit technischem und wissenschaftlichem Know-how sowie Räumlichkeiten zu unterstützen. Der Absolvent, der an der Hochschule damit eine Arbeitnehmerposition einnimmt, kann das eigene Unternehmen gründen. Zu seiner Unterstützung hat auch Kämper ein "Beratungsscheckheft" im Wert von 10 000 Mark bekommen, mit dem er sich nun verschiedene Beratungsdienstleistungen einkaufen kann.

Den Elektrotechnik-Ingenieur beschäftigt zur Zeit die Frage, ob er als Gesellschafter in eine Firma einsteigen oder selbst eine gründen soll: "Eigentlich würde es sich anbieten, in ein bestehendes Unternehmen einzusteigen, das sich mit Rehabilitationshilfen für Behinderte beschäftigt."

Damit wären Raumsuche, Administration, Kundengewinnung und viele andere Stolpersteine schon umgangen. Doch da stehen die Frage des Kapitals und eine zermürbende Auseinandersetzung mit den Banken an. Also doch lieber ein neues Unternehmen gründen und auf Existenzgründungsprogramme und -zuschüsse hoffen?

Universität gründet Lehrstuhl für "Entrepreneurship"

Mit solchen Fragen ist Kämper nicht allein. Daß der Weg zum Ziel längst nicht immer geradlinig verläuft, liegt vielfach nicht am fehlenden fachlichen Know-how der Jungakademiker, sondern am mangelnden Wissen um Marktlücken, Business-Pläne, Rentabilität, Kapitalbeschaffung oder Marketing. Grund genug für viele Hochschulen, nicht länger nur Wissenschaft, sondern auch wirtschaftliches Denken zu vermitteln. Bundesweit proben die Hochschulen, wie sie ihren Absolventen den Weg ebnen können.

Gemeinsam mit der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) entwickelte schon Ex-Wirtschaftsminister Rexrodt eine Initiative, die in den kommenden Jahren rund 50 deutschen Hochschulen eigene Lehrstühle für "Entrepreneurship" bescheren soll. Um den entscheidenden Impuls zu geben, ging die DtA voran: Sie hat einen Lehrstuhl an der European Business School in Oestrich-Winkel eingerichtet, der bereits zum Sommersemester 1998 startete.

Aber auch aus der deutschen Wirtschaft kommt Unterstützung für die potentiellen Gründer: Der Softwareriese SAP stiftete vier Hochschulen - der Technischen Hochschule Dresden, der Humboldt-Universität Berlin, der Universität Karlsruhe und der neu gegründeten International University in Bruchsal - wissenschaftliche Lehrstühle, die sich mit dem Thema Existenzgründung beschäftigen werden.

Auch an den Unis und Fachhochschulen selbst regt sich bislang ungeahnter Gründergeist - ob in Köln, wo sich die studentischen Gründer gegen das Vorurteil wehren, sie könnten zwar althochdeutsche Texte, aber keine Bilanzen lesen, oder in Düsseldorf, wo die Heinrich-Heine-Universität gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer ein Seminar für Gründer konzipierte. Schwerpunkt der Lehrveranstaltung, die für alle Eingeschriebenen offen war: Praktische Fragen, mit denen sich jeder Jungunternehmer auseinandersetzen muß.

Im Saarland geht man schon lange ganz eigene Wege. 1995 wurde an der Universität des Saarlandes das sogenannte Starterzentrum eingerichtet - ein bundesweit einzigartiges Projekt -, das Absolventen und Studierenden den ersten Schritt zum eigenen Unternehmen erleichtern soll. Ziel ist es, wissenschaftliche Ressourcen zu aktivieren und der Wirtschaft des Landes zugänglich zu machen. Inzwischen können rund 20 Firmen auf einem Gelände in Uninähe deren Einrichtungen weiter nutzen und auch eigene Räumlichkeiten und Unterstützung bei Marketing, Vertrieb und Kundenbetreuung bekommen.

Zu den Pionieren im Starterzentrum zählen auch Marco Kelting und Dirk Erhardt mit ihrer Firma Media Nowa Software GmbH. Die Studenten der Informationswissenschaft und Betriebswirtschaft beschlossen, innerhalb weniger Wochen im Starterzentrum ein eigenes Unternehmen auf die Beine zu stellen, und gründeten eine GmbH. Die Firmenidee: Die Produktion von multimedialen Katalogen auf CD-ROM.

Inzwischen wurden daraus Multimedia-Informationssysteme jeglicher Art. "Wäre das Starterzentrum nicht gewesen und die einmalige Chance, hier einzusteigen, hätten wir unseren ersten Business-Plan niemals so schnell geschrieben", erinnert sich Kelting.

In den vier Geschäftsjahren haben die beiden Gründer den Mitarbeiterstamm von zwei auf acht feste und etliche freie Mitarbeiter vergrößert und sind gerade dabei, mit "Cist", dem "Computer Integrated Software Training", ganz spezielle Schulungsprogramme für Hersteller von Industriesoftware auf dem Markt zu etablieren. Den großen Vorteil des Starterzentrums sehen die beiden aber nicht unbedingt in günstigen Räumlichkeiten. "Wichtiger sind persönliches Coaching und die kurzen Wege, wenn es um Ratschläge und Hilfe geht", sagt Erhardt.

Für andere Unternehmen im Zentrum sei es dagegen von großer Bedeutung, wissenschaftliche Einrichtungen, Labors oder die Bibliothek der Universität schnell und unproblematisch nutzen zu können. "Und dennoch", erinnern sich die beiden, "sind wir anfangs in jede Stolperfalle gelaufen, in die Gründer nur tappen können." Verhandlungen mit den Banken eingeschlossen.

Aus solchen Erfahrungen der ersten fünf Existenzgründer aus dem Zentrum hat nun die Universität ihre Konsequenzen gezogen und reagiert: Seit rund einem Jahr gibt es den Studiengang "Existenzgründungen", offen für alle Studierenden, der vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und der Kontaktstelle für Wissens- und Technologietransfer der Universität betreut wird. Dazu kommen Praxisvorträge, Existenzgründerseminare und eine Patentberatung.

"Das gab es alles für uns noch nicht", meint Erhardt beim Rückblick auf die Startphase der Firma Media Nowa. "Aber wir sind schon ein bißchen stolz darauf, daß unsere Erfahrungen aus der Startphase dazu beigetragen haben, daß es für die Gründer von heute etwas leichter wird."

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.