Industrielle Revolution in der Softwareentwicklung

Vom Handwerker zum IT-Architekten

28.01.2011
Von 
Peter Ilg ist freier Journalist in Aalen.

Wege zur industriellen Softwareentwicklung

Der Bitkom-Leitfaden "Industrielle Softwareentwicklung" beschreibt, wie eine solche Produkterstellung aussehen kann, welche Verfahren bisher angewendet wurden und welche Resultate zu erwarten sind. Zudem zeigt die Publikation Wege zur industriellen Softwareentwicklung auf anhand unterschiedlicher Industrialisierungsansätze wie Standardisierung, Automatisierung und Spezialisierung. Der Leitfaden kann auf der Bitkom-Homepage kostenlos heruntergeladen werden. www.bitkom.org

Interview: "Wir sind auf dem Weg zur Arbeitsteilung"

Peter Liggesmeyer, Fraunhofer-Institut: "Es schadet einem Architekten nicht, wenn er weiß, wie man mauert. Genauso sollte ein Informatiker Programmiersprachen beherrschen."
Peter Liggesmeyer, Fraunhofer-Institut: "Es schadet einem Architekten nicht, wenn er weiß, wie man mauert. Genauso sollte ein Informatiker Programmiersprachen beherrschen."
Foto: Fraunhofer-Institut

Softwareentwicklung nach ingenieurmäßigen Vorbildern hebt das Niveau von Informatikern, meint Peter Liggesmeyer, wissenschaftlicher Direktor am Fraunhofer-Institut Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern, zugleich Inhaber des Lehrstuhls Software Engineering Dependability im Fachbereich Informatik der Technischen Universität Kaiserslautern.

CW: Welche Auswirkungen hat industrielle Softwareentwicklung auf die Arbeit von Softwareentwicklern?

LIGGESMEYER: Die Qualifikationen verschieben sich. Wurde noch vor zehn Jahren exorbitant großer Wert auf die sichere Beherrschung von Programmiersprachen gelegt, gewinnt das Wissen um höhere Modelliersprachen an Bedeutung. Softwareentwickler müssen in der Lage sein, ein Problem auf einem höheren Abstraktionsniveau adäquat zu beschreiben. Schon heute gibt es häufig den klassischen Programmierschritt nicht mehr, der ja nur dann erforderlich ist, wenn ein Modell per Hand in Codes umgesetzt werden muss.

CW: Und wer kümmert sich dann um die Codierung, erfolgt die noch mehr im Ausland?

LIGGESMEYER: Nein, ich meine, dass die Fähigkeit zu codieren, immer stärker die Kernkompetenz von IT-Ausbildungsberufen sein wird. Probleme zu durchdringen und diese geeignet zu modellieren, das ist die akademische Expertise von Informatikern.

CW: Das ist eigentlich nichts anderes, als die in anderen Ingenieurdisziplinen übliche Arbeitsteilung.

LIGGESMEYER: Ja, Bauingenieure oder Architekten planen ein Gebäude, Bauzeichner machen die Reinzeichnung, heutzutage selbstverständlich am Computer und dreidimensional. Diese Kombination aus Akademikern und Ausbildungsberufen gibt es auch im Maschinenbau oder der Elektrotechnik, um zwei weitere Beispiele zu nennen. In der Informatik sind wir auf demselben Weg.

CW: Bedeutet das, dass sich ein moderner Softwareentwickler nicht mehr mit modernen Softwaresprachen auskennen muss?

LIGGESMEYER: Um bei der Metapher von eben zu bleiben: Es schadet einem Architekten oder Bauingenieur nicht, wenn er weiß, wie man mauert. Genau so selbstverständlich sollte ein Informatiker Programmiersprachen beherrschen. Er wird die Fähigkeit aber nicht mehr jeden Tag im Beruf nutzen.

CW: Die neue Art der Arbeitsteilung mag bei Neuentwicklungen funktionieren. Funktioniert sie auch bei bestehenden Systemen?

LIGGESMEYER: Große Softwaresysteme können nicht von heute auf morgen abgelöst werden, schon aus finanziellen Gründen nicht. Deshalb wird künftig noch sehr viel Aufwand in Wartungsprogrammierung gesteckt werden müssen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Müssen das zwingend teuere Akademiker machen? Ich meine, sie sollten die Struktur vorgeben und Fachinformatiker diese umsetzen.