Industrielle Revolution in der Softwareentwicklung

Vom Handwerker zum IT-Architekten

28.01.2011
Von 
Peter Ilg ist freier Journalist in Aalen.

Lernen von der Automobilindustrie

Ulrich Meister, T-Systems: "Innerhalb von zwei Jahren haben 1500 Stellen in der Softwareentwicklung abgebaut."
Ulrich Meister, T-Systems: "Innerhalb von zwei Jahren haben 1500 Stellen in der Softwareentwicklung abgebaut."
Foto: T-Systems

Im Bereich Systems-Integration arbeiten rund 14.000 Mitarbeiter weltweit, die eine Hälfte davon im Ausland, die andere in der High-Cost-Region Deutschland. Standardisierung bei T-Systems ist vergleichbar mit Just-in-Time-Produktion in der Automobilindustrie: Wer immer gerade eine Software montiert, greift auf bestehende Komponenten zu. "Man muss nicht jedes Mal das Rad neu erfinden", bemüht Meister eine altbekannte Weisheit - die T-Systems heute konsequent umsetzt.

Wiederum die Automobilbranche kann zeigen, wie das Unternehmen in der Herstellung von Software ingenieurmäßige Ansätze nutzt: während das Auto am Fließband entlang läuft, werden die Komponenten bereitgestellt. In der Softwareentwicklung fließen in das Modell die von Zulieferern gefertigten Komponenten ein, daraus entsteht die finale Applikation - nach individuellen Kundenwünschen, generiert aus zugelieferten Standards.

Billigere und schnellere Entwicklung

"Vor etwa drei Jahren haben wir damit begonnen, die Organisation so auszurichten, dass in allen Ländern die gleichen Strukturen und Prozesse herrschen. Standardisierung setzt beides voraus. Vor etwa zwei Jahren haben wir die ersten Softwarekomponenten im Intranet bereitgestellt zur Herstellung der Programme", so Meister. In der Vergangenheit seien Softwareentwickler Handwerker gewesen, die jeden Auftrag individuell ausgeführt haben. "Heute sind die Informatiker in Deutschland Architekten und Einkäufer, die auf Programmkomponenten zugreifen, die in Billiglohnländern codiert wurden", so Meister. Um den Forderungen des Markts gerecht zu werden, "haben wir einfach die Pyramide gedreht: Heute beschäftigen wir weniger Programmierer, dafür viel mehr Architekten." Dahin floss das Geld für die Qualifizierung. T-Systems konnte eigenen Angaben zufolge durch ingenieurmäßige Softwareentwicklung seine Produktionskosten um ein Drittel senken und wurde durch einen Rückgang des Zeitaufwands um ein Viertel zudem deutlich schneller. Den Kunden ist beides recht.

In Aschaffenburg könnten die Botschaften von Bitkom und T-Systems wie aus grauer Urzeit wirken. Schon 1981 verkündete der Firmengründer der Pass Consulting Group, Gerhard Rienecker, vor Unternehmensvertretern: "Software sollte nicht mehr entwickelt, sondern produziert werden." Gesagt, getan. Seitdem produziert das Unternehmen anhand moderner Produktionsverfahren wie individuelle Geschäftsanwendungen. Sie werden zu 80 Prozent aus wiederverwertbaren Komponenten generiert.

Der 32-jährige Informatiker Florian Lieb leitet das Competence Center ‚Core Technologies’ im Bereich Forschung und Entwicklung bei Pass. "Unsere Software Factory ist ein Entwicklungsparadigma, in dem möglichst viel automatisiert ist. Die Anwendung steht unseren Entwicklern 24 Stunden am Tag zur Verfügung, sieben Tage die Woche und der Generator produziert deutlich weniger Fehler als ein Mensch." Daher kann das Unternehmen Individualsoftware zum Preis von Standardsoftware anbieten. Auch die Aufgaben haben sich verändert. "Bei uns sind Entwickler nicht mehr verantwortlich für die Umsetzung von Modulen, sie entwickeln die Modelle und die Programme entstehen quasi auf Knopfdruck im Generator, " erzählt Lieb.

Weniger Routinearbeiten

Timo Bozsolik ist ebenfalls Informatiker und auch Mitarbeiter bei Pass. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Lieb ist er Anwender der Software Factory. "Softwareentwicklung nach ingenieurmäßigen Maßstäben betrifft uns Informatiker überall: in den Prozessen, der Qualitätssicherung und in den Programmen selbst", sagt Bozsolik. Alles was Routine und damit eintönig sei, komme aus der Software Factory. "Dadurch kann ich mich auf die wirklich spannenden Dinge konzentrieren, nämlich abstrakte Modelle zu generieren", freut sich der Pass-Informatiker. Dafür seien vor allem analytisches Denken und Verständnis für das fachliche Modell notwendig. Nach Meinung von Lieb und Bozsolik würde beides an den Hochschulen vermittelt. Im Fall ingenieurmäßiger Softwareentwicklung hinkt die Industrie der Ausbildung nach.