Nach dem Unternehmensverkauf

Vom Gründer zum Geschäftsführer

12.10.2021
Von 
Jens Gieseler arbeitet als freier Journalist in Tübingen.
Der Verkauf der eigenen Firma bedeutet nicht zwangsläufig den Abschied. Drei Beispiele zeigen den Rollentausch vom Gesellschafter hin zum Geschäftsführer.
Gründer, die ihr Unternehmen verkaufen, müssen nicht zwangsläufig den Rückzug antreten, wie diese Beispiele zeigen.
Gründer, die ihr Unternehmen verkaufen, müssen nicht zwangsläufig den Rückzug antreten, wie diese Beispiele zeigen.
Foto: YAKOBCHUK VIACHESLAV - shutterstock.com

Wenn Inhaber in ihren 50er Jahren ihr IT-Unternehmen verkaufen, ernten sie nicht nur den Lohn ihres unternehmerischen Engagements. Meist fangen sie etwas völlig Neues an - als Coach, Pfleger oder Weltreisender. Für Jens Buchloh, Manuel Dobrick und Andreas Nau gilt das nicht: Sie arbeiten in ihren angestammten Büros wie bisher, jetzt aber als Geschäftsführer und nicht mehr als Gesellschafter. Alle Drei sind innerhalb der vergangenen drei Jahre mit ihren Firmen unter das Dach der Total Specific Solutions (TSS) aus den Niederlanden geschlüpft. So wie mehr als 100 andere europäische IT-Unternehmen mit insgesamt knapp 4500 Mitarbeitern.

Easysoft: Eigenständigkeit trotz Unternehmensverkauf

"Kleinere Unternehmen haben drei Vorteile", sagt Jasper Bollen, bei TSS als General Manager verantwortlich für die DACH-Region mit derzeit sieben Unternehmen:

  • sie sind sehr flexibel,

  • die Mitarbeiter kooperieren in aller Regel gut miteinander und

  • die Beziehungen zu Kunden sind enger und persönlicher.

Aber um dauerhaft den Herausforderungen gewachsen zu sein und zu wachsen, so Bollen, müssten sie ihre Grenzen überwinden und von außen Impulse bekommen. Erklärtes Ziel der Holding sei deshalb, diesen Spezialisten ihre operative Eigenständigkeit zu gewähren und gezielte Unterstützung anzubieten, damit sie sich noch besser auf ihre Märkte und Kunden konzentrieren können.

Als Beispiel für Vorteile nennt Easysoft-Geschäftsführer Andreas Nau das Vertragswesen: "Verträge mit Kunden umfassen meist mehr als 100 Seiten, da benötigen wir einen Spezialisten." Zudem arbeiten alle sechs deutschen Unternehmen gegenwärtig an einer ISO-27001-Zertifizierung, die Zusammenarbeit macht das effizienter. Auch die gemeinsamen Verhandlungen mit einem Autohändler in Sachen Fuhrpark führen zu Kosteneinsparungen. Und im firmenübergreifenden Controlling wird aktuell der sechste Mitarbeiter eingestellt.

Andreas Nau (Mitte) und Friedhelm Seiler (links) haben ihr IT-Unternehmen Easysoft an die Holding Total Specific Solutions (TSS) verkauft, bleiben als Geschäftsführer aber in leitender Position und berichten an Jasper Bollen (rechts), der bei TSS als General Manager für die DACH-Region verantwortlich ist.
Andreas Nau (Mitte) und Friedhelm Seiler (links) haben ihr IT-Unternehmen Easysoft an die Holding Total Specific Solutions (TSS) verkauft, bleiben als Geschäftsführer aber in leitender Position und berichten an Jasper Bollen (rechts), der bei TSS als General Manager für die DACH-Region verantwortlich ist.
Foto: Total Specific Solutions

"Viele kleine Dinge erleichtern bereits jetzt das Tagesgeschäft", resümiert Nau, der mit seinem Kollegen Friedhelm Seiler die Firma erst im vergangenen November verkaufte. Das Unternehmen lief in den vergangenen zehn Jahren ausgezeichnet, durchschnittlich wuchs der Umsatz sehr stark, die Mitarbeiterzahl stieg von 30 auf knapp 90 und die Anzahl der Kunden von 850 auf mehr als 1300. Doch zu Beginn 2019 kam der Hersteller von Seminarorganisations- und Personalentwicklungssoftware für ein halbes Jahr in eine Krise und 2020 folgte die Unsicherheit durch die Corona-Pandemie.

Zwar vermeldeten die Metzinger im Dezember jeweils ein neues Erfolgsjahr, suchten dann aber doch die Sicherheit und vor allem die zusätzlichen Entwicklungsmöglichkeiten in einer größeren Holding. "Entscheidend war, dass die TSS uns als Geschäftsführer behalten wollte und wir unser Baby weiterhin großziehen können", sagt Nau. Weiteres Argument: Die beiden Unternehmensphilosophien passten zusammen, etwa die gezielte Weiterentwicklung der Mitarbeiter.

Dobrick+Wagner: Firmenverkauf als Rettung

Schwieriger war die Lage für Manuel Dobrick. Sein Unternehmen Dobrick+Wagner entwickelt Software für soziale Einrichtungen, die die Eingliederung von Menschen mit Behinderung unterstützt. Doch mit Corona stoppten etwa Werkstätten für behinderte Menschen, Wohnheime und die Kinder- und Jugendhilfe viele Projekte. Mitte 2020 entstand eine kritische Lage für das Unternehmen und dessen 19 Mitarbeiter. Daher entschied sich Dobrick gemeinsam mit den damaligen Anteilseignern einen Investor zu suchen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. "Die TSS steht für 'Software for Life' und ist damit keine Heuschrecke, wie man vorschnell urteilen könnte", sagt der 50-jährige Diplom-Kaufmann, denn der Betrieb bleibt in seiner Form erhalten und er weiterhin als Geschäftsführer tätig. Nach mehr als einem Jahr findet er, dass alle Versprechen gehalten wurden und er daher mehr als zufrieden sei. Allerdings war das erste Jahr auch so arbeitsreich wie angekündigt.

Da TSS monatlich einen detaillierten Report will, führte Dobrick ein ERP-System ein, optimierte viele interne Prozesse und erstellte ein nahezu automatisiertes Reporting, um die Transparenz zu erhöhen. Diese Informationen stehen auch den Dortmunder Mitarbeitern zur Verfügung. Obwohl nahezu alle Beschäftigten diese Offenheit begrüßten, waren diese Informationen zunächst ungewohnt. Statt, dass der Unternehmer den betriebswirtschaftlichen Druck abfedert, bekommen die Mitarbeiter nun ein unmittelbares Feedback über ihren Output. Dem Geschäftsführer ist klar, dass viel Managementarbeit auf ihn zukommt, damit sich die alten Denkprozesse schrittweise ändern. Doch am eingeschlagenen Weg hat er keinen Zweifel: "Das Unternehmen hat sich enorm entwickelt und wir haben nun ein vollständiges Bild unserer Prozesse. Zudem ist die TSS-Familie ein wertvolles Netzwerk, von dem Unternehmen, Mitarbeiter und letztendlich unsere Kunden profitieren."

Ergovia: Unternehmensverkauf treibt Wachstum

Ergovia stand 2018 gut da. Das Unternehmen entwickelt eine Software für berufliche Bildung, die mehr als 600 Bildungsträger nutzen und damit 122.000 Jugendliche betreuen und ins Berufsleben führen. Als ehemaliger Mitarbeiter eines Weiterbildungsanbieters hat Jens Buchloh die Software selbst konzipiert und 2002 das Unternehmen gegründet. Doch der 53-jährige Kieler stellte vor einigen Jahren fest, dass sich der Betrieb kaum weiterentwickelte, trotz eigener Weiterbildung und der seiner Mitarbeiter. Auch ein externer Business Consultant konnte die Bremse nicht lösen, weil er im Nachhinein betrachtet zu wenig von dem Softwaregeschäft in einem Vertikalmarkt verstand. Kernproblem für Buchloh war, dass er zwar die Prozesse analysieren konnte, sich aber an messbaren Performance-Kennzahlen die Zähne ausbiss. Mit dem Know-how von TSS verzeichnet Ergovia nun seit drei Jahren ein deutlich höheres Wachstum. "In der Kundenbetreuung beispielsweise hat uns schlicht eine bessere Fragetechnik gefehlt", stellt er fest, "wir haben die Probleme unserer Kunden nicht in der Tiefe verstanden." Inzwischen weiß Ergovia wie Kundennähe geht und ist für seine Geschäftspartner ein besserer Problemlöser geworden. Das spiegelt sich auch in einer deutlich höheren Kundenzufriedenheit wider.

Das Spannende an der Zusammenarbeit mit den internationalen TSS-Kollegen sei, dass jedes Unternehmen ein Best-Practice-Beispiel für einen bestimmten Bereich sei. Während seine Mitarbeiter nun passendere Softwarelösungen anbieten, konnte er anderen Schwesterunternehmen vermitteln, wie hochqualitativer und flexibler Service geht - lediglich 1,5 Prozent seiner Kunden wechseln zu einem Konkurrenten. Jeden Freitag treffen sich die sechs deutschen Geschäftsführer zu einer Videokonferenz, berichten über den Stand des Geschäfts und können aktuelle Herausforderungen ansprechen. Wenn es hilfreich ist, treffen sie sich zu zweit und gehen ein bestimmtes Thema an. "Dass TSS diese Zusammenarbeit fördert und von seinen Unternehmen Kundennähe sowie eine langfristige Strategie erwartet, war für mich ein entscheidendes Argument für den Verkauf", sagt Buchloh.