E-Commerce stellt Logistikanbieter vor neue Herausforderungen

Vom Fuhrunternehmer zum Supply-Chain-Master

29.09.2000
MÜNCHEN (rg) - Logistikdienstleister entdecken den E-Commerce. Sie locken potenzielle Kunden mit Services, die weit über klassische Transportdienstleistungen hinausgehen und bis hin zur Übernahme ganzer Geschäftsprozesse reichen. Fehlende Datenaustauschformate, die nicht nur die Anbindung an virtuelle Marktplätze erschweren, stellen jedoch enorme Anforderungen an die IT-Ressourcen der Logistikunternehmen.

Trotz der jüngsten Dotcom-Pleiten sind sich Marktforscher und Analysten weitgehend einig: Der elektronische Handel mit Waren und Dienstleistungen verzeichnet in den kommenden Jahren ein hohes Wachstum. IDC prognostiziert beispielsweise einen Anstieg der Umsätze auf 1,6 Billionen Dollar im Jahr 2003, wobei davon 1,4 Billionen Dollar auf Geschäfte zwischen Unternehmen entfallen. Die damit verbundenen Verwerfungen auf den globalen Märkten lassen auch die Logistikanbieter nach neuen Konzepten suchen, um am Internet-Boom teilzuhaben.

Einerseits hat die Branche das Glück, handfeste Waren zu transportieren, die sich nicht in Bits und Bytes zerlegen und damit über das Web verschicken lassen. Andererseits müssen Logistikunternehmen das Internet selbst stärker nutzen, wollen sie ihrer zunehmenden Bedeutung innerhalb der Lieferkette, neudeutsch Supply Chain genannt, gerecht werden. Grund genug für die Euroforum Deutschland GmbH mit Sitz in Düsseldorf, einen zweitägigen Kongress zum Thema "Herausforderungen von E-Business und E-Commerce für die Logistik" zu veranstalten. Chancen sieht Susanne Frank, Projektleiterin Technologie-Industrie bei Euroforum, zuhauf: "Es geht nicht mehr nur um den physischen Transport von A nach B, sondern vielmehr um Zusatzleistungen wie beispielsweise die komplette Auftragsabwicklung."

Auf Referentenseite herrschte über die Chancen für das Transportgewerbe breite Übereinstimmung. So prognostiziert beispielsweise KPMG Consulting in den nächsten Jahren eine "dramatische" Zunahme des Paketaufkommens, insbesondere ausgelöst durch den Business-to-Consumer-(B-to-C-)Bereich. Aber auch im Business-to-Business(B-to-B-)Sektor wollen Logistikkonzerne mit einer Palette von Mehrwertdiensten Aufgaben übernehmen, die derzeit hauptsächlich der klassische (Zwischen-)Handel abdeckt. Die reichen von der Lagerhaltung über die Rechnungsstellung, die Übernahme der Buchhaltung bis hin zur kompletten Auftragsabwicklung. Interesse für derart umfassende Servicepakete zeigten laut Axel Meier von Inet-Logistics nicht nur Startup-Firmen, die über derartige Strukturen nicht verfügen, sondern auch Brick-and-Mortar-Companies, die neue Produkte über das Internet vermarkten wollen, ohne dabei ihre bestehenden Vertriebswege zu vergraulen.

Auch Michael Schüller, Berater der Lufthansa Systems AS GmbH, vertritt den Standpunkt, die durch den direkten Vertrieb entstandene Lücke könne von den Herstellern und den Logistikdienstleistern geschlossen werden. Während die Produzenten die Kundenberatung mit übernehmen müssten, könnten die Transporteure Aufgaben in der Auftragsabwicklung, Lagerhaltung und Distribution, Fakturierung und Inkasso abwickeln.

Unter den zusätzlichen Qualifikationen, um die Transportunternehmen ihre logistischen Kernkompetenzen ergänzen müssen, ist das IT-Know-how besonders wichtig. Eine Vorreiterrolle haben hier die Kurier-, Paket- und Expressdienste erlangt. Während die klassischen Spediteure bei kleineren Aufträgen noch vom Versender der Ware, im Branchenjargon Verlader, manuell erstellte und per Fax versandte Frachtbriefe und Ladelisten in ihre Softwaresysteme eingeben, läuft es bei innovativen Paketdiensten moderner ab. Hier werden die den physischen Transport begleitenden Informationen weitgehend elektronisch und ohne Medienbrüche weitergeleitet. Der damit verbundene IT-Aufwand ist allerdings erheblich. United Parcel Service (UPS) beispielsweise, mit 27 Milliarden Umsatz 1999 einer der Branchenführer, steckt eigenen Angaben zufolge pro Jahr rund eine Milliarde Dollar in IT-Investitionen und unterhält die nach der UN zweitgrößte Datenbank.

Tracking entlastet Call-Center

UPS nutzt die DV-Technik nicht nur zur Optimierung der internen Prozesse, sondern auch zur besseren Information der Verlader und deren Kunden. Unter dem Begriff "Tracking and Tracing" bietet das Unternehmen - wie inzwischen die meisten Paketdienste - die Möglichkeit, per Internet festzustellen, wo sich die abgesandten Pakete befinden. Diese Online-Sendungsverfolgung wird spätestens im nächsten Jahr zum Standard-Feature der Branche avancieren. Dies wäre allerdings einem Kongressbesucher zufolge überflüssig, wenn sich Empfänger auf die Einhaltung zugesagter Lieferzeiten verlassen könnten. De facto entlastet das Tracking das Call-Center des Versenders. So drehen sich 30 Prozent aller Kundenanfragen bei Cisco Systems um Auskünfte zum Verbleib bestellter Waren, berichtet Steffen Müller, E-Commerce-Manager bei UPS.

Für Unternehmen, die große Mengen von Paketen über verschiedene Paketdienste verschicken, ist es jedoch zu aufwändig, sich die entsprechenden Daten auf den verschiedenen Homepages der Lieferanten zusammenzusuchen. Um dies zu vermeiden, muss der Transporteur in der Lage sein, die Tracking-Informationen auch im Enterprise-Resource-Planning(ERP-)System des Kunden darzustellen. Mit dem "Express Package Carrier Interface" verfügt UPS über eine Schnittstelle, die es erlaubt, direkt aus SAP-Systemen auf derartige Statusdaten zuzugreifen.

Auch für das traditionelle Logistikgewerbe stellt die Vielzahl von Datenformaten und das Fehlen übergreifender Standards eine hohe Hürde dar. Bei mittelständischen und großen Stückgutspeditionen sowie Transporteuren von Gefahrgut und Waren jenseits der 30-Kilo-Grenze hat sich Edifact als Standardformat für den Electronic Data Interchange (EDI) weitgehend durchgesetzt. Kleinere Spediteure stellt aber schon die Programmierung einer EDI-Schnittstelle vor Probleme. Hier können Logistik-Portale weiter helfen.

Einen dieser Marktplätze betreibt die Axit AG mit Sitz in Frankenthal. "Mylogistics" ist seit September dieses Jahres online und bietet neben einem Brancheninformationsdienst mit "Weborder" eine Auftragserfassungsmaske im Internet. Verlader können ihre Daten hier via Web-Browser eingeben. Für Spediteure, die an Weborder teilnehmen möchten, programmiert Axit die Schnittstelle, damit die Daten direkt in deren Speditionsprogramm übertragen werden können. Frauke Heistermann, Managing Director bei Axit, hofft jedoch, auch größere Transporteure für das Portal begeistern zu können: "Die sind jetzt erst aufgewacht, da ist noch viel Nachholbedarf."

Verlader, denen es zu aufwändig ist, jeden Speditionsauftrag per Fax zu verschicken oder einzeln in die Erfassungsmaske des Transportunternehmens oder eines Portals einzugeben, benötigen darüber hinaus eine Schnittstelle zu ihrem Warenwirtschaftssystem. Bei den Branchenschwergewichten zählt die Programmierung entsprechender Schnittstellen zum Service für Großkunden. Kleinere Speditionen verfügen dagegen nicht über die entsprechenden IT-Ressourcen, zumal solche Anpassungsprojekte bis zu einem Jahr dauern.

Wesentlich komplexer werden die Anforderungen an die IT, wenn die elektronische Integration von Logistikdienstleistern in firmenübergreifende Lieferketten oder in virtuelle Marktplätze der Hersteller realisiert werden soll. Hier müssen einheitliche Verbindungen und Standards von den Industriegüter- zu den Logistikmarktplätzen entstehen. Wie in vielen anderen Branchen, liegen hier große Hoffnungen auf der Extensible Markup Language (XML): "Beim Interfacing ist derzeit jeder auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau. Unserer Meinung nach kann XML diese Funktion einnehmen", so Andreas Topp, UPS-Senior-Engineer Electronic-Commerce für die Region Europa. Verschiedene Logistikunternehmen und auf das Transportwesen spezialisierte Softwarefirmen arbeiten derzeit an geeigneten Spezifikationen. UPS hat nach eigenen Angaben als erster Carrier eine Document-Type-Definition bei den Standardisierungsgremien der Biztalk-Initiative (Microsoft) sowie von Rosetta Net vorgelegt. Rosetta Net ist eine Industrieorganisation, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, einheitliche Standards für den Online-Informationsaustausch zwischen Zulieferern, Herstellern und Käufern zu entwickeln. UPS sitzt hier ebenso wie Konkurrent Federal Express (Fedex) neben zahlreichen IT-Schwergewichten (unter anderem Cisco, IBM, HP, Compaq, Intel, Toshiba, Microsoft, Netscape, Oracle und SAP) im Managing Board. Topp gibt sich zuversichtlich: "Ich bin guten Mutes, dass wir da innerhalb des nächsten Jahres etwas sehen werden."

Für Logistikanbieter, die diesen Optimismus nicht teilen wollen, bietet der E-Commerce trotzdem interessante Perpektiven, vorausgesetzt, sie verfügen über geeignetes IT-Know-how oder entsprechende Partnerschaften. Ein Transporteur kann mit vergleichsweise geringem Aufwand zum Supply-Chain-Master anvancieren, wenn er außer Marketing- und Vertriebsaufgaben die gesamte Abwicklung des Geschäftsprozesses abdecken kann. Ein Beispiel hierfür präsentierte Hellmann Worldwide Logistics: Im Rahmen einer Partnerschaft mit dem Fußball-Bundesliga-Verein Werder Bremen übernimmt der im schweizerischen Schindellegi beheimatete Anbieter derzeit neben der Lagerhaltung auch den Betrieb des Call-Centers, den Versand, die Rechnungsstellung sowie die Buchhaltung. Die "Fan-Service GmbH" von Werder muss künftig lediglich die mehr als 100 Fanartikel bei den Produzenten in Auftrag geben. Hierzu verknüpft Hellmann seine IT-Infrastruktur mit der beim Fußballclub eingesetzten betriebswirtschaftlichen Standardsoftware "Navision Financials".

Verfügbarkeit von Waren online Abfragen

Die Schweizer setzen dabei ein in Pearl programmiertes Modul mit dem kryptischen Namen "V1.2" ein, das die notwendigen Verbindungen zwischen dem ERP-System und seiner Lagerführungssoftware sowie den Datenbanken herstellt. Damit können Kunden des geplanten Werder-Internet-Shops künftig die Verfügbarkeit der bestellten Waren online prüfen. Dieser Check stellt für jedes Supply-Chain-Management-Projekt einen kritischen Faktor dar: Nur wenn die Verfügbarkeitsprüfung über die ganze Lieferkette hinweg funktioniert, lassen sich exakte Lieferdaten für das Endprodukt ermitteln.

Abzuwarten bleibt, ob der Preis für derartige Komplettpakete deutlich unter den Gewinnmargen liegt, die in der Old Economy der klassische Handel einstreicht. Fraglich ist auch, ob und wie schnell es den Transporteuren gelingt, die erforderlichen Konzepte und Serviceangebote zu entwickeln, um die Rolle von klassischen Groß- und Zwischenhändlern ganz oder teilweise zu übernehmen. Zumindest an Konzepten herrschte auf der Euroforum-Veranstaltung kein Mangel. Deren digitale Umsetzung stellt die Branche jedoch vor erhebliche Aufgaben. Neben Flexibilität, Kooperationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit spielt daher die IT-Kompetenz eine wesentliche Rolle für den E-Commerce-Erfolg der Transportbranche. Die Masse der Marktteilnehmer muss sich das "E" im neuen Modebegriff "E-Logistics" jedenfalls erst noch verdienen.

E-Logistics braucht E-Inkasso

Das Problem ist fast so alt wie der Handel selbst: Der Kunde hat Angst, seine Ware nicht zu bekommen - der Verkäufer fürchtet um seine Bezahlung. Da liegt es für Logistikdienstleister nahe, als Überbringer der Güter auch die dafür fälligen Geldbeträge einzutreiben. Die Deutsche Post AG greift auf ihrem Portal "Evita" (www.evita.de) dabei auf die Dienste der Postbank zurück. Die meisten Logistikkonzerne verfügen jedoch nicht über einen angeschlossen Finanzdienstleister und sind daher auf Kooperationen angewiesen. Kühne und Nagel beispielsweise, die als weltweit tätiger Logistikkonzern ebenfalls Finanzdienstleistungen als integrierten Bestandteil ihres Services anbieten wollen, setzen hier auf eine strategische Partnerschaft mit der Chase Manhattan Corp. Im Bereich E-Payment, der Bezahlung via Internet, kooperieren die Schweizer zusätzlich mit Telecash, einem auf elektronische Bezahlverfahren spezialisierten Dienstleister.