Jetzt erst recht

Vom Elfenbein- zum Leuchtturm

29.01.2009
Industriefirmen fördern Hochschulforschung. Statt das Engagement jetzt zu kürzen, sollten Firmen die Erkenntnisse aus den Laboren verstärkt in wertschöpfende Produkte umsetzen.

Technische Forschung genießt in Deutschland nur geringes öffentliches Interesse. Schaffen es wissenschaftliche Erkenntnisse in namhaften US-amerikanischen Medien wie der "New York Times" bis auf die Titelseite, fristen sie bei uns meist ein Dasein im Telegrammstil hinterer Rubriken. Oskar- und Bambi-Preisträger werden zelebriert, der bedeutendste amerikanische Fernsehpreis "Emmy" jedoch, der bereits zum zweiten Mal den unter Mitwirkung des Berliner TU-Professors Thomas Wiegand entstandenen Videocodierstandard H.264 ehrt, geht nahezu sang- und klanglos unter. Gibt man in Google-News die Namen Emmy und Wiegand ein, kommen gerade mal drei deutschsprachige Treffer für den "Meilenstein in der Entwicklung der Fernsehtechnik".

Dabei bemüht sich die Bundesregierung verstärkt, aus den Elfenbeintürmen universitärer Spitzenforschung "Leuchttürme" mit internationaler Strahlkraft entstehen zu lassen. Die zu diesem Zweck gestartete Exzellenzinitiative umfasst 1,9 Milliarden Euro Fördermittel für Hochschulen, 75 Prozent davon trägt der Bund. Eine Säule dieses Programms sind die "Exzellenzcluster", mit denen man an den Universitäten international sichtbare und konkurrenzfähige Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen etablieren will, die auch mit der Wirtschaft kooperieren. Für jedes dieser rund 30 geförderten Cluster stehen pro Jahr durchschnittlich 6,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Auffällig daran ist, dass sich unter den Clustern nur ein einziges lupenreines Projekt der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) befindet, obwohl diese Disziplin vom Bundesforschungsministerium als Innovationsmotor Nummer eins beschrieben wird. Da mehr als 80 Prozent der technischen Entwicklungen in Deutschland IKT-getrieben sind, vor allem durch starke Branchen wie Automobilindustrie, Medizintechnik und Logistik, ist die hohe Priorität gerechtfertigt. Das hat zur Folge, dass IKT zwar massiv zum Erfolg anderer Innovationen beiträgt, selbst aber in den Hintergrund rückt.

Die Leuchtturmfunktion für den IKT-Bereich nimmt unter den Exzellenzclustern die RWTH Aachen ein, die sich mit ihrem Projekt "Ultra High-Speed Mobile Information and Communication" (Umic) gegen zwei andere Bewerber durchgesetzt hat. Es geht um die vom Nutzer wahrgenommenen Servicequalitäten wie Schnelligkeit und Zuverlässigkeit mobiler Informations- und Kommunikationssysteme, die bei niedrigeren Kosten deutlich über dem heutigen Stand liegen soll. Die Forschung erstreckt sich über alle sieben Schichten des OSI-Modells und reicht damit von anspruchsvollen Schlüsselanwendungen und deren Wechselwirkungen bei der mobilen Übertragung über Funknetzarchitekturen und Endgeräte bis hin zu Hochfrequenzbaugruppen mit komplexen analogen und digitalen Schaltungen. 21 Lehrstühle sind in das Vorhaben involviert, womit eine der großen Herausforderungen deutlich wird: die Koordination der Projektbeteiligten. Hinzu kommt ein ständiger Austausch mit der Mobilfunkindustrie über die Verwendbarkeit bereits erarbeiteter Teillösungen und das weitere Vorgehen.

Gerd Ascheid, Lehrstuhlinhaber an der RWTH Aachen und Koordinator des Umic-Clusters, hofft, dass das zunächst auf fünf Jahre ausgelegte Exzellenzprojekt um fünf Jahre verlängert wird, um seine Nachhaltigkeit zu sichern. Vergleichbare nationale und internationale Förderungen laufen mindestens zehn Jahre. Obwohl der Wissenschaftler die Schaffung von Eliteuniversitäten und die Exzellenzinitiative des Bundes begrüßt, sieht er auch Defizite. Im internationalen Vergleich und mit dem Anspruch Deutschlands, ein Hochtechnologieland zu sein, seien die Fördermittel nicht so hoch, wie sie sein müssten. Dies gelte neben der Forschung insbesondere auch für die Lehre, wo im Vergleich zu anderen Spitzenhochschulen ein Professor hierzulande das Vielfache an Studenten betreue. Eliteschmieden wie die ETH Zürich oder die englischen Traditionsuniversitäten Cambridge und Oxford hätten hier ganz andere Rahmenbedingungen. Umso erfreulicher sei es, dass bei der internationalen Begutachtung der Exzellenzprojekte öfters Stimmen zu hören waren, die sich anerkennend darüber äußerten, was alles deutsche Universitäten mit vergleichsweise wenig Geld auf die Beine stellen.

Neben der Querschnittsfunktion von IKT gibt es einen weiteren Grund, weshalb die Forschung in diesem Segment relativ unspektakulär verläuft. Es liegt in der Natur der Ingenieurwissenschaften, zu denen IKT zählt, dass sehr stark praxisorientiert, oft in Konsortialprojekten mit der Industrie und öffentlichen Förderstellen verzahnt gearbeitet wird. Die Projektdauer reicht von zwei bis fünf Jahren, wobei die längerfristig angesetzten Vorhaben oft auch einen höheren Anteil an Grundlagenforschung haben. Das Ziel der Projekte ist ein Ergebnis, das von der Industrie aufgegriffen und in vermarktbare Produkte umgesetzt werden kann. Der Schulterschluss mit der Industrie, insbesondere auch mit kleinen und mittelständischen Unternehmen, ist in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen enger geworden, meint etwa Alexander Schill, Professor für Rechnernetze an der TU Dresden.

Als eines von vielen Beispielen seines Hauses nennt er das Konsortialprojekt "Aletheia", in das neben dem Forschungsministerium der Softwarehersteller SAP und auf Anwenderseite die Firmen BMW und Ottoversand involviert sind. Ziel des Projekts ist es, eine im Internet in sehr unterschiedlicher Ausprägung kursierende Produktinformation so zu vereinheitlichen, dass sie umfassend recherchierbar wird. Über Ontologien will man die semantischen Informationen über ein Produkt, ob vom Hersteller oder Händler, aus Foren oder Auktionsplattformen zusammenführen. Zudem sollen Such- und Klassifikationsverfahren entstehen, mit denen man die Qualität einer Information beziehungsweise die Zuverlässigkeit der Quelle beurteilen kann. Das im vergangenen Frühjahr gestartete Projekt läuft über drei Jahre und soll zur Halbzeit verwertbare Prototypen hervorbringen.

Mit der Industriebeteiligung wachse allerdings auch die Gefahr der wirtschaftlichen Abhängigkeit, warnt Schill mit Hinweis auf die Ereignisse bei Qimonda, wo eventuell laufende Doktorandenprogramme jetzt in Not geraten dürften. Nicht unwahrscheinlich ist auch, dass ein Industriepartner übernommen wird und der neue Besitzer kein Interesse mehr am Projekt hat. Um solche Unwägbarkeiten zu glätten, rät Schill zu einer soliden Basisfinanzierung, bei der die eigenen Mittel und die öffentlichen Zuschüsse ausreichen, um die Schwächen eines beteiligten Unternehmens zumindest für eine gewisse Zeit auszugleichen.

Den Trend zu mehr Konsortialprojekten in den vergangenen 20 Jahren verzeichnet auch Helmut Krcmar, Professor des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik an der TU München. Zufrieden ist der Wissenschaftler mit der Situation allerdings noch nicht. Mit den Projekten selbst stehe Deutschland im europäischen Vergleich sehr gut da. Nach wie vor sei es aber ein schwieriger Prozess, das Feuerwerk der in der Forschung erarbeiteten Ideen als Produkte in die Praxis zu überführen. Man könne nicht alles, was an den Universitäten erdacht wird, über Spinoffs oder Neugründungen auf den Markt bringen. Innovationen sollten von der Industrie gieriger aufgesaugt werden, wünscht sich Krcmar.

Doch während in den USA schon die Idee, mit einer technischen Innovation Geschäfte machen zu können, den Markt antreibt, überwiegt in Deutschland oft die Angst zu scheitern. Ob die geschäftliche Umsetzung einer technischen Innovation tatsächlich gelingt, lässt sich selten verlässlich prognostizieren. Krcmar empfiehlt Mut: "Welches Startup ist schon mit der ersten Version seines Produkts erfolgreich? Die Universität kreiert Wissen, der Industrie kann man nur empfehlen, schnappt euch die Innovation zur Umsetzung und rennt!"

Über mangelndes Interesse der Softwarehersteller am "Genie"-Projekt seines Lehrstuhls kann sich der Wirtschaftsinformatiker indes nicht beklagen. Dabei handelt es sich um eine Online-Plattform, mit der Softwareanbieter die Ideen ihrer Kunden systematisch zur weiteren Produktentwicklung nutzen können - und zwar aus der Nutzerperspektive, nicht aus der des Systemadministrators. Als Softwarehersteller brauche man im Web-2.0-Zeitalter das direkte und ungefilterte Kunden-Feedback, um die eigenen Produkte voranzutreiben, meint Krcmar.

Viel Forschungspotenzial sieht der Experte auch in den Dienstleistungen rund um hybride Produkte. Gemeint sind integrierte Services auf der Basis von Hardware, Software und einer besonderen Geschäftsidee. Ein typischer Vertreter hierfür ist Software as a Service (SaaS), bei dem sich Softwaretyp, Nutzerverhalten und damit auch das Geschäftsmodell gegenüber dem klassischen Softwarebetrieb ändern. Um solche Themen kümmere man sich in Deutschland noch zu wenig, meint Krcmar, der ohnehin befürchtet, dass Firmen künftig weniger Spielraum für Innovationen haben.

Ähnlich äußert sich sein Kollege Gerd Ascheid aus Aachen. Während die Industrie früher Forschungsverträge über mehrere Jahre abgeschlossen hat, besteht heute zwar nach wie das Interesse an einer längerfristigen Zusammenarbeit, konkrete Zusagen gibt es aber meist nur noch jeweils für ein Jahr, was zur Planungssicherheit eines Projekts nicht gerade beiträgt. Deshalb werden die Experten unisono nicht müde, die Bedeutung der technischen Forschung für den Standort Deutschland zu betonen. "Sie bietet der Wirtschaft Wertschöpfung und hilft, qualifizierte Fachkräfte auszubilden", so der Berliner TU-Mann Thomas Wiegand. Gerade wenn die Produktion vielerorts nach Asien verlagert wird, müsse man die Stärken im Bereich anspruchsvoller Wertschöpfung dagegensetzen. Jetzt werden die Weichen zur Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften in einigen Jahren gestellt.

Praxisnahe IT-Forschungsprojekte

Deutschland forscht in Sachen IT. Aber nicht nur für den Elfenbeinturm. Beispielsweise beschäftigen sich verschiedene Fraunhofer-Institute im Auftrag der Industrie mit neuen IT-gestützten Lösungen und Verfahren. Hier ein Auszug:

Digitales Wasserzeichen

Mit Hilfe von digitalen Wasserzeichen lassen sich Urheber elektronischer Inhalte zweifelsfrei zuordnen. Die Startup-Firma Photopatrol verwendet die Technik, um digitale Bilder zu schützen. Weitere Anwendungen sind Wasserzeichen in Audiodateien wie Musik oder Hörbüchern. Das Funktionsprinzip dabei: Digitale Inhalte werden mit einem Wasserzeichen leicht verändert, ohne dass die Modifikation im Bild sicht- oder im Musikstück hörbar ist. Nur Computer können die Wasserzeichendaten auslesen. Jedes Musikstück erhält so eine eindeutige Kennung, selbst dann, wenn beispielsweise eine Datei kopiert wird. Auch ausgedruckte Bilder lassen sich mit Wasserzeichen ausstatten. Der Druckmaschinenhersteller MAN Roland hatte das in einem Test nachgewiesen.

Informationen: http://www.sit.fraunhofer.de/wasserzeichen

Wetterfrosch auf Abruf

Die Anwendung "Weather Information on Demand" (Wind) versorgt den Nutzer in Österreich und in Deutschland mit ortsgenauen Warnungen vor Unwettern wie Hagel, Sturm, Eisregen oder heftigem Schneefall. Weitere Länder sollen folgen. Derzeit entwickeln Fraunhofer-Wissenschaftler die Technik weiter, so dass diese Informationen künftig auch mobil verfügbar sind. Per SMS, MMS, Fax oder E-Mail kann man sich dann warnen lassen, wobei der Empfänger wählen kann, was genau ihn interessiert. Ein Autofahrer möchte über andere Wetterereignisse informiert werden als ein Häuslebauer. Die Forschungsergebnisse von Wind will man nun kommerziell nutzen.

Informationen: http://www.isst.fraunhofer.de/leitthemen/ilog/ earlywarningsystems/wind

Rechnergesteuertes Glasrecycling

In Glascontainern landen neben Flaschen auch hitzebeständige Glaskeramiken und Borosilikatglas, die beim Einschmelzen nicht komplett verflüssigt werden und so die Qualität des Recyclingmaterials beeinträchtigen. Gemeinsam mit der im österreichischen Gleisdorf beheimateten Binder+Co AG entwickelte das Fraunhofer IITB (Informationsverarbeitung in Technik und Biologie) ein Computersystem mit optischen Sensoren, das per UV-Licht und Farbanalyse solche Materialien erkennt, um sie auszusortieren. Bestehende Sortieranlagen lassen sich mit der Technik nachrüsten.

Informationen: http://www.iitb.fraunhofer.de