Mikrostrukturen bieten ungeahnte Speicherkapazitäten:

Vom Chip zum Neuro-Molekül

28.04.1989

Rechnerkapazitäten, die früher in einer großen DV-Anlage untergebracht waren, finden heute bequem in einem Laptop Platz. Ein Ende der Miniaturisierung ist noch lange nicht in Sicht. Michael Mehring vom Zweiten Physikalischen Institut der Universität Stuttgart hält die Nutzung molekularer Strukturen als Datenträger für möglich.

In einer Zeit, da Millionen von Bits auf der Fläche eines Fingernagels abgespeichert werden können, mag es schier unglaublich klingen: Schon Rechner-Pionier Konrad Zuse benützte in seinen Computer-Ungetümen Lochbleche zum Abspeichern binärer Eins-Null-Zustände. Doch blickt man anstatt zurück nach vorne, lassen sich Speicher-Entwicklungen erahnen, die von dem, was wir heute für modern halten, fast soweit entfernt sind wie Zuses Rechner von unseren Geräten.

Zwar lassen sich, so Mehring, aus theoretischer Sicht sogar einzelne Atome und überdies auch einzelne Elementarteilchen als Daten-Speicher vorstellen, weisen diese winzigsten Bausteine der Materie doch verschiedene, klar voneinander unterscheidbare Eigenzustände auf. Doch für die nähere Zukunft ist wohl allein schon die Idee, Speicher molekularer Dimensionen zu entwerfen, Herausforderung genug.

Immerhin handelt es sich um Größenordnungen im Nanometer-Bereich, die linear tausendmal - und in der Fläche millionenmal - kleiner als die Mikrometer-Dimensionen herkömmlicher Transistoren, Gatter und Speicherzellen sein werden.

In der aktuellen Diskussion um Quanten-Bauelemente mit Strukturen um die zehn Nanometer, so Mehring, dürfe man hierbei das "Problem der Lokalisierung" nicht völlig aus dem Blink verlieren. Denn hier bekomme man es mit einem "fundamentalem Prinzip aller Halbleiter-Bauelemente" zu tun, nämlich dem der "Delokalisierung der Wellenfunktion der Elektronen und 'Löcher in Halbleitern". Außerdem werde in Quanten-Bauelementen heutiger Konzeption "die Beschränkung auf Nanometer-Bereiche" zwar erreicht - aber eben leider "nur eindimensional", also nur in einer Richtung des Raums. Während das sogenannte Elektronengas doch zweidimensional delokalisiert sei.

Stellt man den Quanten-Chips die Vorstellung der molekularen Speicher nach Mehrings Rezepten gegenüber, so fällt auf, daß man wohl erst bei letzteren die "Lokalisierung der Ladungsträger auf molekulare Dimensionen" erreichen können soll; also auf Bezirke von etwa einem Nanometer im Quadrat. Und daraus folge, meint der Experte aus Stuttgart, daß man pro Quadratmillimeter nun bis zu 1 Million Millionen Bit müßte unterbringen können - und nicht "nur" eine Million, wie bei heutigen Konzepten zwar innovativer, aber eben doch noch herkömmlicher Speicher-Chips in konventioneller Halbleiter-Technik.

Moleküle, so skizziert Mehring seine Ideen einschlägiger Novitäten, sind "sehr lokale Objekte", die teilweise in einer wahren Fülle verschiedener Zustände beziehungsweise Konfigurationen auftreten und die sich daher sogar zur mehrwertigen, statt allein zur binären, Speicherung von Daten eignen können. Doch selbst wenn man allein nur binäre Möglichkeiten in Betracht zieht, bieten Moleküle eine Fülle denkbarer Möglichkeiten, binär unterscheidbare Zustände anzunehmen.

So kann ein Molekül beispielsweise ungepaarte "Spin"-Zustände aufweisen, die in Richtung einer bestimmten Vorzugs-Orientierung, aber auch in Gegenrichtung weisen können und die sich entweder direkt auf elektromagnetischem, oder auch auf optischem Wege erkennen lasse (Bild 1a). Oder man denke nach Bild 1b an Moleküle mit Wasserstoff-Brücken, bei denen das Proton zwei energetisch verschiedene, aber jeweils stabile Positionen einnehmen kann. Denn hierbei läßt sich ein elektrisches Dipol-Moment nachweisen, aus dem sich die Bit-Zustände 0 und 1 ablesen lassen. Bild 1c zeigt verschiedene, reversible "Konformationen" ein- und desselben Moleküls, die hier mit "trans" und "cis" bezeichnet sind und die man an ihren unterschiedlichen optischen Absorptionen unterscheiden und mithin als Speicher-Elemente nutzen kann. Und schließlich zeigt Bild 2 sogenannte "Donor-Brücke-Akzeptor-Komplexe", die gleichfalls zwei klar unterscheidbare Zustände annehmen können.

Donor und Akzeptor auch selektiv optoadressierbar

Sie werden in Fachkreisen derzeit mit besonderem Interesse studiert, findet zwischen solchen DA-Komplexen doch eine Elektronen-Übertragung statt, die bistabil erfolgt und die vor allem der oben aufgestellten Forderung nach strenger Lokalisierung Rechnung tragen soll.

In Bild 1d zeigt die linke, mit 0 sowie mit red. (reduziert) bezeichnete Skizze den Grundzustand eines solchen Komplexes, während die rechte den angeregten, die Binärzahl 1 kodierenden Zustand darstellt. Hierbei hat das Donator-Atom ein Elektron über die Brücke an das Akzeptor-Atom abgegeben, wodurch letzteres negativ, das erstere aber positiv geladen und mithin sozusagen "oxydiert" wurde.

Dieser zweite Zustand des Komplexes liegt energetisch höher als der erste, weshalb man an der Brücke, die in Wahrheit eine Tunnel-Barriere ist, mit der Zeit ein "Rücktunneln" des Elektrons beobachten wird. Und damit wiederum ähnelt diese Struktur in ihrem Verhalten stark der Zelle eines "dynamischen" Halbleiter-Schreib-Lese-Speichers, die die eingespeicherte Ladung ja auch mit der Zeit verliert und die daher periodisch wieder "aufgefrischt", also neu mit elektrischer Ladung gefüllt werden muß, denn auf ähnliche Weise könnte man ja auch so einen Donor-Brücke-Akzeptor-Komplex immer wieder mit frischer Ladung versehen.

Das Adressieren eines solchen Speicher-Elements könnte durch Anregen entweder des Donors oder des Akzeptors erfolgen, erläutert Mehring weiter, wobei die Folge jeder dieser Anregungen dann ein "Tunneln" der Ladung wäre. Und da "Donor und Akzeptor im allgemeinen unterschiedliche optische Absorptionsbanden haben", könne man sie auch selektiv optoadressieren.

Auf diese Weise sollen sich verschiedene logische Schalt-Zustände des ganzen DA-Komplexes ergeben, die denen eines oder-Gatters ähneln, und die zeigen: Man kann die Struktur sehr wohl als elementare, molekulare Speicher-Zelle einsetzen (Bild 3). Doch dürfte sich für die Praxis empfehlen, pro Bit stets mehr als nur eines dieser Moleküle vorzusehen: sonst nämlich könnte man mit der Speicher-Sicherheit Probleme bekommen.

Nimmt man die bisher schon mehrfach erwähnten Brücken genauer unter die Lupe, so kann man sehen, daß hier zwei grundlegend verschiedene Varianten denkbar sind. Nämlich einmal aliphatische Brücken wie in Bild 4(a); also einfach langgestreckte Ketten von beispielsweise CH2-Molekülen. Oder aber aromatische Brücken, bei denen ringförmige Kohlenwasserstoffe aneinandergereiht sind, wie 4(b) und 4(c) zeigen.

War weiter oben von der Tunnel-Barriere zwischen Donator und Akzeptor eines molekularen Speicher-Elements die Rede, so ist nachzutragen, daß damit die Brücken vom aliphatischen Typ angesprochen sind; Brücken nämlich, die von den Ladungsträgern in praktisch Null-Zeit überquert werden. Während die aromatischen Brücken durchaus selber als "Träger von Anregungen und Ladungen" fungieren und mithin als Speicher von Ladung beziehungsweise Information verwendet werden können, wie Mehring erinnert.

Ohne allzusehr in die Details der exotischen Speicher-Moleküle und ihrer elektrischen Phänomene vordringen zu wollen, läßt sich mit Bild 5 hier doch kurz eine Darstellung Mehrings wiedergeben, die eine ganz spezielle Variante, nämlich ein sogenanntes Polaronen-Speichermolekül, zeigt. Hierbei kann der Donor aus einem Anilin-Molekül bestehen, und der Akzeptor aus einer Variante eines Pyridins. Als "konjugiertes" Brückenelement dient bei diesem Speicherelement der Zukunft dann ein Polyphenylenvinyliden, das hier sogar gleich mehrere Elektronen, präzise gesagt, Polaronen aufnehmen kann.

Es muß vor der Idee gewarnt werden, schon morgen beim Hoflieferanten anrufen und nach dem Liefertermin des ersten Polaronen-Speicherbausteins fragen zu wollen. Denn in Experimenten mit derartigen Strukturen, so mahnt Mehring, konnten "stabile Speicher-Zustände bisher nur selten erhalten werden"; und allgemein seien diese neuartigen Konzepte moderner Speicher bisher stets "nur in Ansätzen realisiert" worden.

Spricht man von modernen Speicher-Bauelementen, so darf beim heutigen Stand der Diskussion keinesfalls der Hinweis auf das Gebiet der neuronalen Netze fehlen, die Informationen ja bekanntlich non-lokal - und zwar in Gestalt der verbindenen Strukturen zwischen Knoten - speichern. Denn zwischen ihnen und den hier diskutierten molekularen Strukturen besteht zumindest insofern eine gewisse Verbindung, als molekulare Speicher ja leicht "an verschiedenen Stellen verknüpft werden können".

Bild 6 zeigt an einem Gebilde namens Bipyridil-Kation, wie eine neuromolekulare Netz-Struktur aussehen kann. Diese molekulare Speicher-Einheit kann laut Referent "bis zu zwei Elektronen aufnehmen", die ihrerseits wieder "von verschiedenen, verbrückten Donor-Molekülen (D1, D2, D1' und D2') zur Verfügung gestellt werden".

Interessant ist an dieser bemerkenswerten Struktur vor allem, daß immer dann "ein weiterer Transfer von D2 und D2' aus 'inhibiert' ist", wenn die erwähnten zwei Elektronen schon von D1 und D1' aus auf das Molekül gebracht worden sind. Dies nämlich bedeute letztlich, daß das Molekül "konditioniert" werden kann und daß "der mögliche erreichbare Schaltzustand" daher "von der 'Umgebungskonfiguration' abhängt". Außerdem kann durch den Transfer von Einfach-Elektronen "die Schwelle für weiteren Elektronen-Transfer verändert werden".

Man muß gewiß kein Fachmann für neurobiologische Rechner-Strukturen sein, um aus alledem zu ersehen: Die Speicher-Moleküle der hier skizzierten Art weisen "wesentliche Eigenschaften neuronalen Verhaltens" auf. Und vernetzte man eines Tages gar noch mehrere Gebilde der Art von Bild 6, so könnte eine Struktur nach Bild 7 entstehen: also ein DA-Gitter, wie Mehring es nennt, das "sehr komplexe Eigenschaften besitzen" und sozusagen eine "Multizustands-Superstruktur" darstellen würde.

An diesen Strukturen ist vor allem interessant, daß man sich von ihnen erstens eine Fülle unterschiedlicher Varianten ausdenken kann, und daß sie zweitens um mehrere Größenordnungen kleiner als - nein, nicht als herkömmliche Halbleiter, sondern sogar als biologische neuronale Strukturen sein würden. Denn das bedeutet natürlich, hier würden sich Speicherdichten erzielen lassen, die die der Natur um "viele Größenordnungen" übertreffen.

Sicher ist all dies noch Zukunftsmusik ohne konkrete Aussicht auf baldige Labormodelle oder gar schon Produkte. Doch wenn Physiker, Chemiker, Elektroniker und Informatiker auf diesem Felde konzentriert zusammenarbeiten, muß der Schritt ins neuromolekulare Neuland der Computer-Evolution gewiß nicht nur eine Sache der Phantasie bleiben.

Allerdings sind auf dem Weg in diese faszinierende Molekülspeicher-Welt von morgen noch Probleme zu behandeln, auf die man vorerst keine rechte Antwort kennt. Denn ehe man auf neuromolekularer Ebene vielleicht einmal assoziative Speicher wird bauen können, muß man erst das Problem der Adressierung einzelner molekularer Einheiten gelöst haben. Für dieses Adressieren wird vorerst vor allem ein optischer Ansatz diskutiert, doch kann man das Licht "effektiv kaum besser als auf ein Wellenlängen-Quadrat lokalisieren"; also im Grunde auf eine Fläche nicht kleiner als 500 nm x 500 nm, arbeitet man mit sichtbarem Licht. Doch ist es natürlich kaum vorstellbar, damit einzelne Bit dieser molekularen Speicher mit ihren 1-nm-Strukturen anzusprechen.

Einen Ausweg könnte hier vielleicht die Idee weisen, die Speicher-Zellen über weitere innovative Nanometer-Strukturen, die man teilweise schon heute realisieren kann, direkt-elektrisch zu adressieren. Und auch vom Einsatz hochgradig fokussierter Elektronenstrahlen extrem kürzer Wellenlänge sowie von einer Technik ähnlich jener, die man vom Raster-Tunnelmikroskop her kennt, versprechen manche Experten sich einen weiterführenden Ansatz.