Dokumenten-Management: Internet-Funktionen gefragt

Vom Archiv zum Web-Portal

12.10.2001
ESSEN (fn) - Nach dem Ende des Internet- und Knowledge-Hypes konzentriert sich die Dokumenten-Management-Branche wieder auf praxisnahe Themen wie etwa die Verknüpfung von klassischer Formularerfassung und Archivierung mit Web-Content-Management-Funktionen. Wegen der großen Unterschiede beider Welten tun sich jedoch viele Anbieter schwer damit, alle Funktionen mit einem System abzudecken.

Zu den traditionellen Disziplinen von Dokumenten-Management-Systemen (DMS) zählen die elektronische Erfassung und Zuordnung von Schriftstücken sowie deren Archivierung. Firmen, allen voran Banken und Versicherungen, nutzen diese Lösungen zur Verarbeitung großer Mengen von strukturierten Papierdokumenten (Anträgen, Lieferscheinen, Rechnungsbelegen etc.). Doch vermehrt wollen Unternehmen die in DMS-Archiven gespeicherten Unterlagen externen Nutzern bei Kooperationspartnern, Lieferanten und Firmenkunden über Web-Portale zur Verfügung stellen, um sie an Geschäftsprozessen teilhaben zu lassen. Ergo müssen die Dokumenten-Server für den Zugriff via Internet gewappnet sein. Hierzu sind Funktionen zum Aufbau und zur Gestaltung entsprechender Websites erforderlich, die darüber hinaus bestehende Archiv-, Workflow- und Dokumenten-Server einbinden können.

Heute heißt alles "Content"Gern sprechen die DMS-Anbieter hochtrabend vom "Enterprise-Content-Management" und meinen damit das Verwalten von allen geschäftskritischen Dokumenten, seien es eingescannte Papierformulare, E-Mails, Datensätze aus ERP-Systemen, Einträge in CRM-Software oder Web-Inhalte. Allerdings sind nur wenige Anbieter heute schon so weit, all diese Quellen über eine einzelne Plattform verarbeiten zu können. Ein Grund liegt darin, dass viele Anbieter aus dem DMS-Bereich ihre Domäne in der Erfassung und dem Klassifizieren von Eingangspost haben. Ihre Produkte verrichten ihren Dienst als rechnergestütztes Vorgangsbearbeitungssystem - in den letzten Jahren erschloss sich die Branche dafür auch das ERP-Umfeld. Doch zum Erstellen, Publizieren und Verwalten von Internet-Inhalten benötigen Unternehmen Web-Content-Management-Systeme, die einen komplett anderen Funktionsumfang aufweisen müssen. Web-Seiten bestehen aus unterschiedlichen Elementen wie Text, Grafiken, Bildern sowie Video- und Tonsequenzen. All diese Informationen liegen jedoch nicht in einem zentralen Repository und Archiv, sondern müssen dynamisch von diversen Servern, etwa der ERP-Datenbank und anderen Content-Pools, zusammengeführt werden.

Web-ErweiterungenWenn wundert es, dass kaum ein Unternehmen der Branche eine Lösung vorweisen kann, die sowohl die traditionellen Disziplinen eines DMS als auch die des Web-Content-Management beherrscht. Oft bieten die DMS-Hersteller Zusatzprodukte für ein rudimentäres Web-Content-Management, die über Schnittstellen mit dem klassischen DMS verknüpft werden. Auf der diesjährigen Fachmesse DMS Expo in Essen nahmen sich eine ganze Reihe von Anbietern dieses Themas an und präsentierten Web-Erweiterungen ihres Produktportfolios.

Die Easy Software AG aus Mühlheim an der Ruhr beispielsweise stellt mit "Easy Portal" ein einfaches Redaktionssystem für Web-Seiten vor, mit dem Firmen Websites für geschlossene Benutzergruppen wie Geschäftspartner, Kunden oder Mitglieder einer Organisation errichten können. Neben Funktionen zum Bau von HTML-Pages liefert das Werkzeug eine Schnittstelle zum Archivsystem des Anbieters. Über in Scripts eingebettete Abfragen lassen sich so Dokumentenrecherchen vom Browser aus starten. Via einen Viewer wird das Formular im originären Format, beispielsweise Tiff, angezeigt. Solche Abfragen kann der Web-Designer in einen Link auf einer Seite einbetten. Der Browser-Anwender erhält dann durch Anklicken dieses Verweises Einsicht in die Dokumente. Bei diesem recht umständlichen Szenario will es Easy Software jedoch nicht belassen: Künftige Versionen des Portals sollen dynamische Web-Seiten unterstützen, bei denen die Dokumente im Push-Verfahren dem Internet-Anwender präsentiert werden.

Weit mehr Funktionen für das Web-Content-Management bietet Documentum mit der "4i E-Business Platform". Die Firma zählt zu den wenigen der DMS-Branche, die ein Produkt im Portfolio hat, das mit denen der Internet-Spezialisten Vignette und Interwoven mithalten kann. Dem Anbieter kommt entgegen, dass er sich nicht wie die Konkurrenz auf den Posteingang konzentriert hat, sondern in der Pharmabranche groß geworden ist, wo es um das Erstellern umfangreicher Dokumentationen mit wechselnden Texten, Grafiken und Bildern geht. Das Herzstück des Frameworks in der Documentum-Plattform 4i bilden der "E-Content Server" und das "Content Repository". Letzteres speichert HTML-Seiten, XML-Inhalte, Skripts, Texte, Konstruktionszeichnungen und Multimedia-Dateien. Dadurch fiel dem Anbieter der Brückenschlag zum Web-Content-Management wesentlich leichter als so manchem Player aus dem klassischen DMS-Markt.

Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, setzen die DMS-Traditionalisten in Sachen Web-Content-Management oft auf Partnerschaften mit Spezialisten. So arbeitet zum Beispiel Filenet mit Vignette zusammen. Über Schablonen ("Filenet Templates") werden der Web-Content-Management-Software von Vignette Workflow-Funktionen der "Filenet E-Process Services" zur Verfügung gestellt. Mit E-Process Services lassen sich dokumentenbasierte Arbeitsabläufe definieren, etwa die Vorgangsbearbeitung in Banken und Versicherungen. Mit dem Integrations-Tool können Unternehmen auch Online-Anwender bei Kooperationspartnern, Firmenkunden oder Lieferanten in Geschäftsprozesse einbinden.

Partnerschaften hoch im KursAuf Basis der Vignette-Filenet-Templates realisierte zum Beispiel Hewlett-Packard eine Web-basierte Kundendienstanwendung. HP-Klienten erhalten über eine mit Vignettes Web-Content-Management-System gebaute Site einen personalisierten Web-Zugriff und können beispielsweise den Status ihres Auftrags abrufen. Die E-Process Services sind Bestandteil von Filenets Softwareplattform "Panagon", die eine Reihe von Modulen zur Dokumentenerfassung per Scanner ("Capture"), Archivierung ("Image Services") sowie Dokumentenverwaltungsfunktionen ("Content Services") umfasst. Filenet bietet zwar mit "Web Publisher" selbst ein Web-Content-Management-Werkzeug an, doch dies wird eher zum Konvertieren von Dokumenten in HTML genutzt. So verwenden Firmen das Tool beispielsweise dazu, um Produktdaten für ihre Kunden über ein Portal bereitzustellen.

Um neben DMS- auch Web-Content-Management-Funktionen anbieten zu können, stützt sich IBM ebenfalls auf Kooperationen. Die Produktfamilie "Content Manager" deckt das Erfassen, Indizieren, Speichern und Ausgeben von Inhalten wie Papierformularen, HTML-Seiten sowie Video und Audio ab. Gleichzeitig arbeitet der Hersteller mit Interwoven zusammen. Dessen Software "Teamsite" lässt sich in IBMs Content Manager einbinden.

Archiv für Web-InhalteMit Teamxpress erstellte Web-Seiten erlauben einen Zugriff auf die im Content Manager gespeicherten Inhalte. Über "Teamsite Templating" können Objekte aus IBMs DMS-Lösung in das Web-Content-Management-System kopiert oder es kann über einen Link auf dort gespeicherte Dokumente zugegriffen werden. Zudem sind Teamxpress-Nutzer in der Lage, Content Manager als Archiv für Web-Seiten zu nutzen.

Soll die Zusammenarbeit von DMS- und Web-Software-Anbietern zu einer integrierten Lösung führen, müssen Hersteller einen universellen Dokumentenspeicher (Repository) bereitstellen. Dieser gemeinsame Speicher stellt zudem eine wichtige Voraussetzung für das eingangs erwähnte Enterprise-Content-Management dar. Erst dann wird möglich, was heute eher noch die Ausnahme ist, zum Beispiel die Archivierung eines Online-Angebots. Genauso verhält es sich mit Bestellungen via Web. Hier werden sich künftig noch weitere Web-Content-Management-Spezialisten und DMS-Player aufeinander zu bewegen müssen. "Viele Anbieter von Web-Content-Management-Systemen wissen noch nicht, dass auch sie archivieren müssen", beschreibt Ulrich Kampffmeyer von der Hamburger Unternehmensberatung Project Consult die derzeitige Situation. Eine Reihe von DMS-Herstellern hätten ihre Repositories aber so erweitert, dass sie zusätzlich Online-Dokumente speichern und indizieren können. Eine Web-Content-Management-Funktion ist damit allerdings noch nicht gegeben - lediglich die Schnittstelle, um die dafür nötigen Produkte einzuklinken. In diese Kategorie fallen laut Kampffmeyer neben IBM auch die Hersteller Tower Technologies, GFT Solutions und Saperion. Ceyoniq und Ixos stünden kurz davor, ihre Systeme den neuen Web-Content-Management-Anforderungen angepasst bereitzustellen.

Auch die Hamburger Firma Gauss Interprise arbeitet an einem universellen Repository. Der Hersteller bietet auf seiner Plattform "VIP Enterprise" mit "Contentmanager" eine Web-Content-Management-Lösung und mit "Docmanager" eine DMS-Software an. Laut CTO Olaf Siemens wird der gemeinsame Datenpool Bestandteil des für Mitte nächsten Jahres geplanten "VIP Enterprise 9" sein.

GDPdU: Cool bleibenSchon Wochen vor der DMS Expo in Essen versuchte die DMS-Branche mit fragwürdigen Behauptungen wie "Das Finanzministerium verpflichtet zur elektronischen Archivierung" Anwenderfirmen für die eigenen Produkte zu ködern. Auf der Messe hatte das Thema dann jedoch weit weniger Brisanz. Zwar bekundeten viele Hersteller, ihre Systeme seien kompatibel zu den Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU), doch nach den Worten von Bernhard Zöller von der Unternehmensberatung Zöller & Partner aus Sulzbach im Taunus werde in der Verordnung nichts weiter gefordert als das, was ohnehin jede vernünftige Finanzbuchhaltung erfüllt (siehe CW 35/01, Seite 1).

Ab dem 1. Januar 2002 sind laut GDPdU steuerrelevante Daten elektronisch aufzubewahren. Dem Steuerprüfer stehen dabei drei Möglichkeiten des Datenzugriffs zur Verfügung:

- Direkter Zugriff der Finanzverwaltung auf die DV des Anwenders;

- mittelbarer Zugriff: Das steuerpflichtige Unternehmen nimmt die Auswertung nach den Vorgaben der Finanzbehörde vor;

- Datenüberlassung zugunsten der Finanzverwaltung, sprich Datenträger.

Dass es sich bei dem Datenträger um ein Write-once-read-multiple-(Worm-)Produkt handeln muss, schreibt die GDPdU laut Zöller dagegen nicht vor. Lediglich die Maschinenlesbarkeit hat das geprüfte Unternehmen sicherzustellen, weshalb die Archivierung von Buchungsdaten auf Mikrofilmen ab 2002 nicht mehr zulässig ist. Auch bei den Behörden herrscht noch Unklarheit. "Die Oberfinanzdirektionen selbst wissen noch nicht genau, wie die GDPdU nun umzusetzen ist", gibt Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Project Consult, zu bedenken.

Silke Mohl, Steuerexpertin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, rät Firmen dazu, sich zunächst in Ruhe mit dem Steuerprüfer zusammenzusetzen, um ein Verfahren zur Prüfung zu verabreden.