VoIP-Migration - Praxistipps für die Umstellung

12.01.2007
Von Thomas R. Köhler
VoIP bietet eine immense Vielfalt neuer Möglichkeiten. Das Spektrum ist vielen Unternehmensverantwortlichen fast zu groß und führt zu Verunsicherung bei der Planung des geeigneten Anwendungsszenarios und der Entwicklung einer konkreten Migrationsstrategie. Fachautor Thomas R. Köhler gibt Praxistipps für die Umstellung auf VoIP.

Häufig ist der bisherige Lieferant für die Telekommunikationsanlage der erste Anlaufpunkt bei der Suche nach einer VoIP-Lösung. In der klassischen PSTN-Welt, galt der Markt für Unternehmenstelefonie als aufgeteilt: TK-Anlagenhersteller belieferten direkt oder über Serviceprovider/Carrier beziehungsweise über spezialisierte Systemintegratoren die Unternehmen. Am unteren Ende des Marktes agierte zudem der klassische Fachhandel. Netzbasierte Dienste, die TK-Anlagenfunktionen von Providerseite bereitstellten (sogenannte Centrex-Dienste) hatten in Deutschland nur marginale Marktbedeutung.

VoIP bringt nun nicht nur einen technologischen Umbruch sondern beeinflusst auch die Marktgegebenheiten und Vertriebswege.

Neue Player

Während traditionell die benötigten Leistungen wie TK-Anlage, Endgeräte, PSTN-Anbindung, Implementierung, Betrieb, Support und Consulting mehr oder weniger aus einer Hand erbracht wurden, hat der VoIP-Kunde erheblich mehr Optionen durch neue Anbieter - die typischerweise ein kleineres Portfolio abdecken - und damit notwendigerweise auch mehr Komplexität im Entscheidungs- und Migrationsprozess.

Diese bisher in der Telefoniewelt teilweise noch nicht oder kaum wahrgenommenen Unternehmen treten nun mit vollkommen neuen Produktangeboten auf den Plan und überrennen den bisher von TK-Anlagenlieferanten dominierten Markt.

Insbesondere Netzwerkausrüsterfirmen setzen auf VoIP. Da sie auf keine installierte Kundenbasis Rücksicht zu nehmen brauchen, können sie entsprechend aggressiv agieren. Sie nutzen bevorzugt ihre bestehenden Vertriebswege für Netzwerkhardware.

Auch Softwareunternehmen spielen in VoIP-Markt mit. Beinahe auf jeder Messe lassen sich neue Anbieter finden, die eine softwarebasierte TK-Anlage auf Windows- oder Unix-Plattform liefern. Hinzu kommt OpenSource als ernstzunehmende Alternative, zumindest für kleinere Installationen

Telekommunikationsunternehmen, die auch in der PSTN-Welt für einen erheblichen Teil des Marktes an TK-Anlagen und zugehörigen Services aktiv waren orientieren sich ebenfalls um und liefern - neben den neuen Lösungen der Anlagelieferanten - auch Systeme aus der Schmiede der Netzwerkausrüster, aber auch hochinnovative netzbasierte VoIP-Systeme wie IP-Centrex und Hosted-IP-Telephony. Die providerbasierte Bereitstellung der TK-Anlagenfunktionalität ist besonders für Unternehmen mit mehreren Standorten eine interessante Alternative zum Eigenbetrieb. VoBB (Voice over Broadband)- Angebote ergänzen dieses Portfolio in Richtung SOHO/Filialstrukturen (Small Office Home Office).

Eignung für die Praxis

Nicht jeder der skizzierten Lösungsansätze eignet sich gleichermaßen für die individuellen Anforderungen eines Unternehmens, auch wenn die Marketingprosa der Anbieter bei jedem Produkt eine beinahe universelle Eignung verspricht.

Eine erste, grobe Orientierung können die Parameter Mitarbeiterzahl und Anzahl der Standorte geben. Je flächenorientierter die Organisation ist, umso sinnvoller ist etwa eine netzbasierte Lösung. Eine weitere wesentliche Einflussgröße sind funktionale Anforderungen jenseits der typischen Grundfunktionalitäten, etwa bei der Integration von Applikationen.

Migrationskonzepte

Versucht man nun, vor dem Hintergrund dieser Vielfalt an Optionen, die VoIP-Migration zu planen, so lässt sich - analog zu anderen IT-Projekten - ein Phasenmodell als Hilfestellung heranziehen. Für ein VoIP-Projekt ist etwa die folgende Einteilung hilfreich:

. Planung

. Design

. Implementierung

. Betrieb

. Optimierung

Im Rahmen der Planungsphase sollten zunächst die Anforderungen möglichst präzise erhoben werden. Ein reines Fokussieren auf eine Replizierung des Status Quo mittels VoIP, etwa durch Anlehnung der Anforderungsdefiniton an die Funktionsliste des Altsystems, führt in die Irre. Nur die tatsächlich aktiv genutzten Features sollten in den Überlegungen berücksichtigt werden.

Die zentrale Frage sollte sich aber an den Perspektiven der IP-Telefonie für das Unternehmen orientieren. Je nach Unternehmen können dazu etwa ERP/CRM-Integration oder Mobilitätsunterstützung zählen.

Wird in dieser frühen Phase bereits ein Anbieter kontaktiert, so besteht die akute Gefahr, dass dieser die Anforderungsermittlung mit Blick auf sein eigenes Produktportfolio zu beeinflussen sucht und dem Unternehmen dadurch wichtige Chancen vorenthalten werden. Bei fehlendem eigenen Know-how empfiehlt sich daher dringend, eine neutrale Instanz in den Planungsprozess mit einzubeziehen.

Zu dieser Planungsphase gehört konsequenterweise auch ein Infrastruktur-Check. Eine grundlegende Security-Policy sowie Vorgaben für die anzustrebende Mindestsystemverfügbarkeit sollten ebenfalls in dieser ersten Phase definiert werden. Auch der grundlegende Ablauf des Übergangs vom Alt- zum Neusystem wird nun geplant.

Idealerweise werden nun im Rahmen der Planungsphase geeignete Konzepte von ungeeigneten getrennt und eine sehr präzise Ausschreibung vorgenenommen, die die tatsächlichen Anforderungen des Unternehmens widerspiegelt und es dem Anbieter erlaubt, ein präzises und vollständiges Angebot abzugeben.

Die Designphase startet sinnvollerweise mit einer Betrachtung der vorliegenden Lösungsvorschläge und bewertet diese nach funktionalen und monetären Gesichtspunkten sowie nach der zu erwartenden Akzeptanz beim Anwender. Hier kann ein Besuch in einem Democenter eines Anbieters oder eine Testinstallation Klarheit liefern. Nahezu alle Anbieter erlauben auf die eine oder andere Weise einen Funktionstest oder bieten zumindest Referenzinstallationen zur Besichtigung an. Ist der Anbieter nun selektiert, geht es an die Feinheiten des Lösungsdesigns, insbesondere der im Rahmen der Netzinfrastruktur notwendigen Änderungen bis hin zur Arbeitsplatzebene.

Im Rahmen der Implementierungsphase erfolgt der Rollout der neuen VoIP-Lösung. Im Regelfall erfolgt die Installation und Konfiguration "Schritt-für-Schritt" beziehungsweise Standort für Standort. Dazu gehört auch die Erstellung beziehungsweise Bereitstellung einer Nutzerdokumentation und ein schnell erreichbarer und permanent verfügbarer Support beim Übergang in die neue Telefoniewelt. Schulungen sollten sich in Umfang und Anspruch nach den Anforderungen der Nutzer richten und dabei zukünftige Administratoren wie auch Schlüsselnutzer (etwa die Sekretariate/Assistenzen von Führungskräften) besonders berücksichtigen. Nach erfolgreichen Tests wird im Rahmen dieser Phase auch das Altsystem abgebaut.

Sind die Hürden der Implementierung für jeden Standort genommen, so geht die VoIP-Installation in die Betriebsphase über. Hier stehen Reporting, laufende Betreuung durch den technischen Support, notwendige Änderungen samt Backups der Konfiguration, das Einspielen der vom Hersteller/Lieferanten bereitgestellten Patches wie auch der Ersatz von ausgefallener Hardware im Vordergrund. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte auch die Integration zwischen möglicherweise im Vorfeld des Projektes noch getrennten Geschäftsbereichen für IT und TK vollzogen sein.

Während sich die Tätigkeiten in der Betriebsphase an der Aufrechterhaltung des Status Quo orientieren, konzentrieren sich die Aufgaben der Optimierungsphase auf die Weiterentwicklung der VoIP-Umgebung.

Hierzu zählt zunächst die Bewertung neuer Software-Releases, inwiefern sie sich für die Unterstützung betrieblicher Ziele eignen sowie das Einspielen der Updates. Anhand der Performance-Daten erfolgt das "Feintuning" der eigenen Netzwerkumgebung. Nicht zuletzt zählen auch Security Audits / Assesments zu den Aufgaben dieser Phase.

Eine Vielzahl von Handlungsoptionen und die schnelle technologische Entwicklung machen ein VoIP-Projekt zu einer Herausforderung für jedes Unternehmen. Wesentlich ist, die Kontrolle über den Migrationsprozess stets in der Hand zu behalten, um nicht- wie häufig im klassischen TK-Anlagenmarkt geschehen - in unerwünschte Abhängigkeiten von einem Lieferanten zu geraten.