Kunden-Management/Ohne Umwege zum richtigen Ansprechpartner

Voice-over-IP macht Call-Center fit für Multimedia

20.10.2000
Wer Kunden am Telefon in der Warteschleife "verhungern" lässt oder sie bei komplizierteren Fällen auf eine nervige Frage-Tournee nach dem richtigen Ansprechpartner in "Buchbinder-Wanninger"-Manier durchs Unternehmen schickt, hat schon verloren. Communication Center, die mehr können, als nur Anrufe entgegenzunehmen, spielen laut Dieter Spangenberg* beim Customer-Relationship-Management (CRM) eine immer wichtigere Rolle.

"Bitte warten" ist auch heute noch eine häufige Floskel, die Anrufer vieler Call-Center zu hören bekommen. Ganz zu schweigen von dem Musik-Potpourri, das einen häufig vergessen lässt, was man eigentlich fragen wollte. Was für die Betroffenen ärgerlich ist, stellt die Betreiber vor ernsthafte Probleme. Denn für die Unternehmen steht mehr als nur das Image auf dem Spiel: Es geht um Kundenzufriedenheit und damit ums Geschäft. Lange Wartezeiten, mehrfaches vergebliches Anrufen, häufiges Weiterverbinden, Vertrösten auf einen Rückruf oder mangelnde Kompetenz des Personals lassen sich Kunden oder Interessenten heute kaum noch gefallen. In der Versicherungsbranche kündigt beispielsweise nahezu jeder dritte Kunde den Vertrag mit seiner Gesellschaft aufgrund negativer Erfahrungen bei telefonischen Anfragen. Ähnlich dramatische Folgen des altbekannten Telefon-Frusts lassen sich auch bei vielen anderen Anbietern beobachten, die im sensiblen Endkundengeschäft aktiv sind. Dementsprechend kommt der Pflege von Kundenbeziehungen besonders beim Betrieb von Call-Centern eine geschäftskritische Bedeutung zu. Und der Stellenwert der Kundenpflege wird noch steigen, denn dank Internet fällt die Untreue leicht - man kann per Mausklick den Anbieter wechseln. Da heißt es, mit Kundenorientierung und Qualitäts-Management gegenzusteuern: Hält ein Unternehmen nur fünf Prozent seiner Geschäftspartner davon ab, den Lieferanten zu wechseln, kann es seinen Gewinn Studien zufolge um bis zu 85 Prozent steigern. Während für den Erstkauf insbesonders der Preis ausschlaggebend ist, hängt die Kundentreue vor allem von der Servicequalität ab.

Hier setzen Workflow-Applikationen an, die weit über bislang übliche Lösungen im Call-Center hinausgehen. Die technische Basis liefert dafür unter anderem die Voice-over-IP-Technologie (VoIP). Sie ermöglicht das Zusammenwachsen von Sprach- und Datenkommunikation auf Basis des Internet Protocol (IP). Während die allgemeine Internet-Telefonie derzeit noch mit Echos, verschluckten Silben und ähnlichen Schwierigkeiten ringt und sich deshalb noch nicht auf breiter Front durchgesetzt hat, erobert sich die Sprachübertragung via IP-Leitung im innerbetrieblichen Bereich neue Anwendungsfelder. Heute gehört Voice-over-IP zu den Technologien, die den Weg zu einer neuen Qualität beim Kundenservice im Call-Center ebnen können. Während Störungen beim Transport von Sprache über das offene Internet heute nicht auszuschließen sind, lassen sich solche Probleme im Rahmen der definierten Leistungsfähigkeit firmeninterner Netzstrukturen vermeiden.

Mit einer mittels VoIP vereinheitlichten Infrastruktur ist nur noch ein einziges Endgerät für den Call-Center-Agenten erforderlich - der Computer. Das heißt auch, dass die Bearbeitung unter einer einheitlichen Windows-Bedienoberfläche erfolgen kann. Alle bewährten Telefon-Leistungsmerkmale wie Anrufumleitung, Rückfrage oder Makeln sind über eine grafische Bedienoberfläche mit der Maus aktivierbar. Telefoniert wird vom Computer aus über das Local Area Network des Unternehmens. Dabei stellen Gateways die Verbindung zwischen Telefon und Computer her, Gatekeeper sichern die nötige Bandbreite, um störungsfrei telefonieren zu können.

Die Telefonate lassen sich direkt über das lokale IP-Netz auf die nächsten freien Agenten verteilen oder am Bildschirm in der "Incoming Call Box" als wartender Anruf auflisten und entsprechend ihrer Priorität zuordnen. Das so genannte "Multimedia Call Processing" ermöglicht diesen Prozess auch, wenn Voice-Mails, Fax-Nachrichten, elektronische Post und Formulare via Internet eingehen. So eingerichtete Call-Center verfügen nicht nur über sämtliche Möglichkeiten einer herkömmlichen Telefonzentrale, sondern bieten darüber hinaus weitere Features. So kann beispielsweise auf den Web-Seiten des Unternehmens ein "Call-Me-Button" installiert werden. Will ein Surfer mit einem Berater sprechen, betätigt er diesen Schaltknopf und startet damit ein Java-Applet. Dieses sorgt für die Anmeldung am "Gatekeeper" des Call-Centers. Nun sind mehrere Kommunikationsarten möglich: Entweder ruft ein freier Agent via IP und einer normalen Telefonleitung bei dem Kunden zurück, oder dieser kommuniziert direkt per Sprache über die Datenverbindung mit dem Call-Center-Mitarbeiter. Das Ergebnis: schnelle und schlanke Betriebsabläufe ohne Medienbrüche sowie eine messbare Steigerung der Produktivität.

Zu den Unternehmen, die VoIP bereits im Call-Center einsetzen, zählt die Sindram Competence Center AG (SCC) mit Sitz in Flensburg. Das Angebot des derzeit 60 Arbeitsplätze umfassenden Competence Center richtet sich vor allem an Unternehmen, die ihr Customer-Relationship-Management ganz oder teilweise auslagern wollen. Für Versicherungen kann SSC beispielsweise die Annahme von Schadensmeldungen und deren schnelle Bearbeitung sowie die Außendienstroutenplanung, Terminvereinbarungen oder auch den Online-Versicherungsabschluss übernehmen. Mitarbeiter werden so entlastet, und der Außendienst kann sich stärker auf seine Hauptaufgabe, den Abschluss von Verträgen, konzentrieren.

Jeweils den "richtigen" Berater erreichenAuch bei der US-Softwarefirma J. D. Edwards Ltd. haben Anrufer heute sofort einen kompetenten Gesprächspartner an der Strippe. Das war nicht immer so. Bis vor kurzem wurden die Unternehmenskunden aus über 100 Ländern noch über eine automatische Anrufverteilung an den nächsten freien Berater geleitet. Das führte zu fundamentalen Kommunikationsproblemen: Anrufer und Agent sprachen oft nicht dieselbe Sprache. Hinzu kam, dass der erste Betreuer sich meist im Fachgebiet des Kunden nicht auskannte und an einen Kollegen weitervermitteln musste. Heute empfängt den Anrufer im Londoner Call-Center des Standardsoftwareherstellers ein sechssprachiges Interactive Voice Response System, das jede Kundenanfrage mit einer digitalisierten Liste von Beratereigenschaften vergleicht und den am besten geeigneten Call-Center-Mitarbeiter herausfiltert. J. D. Edwards nutzt hierfür "RésuméRouting", eine Lösung von Siemens ICN. Die Mitarbeiter im Call-Center werden dabei zu virtuellen Gruppen zusammengestellt. Die Software verwaltet jeweils bis zu 100 unterschiedliche Kriterien pro Agent und Anrufer und gleicht sie miteinander ab. Möchte beispielsweise ein englischsprachiger Top-Kunde Auskünfte zu einem ganz bestimmten Detailproblem, wird er automatisch mit einem persönlichen Betreuer verbunden, der seine Sprache spricht und ihm kompetent Auskunft geben kann.

In einer Studie des US-Marktforschungsinstituts Meta Group nannten 56 Prozent von 344 befragten Unternehmen eine individuelle Kundenbetreuung als wichtigste Aufgabe moderner Telefonzentralen. Auf dem zweiten Platz rangierte die Auftragsannahme mit 27 Prozent, gefolgt vom Vertrieb mit 16 Prozent. Überraschenderweise landete die Reklamationsbearbeitung bei dieser Erhebung mit mageren sechs Prozent nur auf dem sechsten Rang.

Vorreiter beim Einsatz von Call-Centern sind Telemarketing-Dienstleister und Versandhändler, so das Ergebnis einer weiteren Meta-Group-Studie. Ebenfalls im Spitzenfeld vertreten: Telekommunikationsanbieter, Versicherungen und Banken. Demnach kommen in diesen Branchen die Vorzüge der direkten Kundenansprache besonders zum Tragen: Die drei wichtigsten Gründe für den Einsatz eines Call-Centers sind die Zentralisierung der Vertriebsaktivitäten, die Effizienzsteigerung bei den Geschäftsabläufen sowie die Verbesserung der Kundenbindung.

Experten rechnen bei CRM-Investitionen nicht nur mit einem quantitativen Zuwachs von 15 bis 30 Prozent pro Jahr, sondern auch mit einer qualitativen Verbesserung der Lösungen. Die Art und Weise, wie Kundenservice geleistet wird, ist heute ähnlich wichtig wie der Kundenservice selbst. Nicht zuletzt deshalb erleben klassische Call-Center derzeit einen Generationswechsel - weg vom reinen "Telefonarbeitsplatz" hin zum innovativen Multimedia-Communication-Center, in dem Telefonie, Fax, E-Mail sowie Internet-Kommunikation auf einer PC-Oberfläche integriert sind.

*Dieter Spangenberg ist Leiter Vertrieb Deutschland bei Siemens Information and Communication Networks (ICN) in München.