Internet-Strategien

VKB: Neues Image und bessere Kundenbindung

26.05.2000
Es mag seltsam anmuten, dass ein Unternehmen mehrere Millionen Mark in seinen Internet-Auftritt investiert und trotzdem behauptet, dies nicht in erster Linie zu tun, um Kosten zu sparen. Genau dies erzählen dem Reporter die Projektverantwortlichen der Versicherungskammer Bayern (VKB), als sie ihm ihre Internet-Strategie erklären. Es gibt jedoch Gründe, ihnen zu glauben.CW-Bericht, Jan-Bernd Meyer

Als Karl-Heinz Weinmann, Mitglied des Vorstands der Versicherungskammer Bayern und verantwortlich für die Internet-Aktivitäten des Konzerns, am 4. April 2000 das Portal www.vkb.de offiziell ans Internet andockt und somit potenziell sechs Millionen seiner Kunden eine komplette Online-Abwicklung aller ihrer Versicherungsaktivitäten freischaltet, wirkt er nicht wie ein Getriebener. Trotzdem müsste er es sein.

Zwar dürfte das Portal des Konzerns dem Unternehmensimage sehr gut tun, von dem selbst Firmenangehörige fürchten, es könne in der breiten Öffentlichkeit etwas angestaubt erscheinen. Eine modernere Anmutung der Assekuranz mit frischer Außenwirkung war also sehr wohl auch gewollt, als im Frühjahr 1999 erste Diskussionen über ein Internet-Projekt und ein Portal stattfanden.

Aber Weinmanns Projektgruppe und der Vorstand spürten vor allem auch den heißen Atem der Konkurrenz: Junge Versicherungsunternehmen, die unter Ausschaltung des indirekten Vertriebsweges, also des Außendienstes, dem Kunden günstige Policen anzudienen gedenken. "In unserem Markt findet schon seit Jahren ein brutaler Verdrängungswettbewerb statt. Da wird schon lange nicht mehr mit Neuverträgen das große Geld verdient, sondern mit Abwerbungen von der Konkurrenz", sagt Weinmann.

Herausragende Motivation, das Internet-Portal zu entwickeln, war denn auch, mit diesem Service die VKB-Kunden weiter an sich zu binden und weniger, potenzielle Neukunden zu gewinnen. Neben dem Ziel, sich über einen kompetenten Internet-Auftritt das Image eines modernen Versicherungsunternehmens zu verschaffen, sollte den eigenen Vertriebspartnern zudem ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, mit dem sich diese gegen die nur über Online-Medien konkurrierenden Wettbewerber profilieren können.

Auf mittlerweile insgesamt rund 1400 Internet-Seiten breiten die VKB und ihre nachgeschaltete Außendienstorganisation mit rund 1000 Versicherungsagenturen sowie 120 Sparkassen in Bayern und Rheinland-Pfalz, über 70 Volks- und Raiffeisenbanken, ferner 45 eigene Niederlassungen der Bayerischen Landesbrandversicherungs AG, ihr komplettes Versicherungsspektrum mit allen Geschäftstätigkeiten aus. Ab Ende dieses Jahres soll es ferner möglich sein, Versicherungen vertragsreif über das Internet abzuschließen. Stolperstein bislang: Noch versucht das Bundesaufsichtsamt zu klären, wann ein im Internet abgeschlossener Kontrakt Rechtsgültigkeit erlangt.

Kunde kann auch Reisen buchenTrotzdem, sagt Weinmann nicht ohne Stolz, sei in Europa einzigartig, was die VKB mit ihrem Portal heute schon realisiert habe. Bereits seit Juli 1998 war der Konzern im Internet präsent. Seinerzeit allerdings diente der virtuelle Auftritt nur der Selbstdarstellung des Unternehmens. Seit dem 4. April 2000 kann der Internet-Surfer sämtliche von der VKB angebotenen Versicherungsleistungen einsehen. Ein VKB-Kunde ist zudem in der Lage, abgeschlossene Policen über das Portal im so genannten virtuellen Versicherungsordner zu verwalten und zu modifizieren. Voraussetzung: Er muss mindestens einen Vertrag mit der VKB unterhalten, zudem benötigt er als Zugangskontrolle ein Passwort und einen Benutzernamen.

Darüber hinaus bietet die VKB auf ihrem Portal in Kooperation mit Partnern verschiedene Mehrwertdienste an. So kann der VKB-Kunde etwa Reisen buchen, Konzertkarten zu reduzierten Preisen erwerben, und er hat Zugriff auf die Schwacke-Liste zur Schätzung von Gebrauchtwagen. Die grüne Versicherungskarte für Auslandsreisen lässt sich noch kurzfristig vor der Abreise via Internet ordern.

Wer zudem mit Kochkünsten à la Alfons Schuhbeck glänzen will, bekommt jeden Monat ein Rezept vom Starkoch. Und mit AOL wartet die VKB auch mit dem Angebot eines Internet-Providers auf, der mit einem günstigen Zugang zum WWW für die VKB-Kunden wirbt.

Nicht nur VKB-Kunden können sich zudem mittels eines Tarifrechners ihre persönliche Versicherungssituation zu verschiedenen Fragen wie Hausrat-, Lebens- und Rentenversicherung etc. erstellen lassen. Zwar bieten auch andere Assekuranzen solche Tarifrechner online an. VKB-Kunden besitzen jedoch darüber hinaus die Möglichkeit, ihre individuellen Policen bei der VKB im interaktiven Dialog über das Portal zu ändern und an modifizierte Verhältnisse anzupassen. Karsten Eichmann, Marketingleiter, sagt denn auch, Grundgedanke für die Internet-Strategie der VKB sei, "dass Kommunikation über das Unternehmen heute nicht mehr ausreicht. Man muss vielmehr versuchen, tatsächlich als Online-Assekuranz auftreten." Das heißt, sämtliche Geschäftsprozesse der Versicherung sollten im Internet beziehungsweise auf dem Portal abgedeckt sein, und der VKB-Kunde muss alle versicherungstechnisch relevanten Belange über dieses Medium abwickeln können.

Fünf Unternehmen verschmolzenGut gebrüllt, Löwe, ließe sich da Shakespeare zitieren. Denn hinter so viel Anspruch steckte für alle Beteiligten eine Mammutaufgabe. Was nämlich heute die Versicherungskammer Bayern ist, waren bis 1995 fünf völlig getrennt agierende Unternehmen: die Bayerische Landesbrandversicherung, der Bayerische Versicherungsverband, die Bayerische Beamtenkrankenkasse, die damalige Bayerische Versicherungskammer und die BayernVersicherung Lebensversicherung. Diese Unternehmen wurden zu einem Konzern, eben der VKB, verschmolzen. Unter dem Dach einer Holding bündelte man dabei Querschnittsfunktionen wie Vertrieb, Personalführung und insbesondere die komplette Datenverarbeitung. Das bedeutet auch, dass nicht kompatible Host-Systeme wie IBM-OS/390-Mainframes und Siemens-BS/2000-Großrechner nebeneinander existieren.

Hier alle Daten zusammenzuführen ist bis heute nicht völlig gelungen, was sich auch auf das Internet-Portal-Projekt auswirkt. Denn das Herzstück der VKB-IT-Topologie ist der Host, auf dessen DB/2-Datenbank sämtliche sechs Millionen Kunden mit ihren Stammdaten sowie insgesamt rund neun Millionen Policen mit deren Vertragsdaten lagern. Auf der zweiten Rechnerebene unterhält die VKB eine sehr große Lotus-Notes-Domino-Server-Farm von IBM-Maschinen unter Windows NT. An diesen Servern hängen auch Außenstellen der VKB, also sowohl alle Außendienstagenturen als auch die Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken.

Diese werden über das Außendienstsystem "Veria" von der DB/2-Datenbank des Hosts über die Lotus-Notes-Domino-Server mit ihren jeweiligen Kunden- und Vertragsdaten versorgt. Insgesamt greifen auf diese Weise rund 3000 Außenstellen über ISDN-Leitungen und einen festen Einwahlknoten mit IP-Adresse ständig auf den Host zu, um täglich ihre Daten abzugleichen.

Auf dieser Host-Lotus/Notes-Anbindung, die bereits im Juli 1998 vom Stapel lief, baut auch das Portalprojekt auf, das ab dem Frühjahr 1999 in Angriff genommen wurde. Dem hierzu gegründeten Projektteam arbeiten der DV-Vorstand als sachlicher Leiter, Sachbearbeiter aus allen VKB-Fachbereichen und die Marketing- und Öffentlichkeitsabteilung zu. Von Vorteil war, dass der VKB-Vorstand dem Thema Internet nicht nur offen gegenüberstand, sondern das Vorhaben auch dann konsequent unterstützte, als "dieses Projekt eine große Dynamik entwickelte", wie Martin Werner von der Abteilung Neue Medien es ausdrückt: "Uns wurde nämlich schnell klar, dass wir viel Geld investieren mussten, um nicht nur halbe Sachen zu machen." Allerdings habe man auch die großen Chancen erkannt, die sich mit einem Portal etwa für die Kundenbindung nutzen lassen. Wohl deshalb fiel es dem Vorstand relativ leicht, "viel Geld in die Hand zu nehmen, um das Portalprojekt durchzuziehen."

Allerdings wäre das Vorhaben ohne Hilfe von außen nicht zu schultern gewesen. Alle Beteiligten aus den Fachbereichen waren durch zusätzliche Sitzungen und den Willen, das Projekt so kurzfristig wie möglich zu vollenden - als Starttermin hatte man sich auf den 4. April 2000 festgelegt - extrem gefordert.

Alle Fäden der Projektgruppe liefen bei einem Lenkungsteam mit dem Marketingleiter und den Leitern der Bereiche EDV, Betriebsorganisation und Öffentlichkeitsarbeit der VKB zusammen. Die Projektkoordination lag in der Obhut der Unternehmensberater von Roland Berger, die zeitweise mit bis zu sieben Personen dafür Sorge trugen, dass Konzepte erarbeitet, Zeitpunkte eingehalten und zeitweise bis zu 30 Projektmitarbeiter in ihren Aktionen synchron geschaltet wurden. IBM steuerte als Systemintegrator eine Programmiermannschaft aus ihrer Global-Services-Truppe bei. Deren Mitglieder entwickelten die Schnittstellen zwischen dem Host und den Lotus-Notes-Servern. Außerdem stellten sie den Web-Server auf und entwarfen das Sicherheitssystem. Die Hamburger Multimedia-Agentur fluxx.com kreierte das Design des Web-Portals. Die Anpassung der bestehenden VKB-Angebotsprogramme wie etwa der Tarifberechnungsapplikationen, die für die Nutzung im Internet tauglich gemacht werden mussten, sowie weitere Programmierparts übernahm schließlich die Inverso GmbH, eine Softwaretochterfirma der VKB.

Dieses Projektteam entwarf sowohl die Web-Server als auch die Lotus-Notes-Landschaft, auf der das Redaktionssystem lagert. Dieses ist das Kernstück des Web-Auftritts der VKB, integriert es doch sämtliche Geschäftsprozesse und Versicherungs-Dienstleistungen der VKB, die über das Portal dem Internet-Surfer sichtbar gemacht werden sollen. Es reicht diese zudem in einem Spiegelungsverfahren auch an sämtliche Außendienststellen der VKB weiter, wobei das Redaktionssystem noch Filterfunktionen übernimmt, da die Kundenstamm- und Vertragsdaten bei den über 1000 verschiedenen Außendienststellen ja jeweils unterschiedlich sind.

Außerdem können die einzelnen Agenturen aus einem Baukasten des Redaktionssystems verschiedene Module wählen, um sich so einen individuellen Internet-Auftritt zu gestalten. Beispielsweise lassen sich Gewinnspiele in den jeweiligen Homepage-Auftritt einer Agentur integrieren. Technisch betrachtet, läuft dieser Auftritt zwar über die VKB-Lotus-Notes-Server. Für den Kunden sieht es aber so aus, als ob er sich auf der persönlichen Homepage eines VKB-Agenten bewegen würde. Auch die Integration der Internet-Seiten sowie die Gestaltung von bislang 1400 individualisierten Web-Seiten für die jeweiligen Agenturen und Sparkassen oblag dem Projektteam.

Bei den Kosten für das Portalprojekt halten sich die Gesprächspartner etwas zurück. Im hohen siebenstelligen Mark-Bereich seien die Investitionen anzusiedeln, bescheiden sie den Frager. Den vorgegebenen Zeitplan, sagt Martin Joachim, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsabteilung der VKB, konnte man so gut wie immer einhalten. Die heiße Phase des Portalprojekts begann Ende September 1999. Im letzten Quartal des vergangenen und im ersten Vierteljahr 2000 wurde die gesamte Systemintegration parallel zur Realisierung des Online-Auftritts vollzogen.

Um die Sicherheit des Portalprojekts zu prüfen, beauftragte die VKB das Münchner Softwarehaus Articon Information Systems AG mit einem ganz offiziellen Hacker-Auftrag. Erst nachdem die Sicherheitsspezialisten der Assekuranz die Unbedenklichkeit zweier vor und hinter dem Web-Server positionierten Firewalls attestierten, konnte Vorstandsmitglied Weinmann am 4. April 2000 grünes Licht für das VKB-Portal geben.

ErfahrungenDie VKB hat ihr Internet-Portalprojekt innerhalb eines knappen Jahres durchgezogen. Um der damit verbundenen Herausforderung an die Belastbarkeit der Mitarbeiter gewachsen zu sein, sollten Unternehmen, die Ähnliches planen, verschiedene Überlegungen beherzigen. Einige Ratschläge der VKB-Verantwortlichen:

-Das Ziel des Projekts muss absolut klar sein.

-Alle Beteiligten müssen an einem Strang ziehen. Zwischen einzelnen Fachabteilungen darf es keine Unstimmigkeiten geben, etwa bezüglich der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.

-Wichtig ist, dass der Unternehmensvorstand das Projekt konsequent unterstützt. Weniger wichtig hingegen, wer es leitet.

-Von elementarer Bedeutung ist, dass in allen Fachabteilungen Leute arbeiten, die sich für das anstehende Projekt, im Fall der VKB für das Thema Internet-Portal, begeistern können und ein großes Engagement an den Tag legen. Denn deren Kenntnisse sind vonnöten, um alle Geschäftsprozesse abbilden und ins Internet übertragen zu können. Insofern ist es auch von Bedeutung, aus jedem Fachbereich einen Vertreter für die Projektarbeit zu rekrutieren.

-Den Teammitgliedern muss für das Projekt der Rücken freigehalten werden.

-Die Moderation der Projektarbeit sollte nicht vom Vorstand ausgehen. Hierzu ist es besser, einen externen Unternehmensberater hinzuzuziehen.

-Der Vorstand sollte die Moderation natürlich nicht behindern. Im Fall des VKB-Projekts hatte das Management demgegenüber sogar die Prämisse ausgegeben, auch mal "grüne Wiese" zu spielen und nicht entlang eingefahrener Wege zu denken. Prompt entwickelten viele Mitarbeiter sehr gute Ideen.

-Die Beteiligten sollten an sehr langer Leine arbeiten können.

-Grundsätzlich darf die permanente Personalknappheit keinesfalls unterschätzt werden. Im Alltag etwa eines Internet-Projekts gilt es so viele Arbeiten zu erledigen, an die man zunächst gar nicht dachte, dass man immer wieder schnell an Kapazitätsgrenzen stößt.

-Es muss ein hausinternes Team geben, das sich auch nach Abschluss aller Arbeiten hauptsächlich um das Projekt kümmert.

-Die Vorstellung, mit dem Abschluss des Internet-Projekts sei alle Arbeit getan und man könne wieder zur Tagesordnung zurückkehren, ist völlig falsch. Dann geht die Arbeit nämlich erst richtig los. Sowohl in personeller wie in sachaufwendiger Weise kommen auf ein Unternehmen weitere erhebliche Mehrausgaben zu.