Visual Development Environment vorgestellt IBM will Cobol mit OO und mit grafischer Umgebung beleben

16.12.1994

MUENCHEN (qua) - Wenn sich Ankuendigungen verkaufen liessen, waere die IBM ihren Cobol-Konkurrenten um einen ganzen Schritt voraus. Waehrend Micro Focus bereits objektorientierte Erweiterungen fuer seine Cobol-Workbench anbietet und Computer Associates (CA) sein Glueck mit einer visuellen Programmierumgebung fuer die prozedurale Sprachversion versucht, will Big Blue noch eins draufsetzen: mit einer grafischen Umgebung, die objektorientierte Cobol- Erweiterungen einschliesst.

Kevin Bury, Programm-Manager bei IBMs Software Solutions Division, beschwor die Reanimation einer sterbenden Sprache: "Auch Basic war bereits totgesagt", argumentierte er. Aber Microsoft habe in State-of-the-art-Werkzeuge investiert und mit "Visual Basic" den grossen Coup gelandet. "Wir machen dasselbe mit Cobol", versprach der IBM-Manager den Teilnehmern eines von der Object Academy, Willich, veranstalteten Seminars.

Nach dem heutigen Stand hat der blaue Riese IBM jedoch das Nachsehen, wenn es um Cobol auf dem PC geht. Der Marktfuehrer Micro Focus bietet bereits seit einigen Monaten eine Objektoption fuer seine Cobol-Umgebung an. Unter dem Titel "Tapestry Initiative" arbeitet er zudem an einer grafischen Umgebung fuer die Cobol- Entwicklung. In dieses Umfeld gehoert sicher auch die Mitte dieses Jahrs erfolgte Akquisition eines visuellen Cobol-Tools von der Dortmunder EDS-Tochter MBP GmbH. CA hingegen hat mit "Visual Realia" eine grafische Programmierumgebung auf den Markt gebracht, die allerdings fruehestens im uebernaechsten Jahr objektorientierte Spracherweiterungen aufweisen soll (siehe Seite 20).

Wann die IBM-Umgebung tatsaechlich verfuegbar sein wird, steht noch nicht fest. Im Maerz kommenden Jahres soll "Cobol for OS/2" zunaechst in die Betatest-Phase eintreten. Versionen fuer das Unix- System AIX und die Microsoft-Schnittstelle Win/32 sind geplant, aber noch nicht angekuendigt.

Die GUI-basierten Umgebung wird sowohl eine "Maintenance Workbench" als auch eine "Test Workbench" enthalten. Mit Hilfe der "Team Connection" laesst sie sich laut Ankuendigung auch in Arbeitsgruppen einsetzen. Ebenfalls vorgesehen seien Funktionen fuer die Datenmodellierung und das Datenbankdesign. Darueber hinaus stellte Bury ein Werkzeug fuer die objektorientierte Analyse in Aussicht, das bislang unangekuendigt sei und ueber das er deshalb noch keine Details preisgeben wollte.

Mit einem Standard fuer "Object Cobol" rechnet der IBM-Manager eigenen Angaben zufolge erst fuer 1997. Aber er weiss auch: "So lange koennen unsere Kunden nicht warten." Deshalb werde IBM ein Subset von objektorientierten Erweiterungen anbieten, das die strittigen Punkte des Standards - beispielsweise die "Garbage- Collection" - ausser acht lasse.

Das Toolset soll dem Entwickler erlauben, Cobol als Scripting- Language fuer die Verbindung von Software-Objekten oder - Subsystemen zu nutzen. Weitergehende Plaene sehen einen SOM- Compiler vor, der die entwickelten Anwendungen mit dem Objektmodell der IBM und dem Corba-Standard der Object Management Group (OMG) in Einklang bringen soll.

Fuer eine Wiederbelebung von Cobol spricht laut Bury nicht nur der gigantische Verbreitungsgrad dieser Sprache, sondern auch ihre "enge Affinitaet" zu dem Transaktionsmonitor CICS. Allerdings gab ein Seminarteilnehmer zu bedenken, dass Visual Basic kaum noch Aehnlichkeit mit dem urspruenglichen Basic aufweise und Object Cobol deshalb wohl ebenfalls schwerlich als dieselbe Sprache wie Cobol bezeichnet werden koenne.