Vista vereint Web- und Rich-Client

07.08.2006
Von 


Wolfgang Miedl arbeitet Autor und Berater mit Schwerpunkt IT und Business. Daneben publiziert er auf der Website Sharepoint360.de regelmäßig rund um Microsoft SharePoint, Office und Social Collaboration.
Web-Anwendungen sind plattform- und ortsunabhängig, Rich-Client-Programme hingegen bieten einen höheren Bedienkomfort. Mit Windows Vista und .NET 3.0 verspricht Microsoft die Verschmelzung beider Welten.
Die .NET-3.0-Erweiterungen WPF, WCF, WF und WCS setzen auf den .NET-2.0-Klassenbibliotheken auf.
Die .NET-3.0-Erweiterungen WPF, WCF, WF und WCS setzen auf den .NET-2.0-Klassenbibliotheken auf.

Vista steht vor der Tür, und viele Anwender fragen sich, welche echten Neuerungen gut fünf Jahre nach der Vorstellung von Windows XP zu erwarten sind. Allen Testern der aktuellen Betaversion von Vista fällt zunächst die neu gestaltete grafische Benutzeroberfläche "Aero" auf. Optische Effekte wie Milchglas-Fensterleisten mögen auf den ersten Blick als Oberflächenkosmetik erscheinen, doch Microsoft hat gegenüber XP auch das darunter liegende Fundament gegen ein völlig neues grafisches Subsystem ausgetauscht. Als Motiv nennen die Redmonder zunächst einmal die User Experience - also das Benutzererlebnis - , das im privaten wie geschäftlichen Bereich zunehmend in den Vordergrund rückt. Softwarehersteller versuchen sich durch die einfachere und intuitivere Bedienung ihrer Anwendungen zu profilieren, Web-Präsenzen müssen attraktiv gestaltet sein, um potenzielle Kunden zu binden.

.NET-Framework 3.0

Aufbauend auf .NET 2.0 erscheint mit Windows Vista das .NET-Framework 3.0. Microsoft hat dabei die Kernbestandteile der Version 2.0 beibehalten und vier neuen Basistechnologien hinzugefügt, die bisher unter dem Codenamen WinFX geführt wurden: Windows Presentation Foundation (WPF), Windows Communication Foundation (WCF), Windows Workflow Foundation (WF) und Windows Cardspace (WCS). Mit Hilfe dieser Techniken vereinfacht sich die Entwicklung neuer Anwendungen in den Bereichen User Interface, Netzwerk- und Serviceorientierung, Workflow sowie Zugangs- und Identitäts-Management.

Glossar

• WPF (Windows Presentation Foundation) ist das Framework für die Frontend-Entwicklung unter dem .NET-Framework 3.0.

• WPF/E ist eine Untermenge von WPF und ermöglicht die Ausführung von Windows-Anwendungen auch auf Nicht-Microsoft-Betriebssystemen und -Browsern sowie auf verschiedenen mobilen Plattformen.

• XAML (Extensible Application Markup Language) ist Microsofts XML-basierende Beschreibungssprache für WPF. Im Idealfall reduziert sich die Entwicklung von interaktiven Anwendungen auf wenige Zeilen Plain-Text-Script.

• Aero bildet die Benutzeroberfläche von Windows Vista. Mit Hilfe von Aero-Theme-Files und einer Aero-Programmierschnittstelle sollen Entwickler ihre Anwendungen auf das Vista-Look-and-Feel trimmen können.

• ClickOnce Deployment soll die Installation von Client-Anwendungen via HTTP oder FTP mit möglichst geringem Aufwand versehen. Programme prüfen sich selbsttätig auf Updates und installieren diese während des Programmstarts. Die .NET-Code-Access-Security achtet auf vertrauenswürdigen Code.

Schwerpunkt Usability

Auch im Bereich geschäftlicher Programme verstärkt sich dieser Trend, indem die Hersteller zunehmend in Design und Usability ihrer Applikationen investieren. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass schlechtes Design bei ERP- oder CRM-Geschäftsanwendungen dazu führen kann, dass die Benutzer Daten nur widerwillig oder sogar fehlerhaft eingeben und wichtige Funktionen nicht nutzen.

Aero weist eine Reihe von Besonderheiten auf, mit denen es sich vom bisherigen, 20 Jahre alten Windows-Grafiksystem GDI unterscheidet, wie Oliver Scheer, .NET-Technologieberater bei Microsoft Deutschland, erklärt: "Das Neue an Aero ist zum einen die vektorbasierende grafische Darstellung der Benutzeroberläche. Zur Berechnung von Fenstern und 3D-Effekten wird dabei die Direct-X-Schnittstelle im Verbund mit leistungsfähigen 3D-Grafikchips genutzt." Microsoft möchte im Zusammenhang mit Aero auch die allgemeinen Usability-Standards verbessern und bietet Entwicklern unter anderem den Einsatz von Theme-Files an. Damit soll die Anpassung von Anwendungen an die Vista-Standards erleichtert werden.

Mehr Möglichkeiten für Designer

Ein weiteres Grafik-Novum ist die Windows Presentation Foundation (WPF), die ein Bestandteil des zeitgleich mit Vista erscheinenden .NET-Frameworks 3.0 sein wird. Mit WPF ändern sich die Programmiermöglichkeiten für grafische Oberflächen grundlegend. Während bisher komplexe Sprachen wie C++ oder C# bei der Gestaltung von Benutzerschnittstellen als Standard galten, vereinfacht Microsoft nun die Entwicklung durch die Einführung der XML-basierenden Sprache XAML (Extensible Application Markup Language). Damit sinkt die Einstiegshürde deutlich, so dass zukünftig sogar Anfänger in der Lage sein werden, mit wenigen Zeilen XAML-Code komplette interaktive Programmoberflächen zu erzeugen. Das soll auch Auswirkungen auf die Designprozesse komplexer Applikationen haben: Mussten sich Designer bisher auf den Layoutentwurf eines Frontends beschränken und den Entwicklern die komplette Frontend- und Anwendungsentwicklung überlassen, so können die Gestalter künftig die komplette Vektoroberfläche für WPF-Software erzeugen, während die Programmierer ausschließlich den Part der Anwendungslogik übernehmen.

Gegen den bislang unauflösbar erscheinenden Gegensatz von Web- und Rich-Client-Anwendungen hat Microsoft mit WPF Everywhere - kurz WPF/E - ebenfalls sein neues Rezept gefunden. Die Vorteile erläutert Scheer folgendermaßen: "Mit WPF/E entfällt erstmals die strikte Plattformbindung von Rich-Client-Code an Windows, stattdessen läuft solche Software auch auf verschiedenen alternativen Plattformen wie beispielsweise Mac OS, in Nicht-Microsoft-Browsern wie Firefox oder auf verschiedenen mobilen Endgeräteplattformen." Voraussetzung dafür ist eine Laufzeitumgebung, die in Form von Plug-ins zum Download bereitgestellt wird. Noch existiert kein Veröffentlichungstermin für WPF/E, voraussichtlich Mitte nächsten Jahres dürfte es aber fertig sein.

Kein Bruch zu .NET 2.0

Das Grafik-Framework WPF ist aber nur eines von vier neuen Subsystemen, die mit dem Versionssprung auf das .NET Framework 3.0 eingeführt werden. Die weiteren Komponenten sind Windows Communication Foundation (WCF), Windows Workflow Foundation (WF) und Windows Cardspace (WCS). Scheer betont aber, dass die Kontinuität gewahrt bleibt: "Bei diesen vier neuen Komponenten handelt es sich um eigenständige Erweiterungen, die auf der aktuellen Klassenbibliothek von .NET 2.0 aufsetzen. Somit können wir Entwicklern eine volle Kompatibilität ihrer bisherigen .NET-Anwendungen auch unter .NET 3.0 gewährleisten."

Serviceorientierung

Die Windows Communication Foundation (WCF) zielt insbesondere auf die Entwicklung von serviceorientierten Anwendungen und alle andere Arten von verteilten Systemen ab. Mit der Windows Workflow Foundation (WF) adressiert Microsoft den wachsenden Bedarf an Workflow-orientierten Applikationen.

Windows Cardspace erhöht die Sicherheit und den Bedienkomfort beim Zugriff auf Web-Seiten und Web-Dienste, indem Benutzernamen und Kennwörter durch kryptografisch starke Tokens ersetzt werden.

Bereits mit der Einführung der ersten Version des .NET-Frameworks leitete Microsoft die Entwicklung von so genannten Smart-Client-Anwendungen ein. Es handelt sich dabei um Hybrid-Anwendungen, die zwar am Client laufen und wie klassische Windows-Applikationen aussehen, allerdings über Web-ähnliche, HTTP-basierende Bereitstellungsmechanismen verfügen und somit einfach zu verteilen und zu verwalten sind.

Erweiterter Smart Client

Die Definition von Smart Client wurde mittlerweile erweitert und umfasst neben Windows-Desktop-Anwendungen auch reine Web-Anwendungen auf ASP.NET-Basis. Um eine einfache Verteilung von Smart-Client-Desktop-Anwendungen zu ermöglichen, stellt das .NET-Framework mittlerweile die ClickOnce-Technologie zur Verfügung. Anwendungen werden dabei direkt aus dem Internet installiert und gestartet, wobei die geltenden Sicherheitsrestrektionen überwacht werden. Ebenso kann bei jedem Start überprüft werden, ob es eine neuere Version der Anwendung gibt, um diese gegebenenfalls automatisch nachzuinstallieren. Die Konfigurationsmöglichkeiten des ClickOnce-Deployment lassen sich einfach und individuell an geforderte Sicherheits- und Anwendungsszenarien anpassen.

Ajax nachladen

In aller Munde sind derzeit Web-Seiten und -Anwendungen, die auf Ajax-Technik basieren. Microsoft bietet mit dem Atlas-Framework eine Erweiterung für ASP.NET an, die umfassende Ajax-Funktionen enthält. Dadurch lassen sich interaktivere Browser-Anwendungen erstellen, die auf Server-seitigen Diensten basieren. Der Lernaufwand für Entwickler ist gering, und bestehende Web-Seiten müssen nicht modifiziert werden, um Ajax-Fähigkeiten zu integrieren. Microsoft bietet auf der ASP.NET-Seite die aktuellen Erweiterungen zum Download an.

Das .NET-Framework 3.0 ist Bestandteil von Vista, gleichzeitig wird es Microsoft auch für Windows XP und Windows Server 2003 zum Download anbieten. Somit steht auch auf diesen Systemen der volle Funktionsumfang von .NET 3.0 zur Verfügung. (ue)