Visionen als Wegbereiter der Zukunft akzeptieren

01.05.1992

Paul G. Dolan, Dolan Consulting GmbH, Frankfurt am Main*

Allzugern wird das Wort Vision belächelt und in das Gebiet der Träumerei abgeschoben. Im Duden finden wir sogar den Begriff "Trugschluß" als eine von mehreren Definitionen. Das Wort Vision kommt aus dem Lateinischen visio: "die bildliche Vorstellungskraft." In dieser Definition steckt schon etwas Aktives, eine Kraft, die offensichtlich mehr als nur reine Träumerei ist.

"Das Management eines zukunftsorientierten Unternehmens muß Visionen als Wegbereiter der Zukunft akzeptieren und Toleranz für diejenigen aufbringen, die Tradition in Frage stellen."

Manager wie Technokraten, die ihrer Arbeit gewissenhaft nachgehen, werden in der Zukunft nach wie vor gefragt sein. Diese Kräfte bewahren die Tradition und das bestehende System. Dennoch gibt es eine steigende Nachfrage für Frauen und Männer im Management, die eine visionäre Vorstellung der Zukunft haben. Diese sind persönlich so engagiert, daß sie bereit sind, unkonventionelle Wege zu gehen, weil sie nicht nur irgendeinen Weg verfolgen, sondern weil sie ein Ziel haben, wo sie ankommen müssen.

Der Ausbau eines Unternehmens oder einer Institution braucht diese mutigen Kräfte, die Visionen verwirklichen können, und die bereit sein müssen, mit der Tradition zu brechen.

"Wir müssen Führungskräfte suchen, die uns Probleme zu lösen und keine neuen verursachen."

Nie zuvor war die Zahl der für die Wirtschaft zu lösenden Probleme so groß wie die, die heute bei Unternehmern und Führungskräften auf den Tisch kommen. Die Zahl der zu lösenden Probleme wird mit der Komplexität unserer Gesellschaft und den immer weiter zunehmenden Prozessen der Arbeitsteilung auch in der Zukunft weiter wachsen.

Wenn unsere Führungskräfte nicht die Vorstellungskraft haben, daß ihre Probleme lösbar sind, wenn sie keine Vision der Lösung vor Augen haben, dann werden wir uns bald zu einem Häufchen jammernder Schwarzmaler degradiert wiederfinden.

"Wir müssen davon ausgehen, daß das Rückgrat einer florierenden Wirtschaft aus gesunden, funktionierenden Unternehmen bestehen muß."

Die Zukunft hängt von der unermüdlichen Kraft der Unternehmer ab: Neue Produkte und Dienstleistungen, die Menschen und Markt gleichermaßen benötigen; Arbeitsplätze; wirtschaftliches Wachstum und Steuergelder, womit Regierungsprogramme finanziert werden können..., alles hängt von Unternehmern ab. In diesem Prozeß ist eine besondere Art von Menschen zur Integration und Weiterentwicklung des Ganzen gefragt: Führungskräfte mit Vision. Diese Führungskräfte werden in jedem Bereich der Wirtschaft benötigt.

"Es ist heute wichtiger denn je, das Bewußtsein für Visionen in wesentlichen Fragen der Unternehmenspolitik auf der Abteilungsleiterebene und darunter zu wecken und Engagement bei den Mitarbeitern in dieser Richtung zu erzeugen."

Viele Menschen glauben, daß Mut, Kreativität, klare Vorstellungen und Visionskraft Eigenschaften sind, die nur für die Geschäftsführung reserviert sind. Häufig wird vermutet, daß "untergeordnete Bereiche" über Fragen des Wettbewerbs und der Leistungsfähigkeit des Unternehmens, seine Integrität oder seine Zielsetzungen nicht nachdenken sollen. Wenn dies stimmen wurde, woher sollen dann Geschäftsführer und Vorstände der Zukunft rekrutiert werden?

Letztendlich müssen die Führungskräfte von heute die Geschäftsführer von morgen werden.

Die Aufwertung des Unternehmens und seiner Kultur fängt bei der Aufwertung der Mitarbeiter durch die Übernahme erhöhter Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft an.

Führungsqualitäten wie Durchsetzungsvermögen, konzeptionelles und strategisches Denkvermögen, Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit sind relativ einfach zu ergründen. Anders ist es mit dem Erkennen von "Visionskraft". Dennoch bleibt die "Visionskraft" das ganz besondere Etwas, das Führungskräfte der Spitzenklasse auszeichnet.

Produkte unterscheiden sich heute weniger nach Aussehen, Qualität und Preis. Im Gegenteil, am Beispiel der Entwicklung des Automobils kann man leicht erkennen, daß die Produkte unterschiedlicher Marken einander immer ähnlicher werden.

"Wenn ein Produkt von einer bestimmten Vision getragen wird, dann unterscheidet es sich unnachahmlich von anderen Produkten."

Daher gilt es, ein positives Unterscheidungsmerkmal zu finden, das ein Produkt "A" von den übrigen Produkten am Markt unterscheidet. Ein bestimmtes Markenimage kann ein solches Unterscheidungsmerkmal sein. Aber dieses Image-Merkmal hat nur einen begrenzten Wert.

Heute sind viele Autos sportlich, langlebig, sparsam und so weiter. Ein sportliches oder ein sparsames Image ist bei einem Automobil also nichts Außergewöhnliches und Unnachahmliches mehr.

Haben Sie jemals bei der Auswahl eines Bewerbers gefragt: "Wie werden wir in den nächsten zehn Jahren verkaufen?", "Wie sieht das Fortbewegungsmittel für Einzelpersonen in 15 Jahren aus?", "Was werden wir in fünf Jahren in unserer Freizeit tun?", Wie wird unser Bildungssystem in zehn Jahren aussehen?", "Welche Rolle spielt bei Ihnen Intuition bei der Entscheidungsfindung?", "Haben Sie festgestellt, daß Sie ein visuelles Gedächtnis besitzen? Wenn Ja, wie?"

"Die Aufgabe des Top-Managements ist es, Visionen zu erzeugen und entsprechende Maßnahmen zur Umsetzung dieser Visionen einzuleiten."

Die Aufgabe des Top-Managements besteht darin, Führungskräfte, die in der Hierarchie weiter unten angesiedelt sind, für ihre Visionen zu gewinnen und sie zu motivieren, zu Multiplikatoren dieser Vision zu werden.

Bei diesem Prozeß der Vermittlungs- und Überzeugungsarbeit entstehen häufig "Reibungsverluste". Diese sind dann besonders stark, wenn es dem Top-Management nicht gelingt, die Umsetzung der Vision adäquat zu konzipieren und die Führungskräfte zu motivieren, diese Vision mitzutragen. Das ist in vielen Fällen die wahre Ursache, warum die Zahl der Probleme auf dem Schreibtisch der Unternehmer größer anstatt geringer wird.

An dieser Stelle wird allmählich klar, welche Rolle das Beurteilen von "Visionskraft" bei der Auswahl von Führungskräften von innen wie von außen spielt. Ist "Visionskraft" vorhanden oder nicht? Wenn diese Kraft vorhanden ist, welche Vision kann tatsächlich verfolgt werden?

"Der Entscheidungsträger und sein Berater haben die Aufgabe zu beurteilen, inwiefern ein Bewerber sich mit der Vision des Unternehmers identifiziert."

Als wesentlich sehe ich es an, daß das Top-Management viele Mitarbeiter für seine Visionen gewinnt und diese wiederum motiviert, sie zu multiplizieren. Besser noch wäre es, die Mitarbeiter dazu zu bringen, die Vision des Unternehmens durch ihre persönlichen Aktivitäten zu verkörpern. Wenn das gelingt, beginnt die Vision zu leben. Damit wird sie alsbald zu einem Teil der Wirklichkeit.

"Visionen zu erzeugen bedeutet, die Zukunft so zu gestalten, daß sie zu einer wünschenswerten Wirklichkeit wird!"

*Dieser Gastkommentar ist der Broschüre "Auf der Suche nach Führungskräften mit Vision" von Dolan Consulting entnommen.