Erste Eindrücke von VBM für SAP R3

Visio ergänzt Werkzeuge für die Implementierung von R/3

15.11.1996

Mit dem Visio Business Modeller (VBM) erhalten R/3-Willige einen transparenten Zugriff auf SAPs Referenzmodell und die damit verbundenen, rund 800 ereignisgesteuerten Prozeßketten (EPK). Die im Referenzmodell, dem Konstruktionsplan für Geschäftsanwendungen, abgelegten "Best Business Practices" lassen sich mit Hilfe von VBM in einer an MS-Office angelehnten Benutzer- und Zeichnungsumgebung identifizieren, definieren und analysieren. Dies kommt zunächst einem Trockenschwimmkurs gleich, bevor man sich direkt an R/3 wagt. Denn der Modeller kann nicht nur visualisieren, Fehler analysieren und Empfehlungen zu deren Behebung geben, sondern in gewissem Umfang auch modellieren. Darunter ist die Modifizierung bestehender und die Erstellung neuer Geschäftsabläufe in Form von EPKs zu verstehen.

VBM bringt die von Visio 4.x gewohnten Werkzeuge zur Diagrammerstellung und -bearbeitung mit. Wer also Visio kennt, wird sich auch im VBM schnell zurechtfinden. Eine Besonderheit besteht in der mitgelieferten Access-Datenbank, die das komplette Referenzmodell von R/3 enthält und standardmäßig schreibgeschützt ist.

In einer Beispielanwendung ist ein Musterunternehmen mit seinen Geschäftsprozessen abgebildet. Die einzelnen Abläufe (EPKs) erscheinen in Form von Flußdiagrammen, die mit jeweils sechs Symbolen (programmierbare Visio Smartshapes) erstellt wurden. Jede Änderung beziehungsweise Erweiterung einer Prozeßkette wird mit einem Erfolgs- oder Fehlerhinweis abgeschlossen. VBM listet die Fehlerursache auf, insbesondere einen nicht plausiblen Prozeßablauf. Da sich alle Symbole in Visio mit Kommentaren und Daten versehen lassen, kann das Flußdiagramm speziell zu Schulungszwecken und Berechnungen eingesetzt werden. Hilfreich ist das Programm auch dann, wenn etwa im Rahmen eines Business Re-Engineerings verschiedene Szenarien vor und während der Implementierung von R/3 durchgespielt werden sollen. Hier kommen die Stärken der Software im Bereich der Visualisierung, Präsentation und Dokumentation von prozeßorientierten Strukturen zur Geltung.

Die Ausgabe der Diagramme erfolgt in allen von Visio unterstützten Medien wie Drucker, Folien, E-Mail (Internet) und Dias. Da Visio 4.x komplett für OLE-Automation geöffnet wurde und sich beispielsweise mit Visual Basic programmieren läßt, kann eine R/3-Implementierung über die Einbindung anderer Anwendungen auch als Multimedia-Show präsentiert werden.

Ab Dezember 1996 soll die nächste Version von VBM verfügbar sein. Benutzer können dann auch Symbole mit Datenfeldern hinterlegen, die Codes aus dem Referenzmodell oder aus Benutzerprozessen enthalten. Außerdem lassen sich im Update pro Symbol statt einer mehrere verknüpfte Dateien wie ein Excel-Arbeitsblatt und eine Screen-Cam-Demo hinterlegen. Neu wird weiterhin sein, daß Farbe und Größe der Symbole veränderbar sind. Um die Performance zu steigern, will der Hersteller die wichtigsten Prozeßmatrizen als Visio-Dateien bereitstellen, damit sie nicht aus der Datenbank generiert werden müssen. Geplant ist außerdem, VBM als Front-end dem R/3-Repository vorzuschalten. Das Visio-Tool kann dann zwar Modelle aus der Metadatenbank generieren, vorläufig aber nicht dorthin zurückschreiben.

Konverter für VBM und Aris

Der rund 800 Mark teure VBM steht nicht in unmittelbarer Konkurrenz zum verbreiteten "Aris-Toolset" der IDS Prof. Scheer GmbH, da ihm die ausgeprägten Modellierungsfunktionen fehlen. Unter dem Gesichtspunkt ergänzender Features haben sich beide Hersteller zu einer Kooperation entschlossen, bei der man einen bidirektionalen Konverter für die Werkzeuge entwickelt. Damit lassen sich beispielsweise die grafisch orientierten VBM-Dateien in Aris-Modellobjekte umwandeln, so daß dort eine manuelle Erfassung entfällt. Der Nutzen der Visio-Diagramme werde laut IDS um die detailliertere Simulationsanalyse des Modells und die aktivitätenbasierte Kostenanalyse sowie die ISO-9000-Zertifikation erweitert. Der umgekehrte Weg von Aris zu VBM ist allerdings nur mit der Einschränkung der semantischen Funktionalität des Aris-Modells möglich. Die Endversion des Konverters soll laut IDS Ende 1996 auf den Markt kommen und dann wahrscheinlich in das Aris-Toolset integriert werden.

Modellierungs-Tools rund um R/3

SAP hat im Mai 1996 mit der "Business Engineering Workbench" (BEW) ein umfassendes und integriertes Paket für die Einführung von R/3 bereitgestellt.Es setzt sich aus Methoden, Modellen, Werkzeugen und Programmier-Schnittstellen zusammen. Die BEW enthält als Referenzmodell das sogenannte R/3-Business-Repository, in dem rund 800 Geschäftsprozesse und über 170 Business-Objekte abgelegt sind. Als grafische Werkzeuge stehen der Analyzer und der Business Navigator zur Verfügung - letzterer erfordert ein vor Ort bestehendes R/3-System. R/3-Einführungsteams gehen nach dem Implementation Guide (IMG) der BEW vor, der Schritt für Schritt erklärt, wie zum Beispiel die Anpassung und das Feintuning aller betroffenen Betriebsabläufe erfolgen muß.

Das "Aris-Toolset" der Prof. Scheer GmbH speichert die aus der Datenmodellierung des R/3-Systems bezogenen Informationen in einem separaten Repository. Die Datenattribute sind meist semantischer Natur, um die Business-Objekte und ihre Beziehungen beschreiben zu können. Mit Hilfe des Werkzeugs lassen sich die Referenzmodell-Objekte parametrisieren. Auf diese Weise können Abläufe simuliert, Lücken analysiert und umfangreiche Berichte erstellt werden.

Um die Kosten der externen Berater sowie den eigenen Aufwand gering zu halten, können Unternehmen mit Hilfe des "Visio Business Modeller" schon weitreichende Vorarbeiten zur R/3-Implementierung leisten. Vereinfacht beschrieben, stellt VBM das R/3-Referenzmodell in den Rahmen der grafischen Bearbeitungsumgebung von Visio. Somit handelt es sich bei VBM weniger um ein Modellierungs-Tool wie im Fall von Aris oder BEW, sondern um ein Präsentations- und ergänzendes Analysewerkzeug. Die als Flußdiagramme dargestellten Prozeßketten lassen sich verändern und anschließend auf ihre Logik hin überprüfen. Derzeit ist der VBM noch nicht in den IMG einbezogen, wohl aber in SAPs Procedure Model.

*Michael Matzer ist freier Fachjournalist in Herrsching bei München.