Virus Des-Informaticus

19.02.1988

"Killer-Programm: Erster Computer im Sterben" - mit dieser groß aufmachten Schlagzeile "informierte" die Bild-Zeitung am 14. Januar 1988 ihre Leser. Auf eine Meldung der US-Nachrichtenagentur Associated Press bauend, berichtete die Zeitung: "Ein Virus-Programm hat sich den Zentralcomputer der Universität Jerusalem eingenistet und zerstört dort nach und nach alle gespeicherten Forschungsergebnisse. Computer-Chef Israel Radai errechnete: "Wenn alles so weitergeht, werden am 13. Mai alle Systeme zusammenbrechen. ' Das heißt: Der Computer stirbt. "

Schlimmer noch: "In das System einer Handelsbank und bei zwei Versicherungen ist es auch schon eingedrungen." Und: "Über das weltweite Datenaustauschsystem EARN kann sich das Killer-Programm aus Israel auch in unsere deutschen Forschungs-Computer (rund 200) einschleichen und auch dort Daten vernichten. Weltweit sind 6000 Großrechner in Gefahr. "Abschließend zitierte Bild dazu den Leiter des Münchener Max-Planck-Rechenzentrums: "Wir haben unsere Benutzer gewarnt. "

Zunächst die Fakten: Weder der Großrechner der Universität Jerusalem (eine CDC-Anlage unter NOS) noch die Rechnernetze waren betroffen. Eine bis heute unbekannte Person hat in Personal Computer der Universität, ausgestattet mit DOS, einen sogenannten Virus installiert. "Virus Jerusalem" verlängert die Rechenzeit der "infizierten" Software: Betrug die Rechenzeit des Programms am 29. Dezember 1987 lediglich drei Minuten, benötigte es Mitte Januar über 15 Minuten - täglich wird der PC langsamer". Von dem Auftreten des Virus in PCs von Wirtschafts-Unternehmen ist in der Hebrew University nichts bekannt.

All dieses erscheint aber als Symptom einer ernsthafteren Krankheit, verursacht vom "Virus Des-Informaticus". Allzu wenige Journalisten von Tagespresse, Rundfunk und Fernsehen sind hinreichend vorgebildet, um den Wahrheitsgehalt ihrer Berichte selbst prüfen zu können. Im Tagesgeschäft, das durch den weltweit immer breiteren und "reißenderen" elektronischen Nachrichtenstrom noch hektischer wird, sind sie überdies auf glückliche Zugriffe und auf die richtigen Experten angewiesen. Wenn ein solcher dann noch, auf der gleichen unzureichenden Informationsbasis, seine Benutzer vor unverstandenen oder unzutreffenden Gefahren warnt, gerät das Nachrichten-Karussell per Zitier-Automatik ins Trudeln.

So wichtig ein Informatik-Bildungsprogramm für Journalisten wäre (bei einer Informatik-Fakultät oder der Deutschen Informatik-Akademie), so muß sich die DV-Fachwelt endlich ihrer öffentlichen Rolle bewußt werden. Man kann nicht zugleich die Ausbreitung von Informations- und Kommunikationstechniken begrüßen und fördern, ohne dabei die Schattenseiten zu erkennen und gegensteuern zu helfen. Das Gegenmittel gegen den "Virus Des-lnformaticus" ist das "Serum korrekte Information". Es ist keineswegs einfach, zwischen der "Zucker-Version" (die mit einseitigem Chip-Chip-Hurra nur die positiven Seiten zeichnet) und der "Bitteren Pille" (die ebenso einseitig nur negative Seiten sieht) die richtige "Dosis an Wahrheit und Verständlichkeit" zu finden. Indessen: Gibt es einen anderen Weg als den, sachlich-kritisch-konstruktive Berichterstattung zu fördern?

Nun sind Personal Computer als schwer überwachbare Spielwiesen unternehmungslustiger Leute eine Brutstätte für derlei "Programm-Krankheiten", noch dazu unter den Betriebssystemen DOS und Unix. Außer einem interessanten Zeitbomben-Mechanismus liefert "Virus Jerusalem" keine neuen Erkenntnisse.

Dagegen darf die Wirkung derart verfälschender Horrormeldungen nicht unterschätzt werden. Während (vor allem Personal) Computer in vielen Bereichen von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft weiter vordringen, werden selbst "seriösere" Blätter bisweilen Opfer mangelhafter Kenntnisse ihrer Journalisten.

Beharrlich etwa hält sich im Magazin "Der Spiegel" die Falsch-Behauptung, auch im "Gurugs-Fall" sei ein Virus im Spiel gewesen. Bei diesem Fall hatte der Programmierer eines "Geräte- und- Rechner-unabhängigen graphischen Systems" der Bundeswehrhochschule München eine Zeitfalle eingebaut, die - nach ergebnislosem Gerichtsverfahren über strittige Entgeltforderungen - das Programm zur Jahreswende 1985/86 löschte; mangels Ausbreitungsmechanismus (den der Programmierer auch nicht beabsichtigte) erfüllt dieser Fall keineswegs die Viren-Definifion.