L3 als universeller Marktplatz des Wissens

Virtuelles und reelles Klassenzimmer sollen sich ergänzen

16.06.2000
Das Informationszeitalter beschleunigt das Tempo der neuen Wirtschaft. Wissen und Lernen erobern Schlüsselpositionen in diesem Wettlauf. Das Projekt "L3, lebenslanges Lernen - Weiterbildung als Grundbedürfnis" der SAP AG erforscht die neuen Möglichkeiten im Rahmen eines Leitprojektes des Bundesbildungsministeriums.Von Ingrid Weidner*

Viele Mitarbeiter sind der Ansicht, dass für ihre berufliche Weiterbildung der Arbeitgeber zuständig ist. Allerdings dürften sie sich damit selbst ins berufliche Abseits manövrieren. Die Verantwortung für die eigene Weiterbildung liegt in Zukunft immer mehr in den Händen des Einzelnen. Neue Technologien erfordern eine andere Lernumwelt als das klassische Seminar mit schriftlichen Unterlagen und einem Referenten. Da das Internet immer stärker unsere Lebenswelt bei der Informationsbeschaffung, beim Einkaufen oder in der Freizeit verändert, versteht es sich fast von selbst, dass das Medium und seine vielseitigen Möglichkeiten auch beim Lernen eine bedeutende Rolle spielen.

Neue didaktische Lernkonzepte für das NetzDas Bundesministerium für Forschung und Bildung schrieb 1997 den Ideenwettbewerb für das Leitprojekt "Nutzung des weltweit verfügbaren Wissens für Aus- und Weiterbildung und Innovationsprozesse" aus. Von den 251 eingereichten Ideenskizzen erreichten 15 die zweite Auswahlrunde; fünf dieser Leitprojekte fördert das Ministerium. Zu diesen gehört das L3-Konzept. Eingereicht durch das CEC Karlsruhe, damals noch das europäische Forschungszentrum der Digital Equipment GmbH. Seit Januar 1999 gehört das CEC zur SAP AG, Bereich Corporate Research.

In Karlsruhe und Walldorf arbeiten über 40 Forscher und Entwickler am L3-Projekt. Bereits von 1996 bis 1998 forschten die Informatiker des CEC in einem anderen Projekt mit verteiltem Lehren und Lernen, das in den Berufsförderwerken Dortmund und Oberhausen zum Einsatz kam. Ingesamt gehören zur Projektgruppe 18 Partner, die an der Entwicklung beteiligt sind. Die Projektleitung liegt bei der SAP AG. Die didaktisch-wissenschaftliche Betreuung übernahm die Universität Bielefeld. Dazu gehört außerdem die Evaluation und Auswertung des Pilotbetriebes in diesem Bereich.

Das L3-Projekt beschäftigt sich mit der Entwicklung einer neuen Lernplattform und tragfähigen Geschäftsmodellen für die berufliche und private Weiterbildung. Als dritte Komponente entwickeln die Forscher des CEC neue didaktische Lernkonzepte für das Internet. "Eine wesentliche Weiterentwicklung stellt die Überbrückung von Raum und Zeit hin zum selbstgesteuerten Lernen dar", so Lutz Heuser, promovierter Informatiker und für den Bereich Technologieforschung und -planung bei SAP zuständig. Mit der neuen Plattform möchte das CEC Maßstäbe am Weiterbildungsmarkt setzen. "Am L3-Konzept hat uns überzeugt, dass es kein reines Web-based Training (WBT) ist, sondern ganz neue Formen des Lernens und Teleteachings erprobt", sagt Ingo Ruhmann, Referent im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Die Zielsetzungen des Forschungsprojektes gliedern sich in drei Bereiche: die softwaretechnische Plattformentwicklung soll neue Standards am Markt setzen. Eng damit verbunden sind neue Geschäftsmodelle und die Frage, wie die Zukunft der beruflichen Weiterbildung aussieht. "Diese Frage interessiert besonders viele kleine und mittelständische Unternehmen oder durch die öffentliche Hand organisierte Weiterbildungseinrichtungen", sagt Heuser. "Wir wollen diesen Unternehmen konkrete Vorschläge und Entwicklungsmöglichkeiten zeigen." Theoretisch kann zwar jeder Online-Kurs eine Präsenzveranstaltung ersetzen, aber auch in den neuen Lernwelten gibt es einen festen Platz für die Klassenzimmerveranstaltungen. Neben virtuellen Klassenzimmern, Online-Foren und Tutorenbetreuung via E-Mail gehören Lernzentren zum festen Bestandteil des L3-Konzepts. Tutoren stehen bei Fragen zur Verfügung und beobachten die Lernfortschritte der Gruppe.

Betriebswirtschaftliche Forschung und Pilotierung der Plattform sind fester Bestandteil des Forschungsprojektes. "Für mich gehören innovative Forschung und praktische Machbarkeit schon immer zusammen", so Heuser, "denn nur so lassen sich die Entwicklungen später auch problemlos in die Praxis umsetzen." Im Juni startet eine erste größere Pilotphase. Ausgewählte Lernzentren und das Servicezentrum stellen ein Netzwerk zur Verfügung, über das die Lernenden Kurse belegen und virtuelle Lerngruppen bilden können.

Das Bildungsministerium setzt große Erwartungen in das Projekt. "In der SAP AG sehen wir einen guten Partner für das Konzept. Wir stellen allen 18 Projektpartnern 28,5 Millionen Mark zur Verfügung. 16 Millionen steuern die Projektpartner bei, wovon SAP den größten Anteil leistet", so Ruhmann. "Wir wollen mit dem Projekt zeigen, dass neue Lernformen funktionieren und einiges für den Nutzer bieten." Der dritte Aspekt des Forschungsansatzes integriert die didaktische Seite. "Heute ist der größte Teil der Präsentationen in Powerpoint erstellt, und das heißt lineare Wissensvermittlung, Folie um Folie eben. Mit dem Netz stehen ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung, die wir mit L3 verwirklichen können."

Bei der Entwicklung kommt der didaktischen Aufbereitung der Inhalte eine ebenso wichtige Rolle zu wie der Plattformarchitektur. "Die Tools für die Aufbereitung der Inhalte müssen allerdings so einfach sein, dass die Autoren kein Diplom in Informatik brauchen", so Heuser. In die Plattform sollen Werkzeuge integriert werden, die komfortabel und einfach sind. Dazu müssen Didaktiker und Entwickler eng zusammenarbeiten.

Die Inhalte der Kurse sind klar von der didaktischen Aufbereitung getrennt. "Das ist das didaktische Hauptgeheimnis hinter L3", beschreibt Heuser. "Für die Kursstrukturen haben wir Werkzeuge entwickelt, an die die Autoren Inhaltsobjekte anhängen können." Die Ergebnisse sollen später sowohl am Arbeitsplatz als auch für Privatpersonen nutzbar sein. Ausgewählte Lernzentren erproben in den nächsten zwei Jahren den Prototyp der Plattform. Heuser ist davon überzeugt, dass L3 eine entscheidende Rolle bei den Corporate Universities spielen und sich als Gütesiegel etablieren wird. Bis wann das Projekt abgeschlossen und die kommerzielle Nutzung der Infrastruktur möglich ist, hängt von der Evaluation des Prototypen und den möglicherweise notwendigen Ergänzungen ab. Das Leitprojekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Ob schon vor 2002 eine professionelle Plattform zur Verfügung steht, ist ungewiss. "Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust: das des Forschers und des Managers", so Heuser.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.

Projekte des CECDas "Campus-based Engineering Center" (CEC) wurde 1987 von der Digital Equipment GmbH als europäisches Forschungszentrum gegründet. Softwaretechnologie für verteilte Rechnersysteme steht im Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten. 1999 übernahm die SAP AG das CEC Karlsruhe. Neuer Aufgabenschwerpunkt innerhalb des Bereiches Corporate Research der SAP AG ist es, die Entwicklung von strategischen Geschäftsbereichen des Unternehmens im Internet-Umfeld voranzutreiben.

Neben dem L3-Forschungsvorhaben beschäftigen sich die Informatiker mit zwei weiteren großen Projekten. Mit "ISA - Internet Server Architekturen" entwickelt das CEC eine Plattformlösung, die es ermöglichen soll, Dienstleistungen innerhalb und zwischen Firmen und Institutionen in Kommunikationsforen und der Arbeitsumgebung jedes Einzelnen zu integrieren. Die neue Technologie soll vor allem verschiedene E-Commerce-Lösungen und mobile Endgeräte einbinden, um der steigenden Nachfrage in diesem Bereich Rechnung zu tragen.

Mobile Internet-Anwendungen vom klassischen Desktop bis zu Client-Server-Umgebungen stehen im Mittelpunkt des dritten Forschungsschwerpunktes, "Pervasive Computing" genannt. Einsatzmöglichkeiten dieser Technologie sind WAP-(Wireless-Application-Protocol-) fähige mobile Telefone oder elektronische Anhänger (Radio Frequency Tags), eine Art Minisensoren, die beispielsweise für logistische Zwecke entwickelt werden. Die Sensoren können mit hochwertigen Gütern auf die Reise vom Produzenten zum Kunden gehen und geben über ein satellitengestütztes Navigationssystem jederzeit den Standort und Zustand der versandten Waren an. Erste Pilotversuche hierzu laufen bereits.