E-Business/Neue und alte Geschäftsprozesse in Einklang bringen

Virtuelle Firmennetze haben eigene Regeln

28.04.2000
E-Business ist für viele Unternehmen die Initialzündung zur Neuausrichtung ihrer Geschäftsprozesse. Doch nicht jeder Firmenlenker blickt den Internet-Techniken mit vorbehaltloser Begeisterung entgegen, hat Andreas Beuthner* festgestellt.

Die Automobilindustrie kennt kein Pardon, wenn es darum geht, Marktpositionen zu verteidigen. Der neueste Dreh sind Ausschreibungen für Lieferaufträge, die per Internet gerade Ford in Japan probt. Im Zuge einer Beteiligung des amerikanischen Automobilkonzerns beim angeschlagenen japanischen Konkurrenten Mazda griffen die Sanierer zu Internet-Auktionen, bei denen der günstigste Anbieter den Zuschlag für Lieferaufträge erhält.

Für die japanische Zulieferindustrie ist das ein Schlag ins Kontor. Bei den Komponentenherstellern zerbrechen traditionelle Bindungen an einen Mutterkonzern, der seit jeher ein weitverzweigtes Netz an Zulieferern unterhielt und von ihnen stets wie von einer großen Familie sprach. Stattdessen wächst unter den Kostensenkungsplänen der Manager der Druck auf alle Glieder in der Logistikkette. Wer nicht beste Produktqualität zu niedrigem Preis in kurzer Zeit liefert, hat das Nachsehen.

Für den Geschäftsführer des Verbands Deutscher Automobilindustrie (VDA), Gunter Zimmermayer, gibt es beim E-Business kein Ausweichen: "Die Firmen müssen mit den Herausforderungen fertig werden und ihre Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit nachhaltig steigern." Der VDA baut gerade fleißig an einem Branchennetzwerk, das als europäische Antwort auf das von der amerikanischen Automobilindustrie ins Leben gerufene "Automotive Network Exchange" (ANX) vorgesehen ist. Hinter dem "European Network Exchange" (ENX) steht ein Netz im Internet, das Hersteller, Lieferanten und Händler verbindet.

Nach Angaben des VDA gibt es derzeit 67 autorisierte Netzteilnehmer, darunter neun europäische Hersteller, die bereits ihre Geschäftskommunikation und vereinzelt auch Kooperationen über ENX abwickeln. Ende des Jahres, so erwartet Zimmermayer, sollen es 400 Teilnehmer sein. Als vordringliche Aufgabe bezeichnet der VDA-Geschäftsführer die Zulassung weiterer Internet-Service-Provider (ISP), die mit preislich attraktiven Angeboten auch dem kleinsten Zulieferer den Zugang zum Netz ermöglichen: "Ich denke auch an ein ENX-Light", sagt Zimmermayer.

Die Gefahr von Auktionen via ENX, die bisherige Zulieferstrukturen empfindlich stören, sieht Zimmermayer nicht, obgleich der VDA-Mann einräumt, dass "auch negative Entwicklungen nicht ausgeschlossen sind". Es müssen sich eigene Regeln herausbilden, die mögliche Schwächen ausschließen. Das ENX-Projekt sei aber darauf ausgerichtet, der gesamten Branche einen Internet-Marktplatz zu bieten, der Kooperationen und virtuelle Unternehmensverbünde erheblich vereinfacht. "Noch bevor sich Ausfälle anbahnen, entstehen sehr viel schneller neue Strukturen", gibt sich Zimmermayer optimistisch.

Der steigende Wettbewerbsdruck und die zunehmende Globalisierung ganzer Branchen sind starke Triebfedern, die mögliche Risiken besonders für kleine und mittelständische Unternehmen in den Hintergrund treten lassen. Nach Ansicht des Münchner Betriebswissenschaftlers Professor Horst Wildemann kann sich kein Unternehmen mehr schwerfällige Abläufe leisten und auf Dauer dem Modernisierungsdruck vor allem im Bereich Kommunikations- und Informationstechnik gleichgültig gegenüberstehen. "Die Beherrschung der gesamten Wertschöpfungskette gehört inzwischen zur Kernkompetenz", urteilt der Logistikexperte.

Das leuchtet auch Ulrich Rafflenbeul, Geschäftsführer der Novotec GmbH in Lübbecke, ein. Der Jungunternehmer aus Nordrhein-Westfalen, der einen Kfz-Teilehandel betreibt, sah sich indes außerstande, seine vorhandene Hard- und Software für einen Internet-Auftritt umzukonfigurieren. Erst nachdem ein Internet-Service-Provider der Firma im Rahmen eines Pilotprojekts ein sehr günstiges Angebot unterbreitete, wagte Rafflenbeul den Schritt ins Internet: "Es musste uns einer die Hand reichen", erinnert sich der Novotec-Chef.

Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind überfordert, wenn sie über Risiken und praktische Vorgehensweisen im E-Business nachdenken. Viel Überzeugungsarbeit muss Werner Schmidt, Chef der Modularis Software aus Neusäß leisten, will er Zulieferer und Konstruktionsbüros für eine Web-fähige CAD-Bibliothek erwärmen.

Selbst wenn die Zeichnung fertig aus dem Netz kommt, winken Entwickler ab. "Die Verarbeitung von CAD-Daten in unterschiedlichen DV-Systemen kann schon innerhalb eines Unternehmens zu Mehraufwand führen", gibt Schmidt zu bedenken.

Das Softwarehaus sieht dennoch gute Chancen, den Vertrieb technischer Teile im Internet voranzutreiben. Beispielsweise bietet Modularis einen Variantenprozessor zur Erstellung elektronischer Produktkataloge für Einzelteile und Baugruppen. Damit lassen sich auch komplexe, dreidimensionale Bauteile aus einem CAD-System heraus auf Web-Seiten darstellen und einem Abnehmer zum Download anbieten. "Das Interesse wächst", bringt Schmidt seine jüngsten Erfahrungen auf den Punkt.

Das unterstreicht auch eine Umfrage der Eschborner Beratungsgesellschaft Diebold unter 500 Unternehmen mit Internet-Präsenz. Bei neuen Geschäftsmodellen auf Internet-Basis zeichnet sich demnach ein deutlicher Stimmungsumschwung ab. Während vor einem Jahr mehrheitlich die Meinung vorherrschte, das Internet habe nur geringe Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse und das Wettbewerbsumfeld des eigenen Unternehmens, werden die Effekte heute deutlich höher eingeschätzt. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen gehen davon aus, dass Internet-basierte Business-Strategien das angestammte Geschäftsumfeld tangieren werden.

Vor allem die Bereiche Einkauf, Marketing und Vertrieb zählen zu den bevorzugten Feldern für Internet-Plattformen. Elektronische Geschäftsbeziehungen ergänzen immer häufiger herkömmliche Wege der Kommunikation zwischen Firmen. Laut Diebold erwarten heute bereits mehr als 85 Prozent der befragten Unternehmen Änderungen im Vertriebsbereich. Rund 35 Prozent der Betriebe gaben an, ein komplettes Supply-Chain-Management auf Basis der Internet-Technologie etablieren zu wollen.

Konkurrenten kooperierenDie August-Faller KG in Waldkirch kooperiert seit vielen Jahren mit gleichgesinnten Konkurrenten, wenn es darum geht, lukrative Aufträge an Land zu ziehen. Der Faltschachtelhersteller konzentriert sich auf die Pharma- und Chemieindustrie. Herbert Jochum, geschäftsführender Gesellschafter, ist fest davon überzeugt, dass "ein einzelnes Zulieferunternehmen in dieser Branche überhaupt keine Überlebenschance mehr hat."

Der Mittelständler unterhält seit letztem Jahr eine eigene Dienstleistungsgesellschaft in Mainz, die alle Aktivitäten rund um die gemeinsame Auftragsabwicklung online koordiniert. Mehrere Arbeitsteams packen schnell und unbürokratisch zu, wenn Aufträge eingehen. Sogar auf ein gemeinsames Marketing haben sich die Netzteilnehmer geeinigt. Doch ohne langjährige Erfahrung mit Werkzeugherstellern und Drucklieferanten hätte der Aufbau eines Netzwerkes nicht geklappt. Nach einem Jahr zahlt sich die Anstrengung aus: "Wir bewegen uns heute ohne Ausnahme auf einem hochentwickelten Qualitätsniveau", unterstreicht Jochum.

Das gilt vor allem auf dem internationalen Parkett, wenn der Druck bei Ausschreibungen wächst und schnelle Entscheidungen anstehen. Um das Angebot hinsichtlich Qualitätsstandard und kurzen Entwicklungszeiten aufrecht zu erhalten, müssen sich die Partner auf eine sehr flexible Entwicklungs- und Produktionsmannschaft verlassen können. Da kann es schon mal eng werden und der ein oder andere Kollege das gemeinsame Ziel aus den Augen verlieren. "Es gibt auch Streit", gibt Jochum unumwunden zu.

Treten Spannungen in den Produktionsnetzwerken auf, dann verkehren sich ihre Vorteile leicht ins Gegenteil. Nicht wenige Betriebe befürchten, dass die Konkurrenz ihnen in die Karten blickt und Auftraggeber neue Bedingungen diktieren. "Im direkten Fertigungsumfeld sind Netzwerke bisher die Ausnahme", resümiert Martin Hess, Experte für betriebliche Standortforschung am Institut für Wirtschaftsgeographie der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Lediglich im Bereich der unternehmensorientierten Dienstleistungen und in Hightech-Sektoren wie der Computer- und Softwareindustrie haben Netzwerkaktivitäten von kleinen und mittelständischen Unternehmen einige Verbreitung gefunden. In der industriellen Fertigung indes reicht der Arm der Großkonzerne weit: "Da gibt es eine ungleiche Verteilung von Macht zwischen den Akteuren", erklärt Hess. Die Folge sind Abhängigkeitsverhältnisse, die vielen kleineren Unternehmen ihren Handlungsspielraum einengen.

Wer von Anfang an die richtige Vorgehensweise wählt, kann sich Enttäuschungen sparen. Diese optimistische Position vertritt Professor Hans-Peter Wiendahl, Leiter des Instituts für Fabrikanlagen (IFA) der Universität Hannover. Dort arbeiten Experten schon lange an praktikablen Modellen für den Aufbau von Unternehmensverbünden.

So versucht gerade die Pleyma Unternehmensnetzwerke GmbH, ein Spinoff des IFA, mit Hilfe des Unternehmensnetzwerks Tegralis Fuß zu fassen. Der in Hamburg ansässige Newcomer will mit speziellen Rankingverfahren und dem Einsatz moderner Informationstechnologie die richtigen Partner zusammenbringen. Der Königsweg zu mehr Leistungskraft "liegt im projektbezogenen Zusammenlegen von Arbeitskraft und Know-how mit dem Ziel einer gemeinsamen Wertschöpfung", konstatiert Professor Wiendahl.

* Andreas Beuthner ist freier Journalist in Stockdorf bei München.

Abb.: Die Anforderungen an den Datenverkehr in der Automobilindustrie haben neue Kommunikationsformen hervorgebracht. Quelle: www.enx.de