Nicht nur im Marketing

Virtual und Augmented Reality kommen in der Wirtschaft an

10.07.2018
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

"Achtung, jetzt kommt eine Kurve"

Auch in Autos hält Augmented Reality Einzug, wie zuletzt das Beispiel der neuen A-Klasse von Daimler zeigte. Auf dem Navigations-Display im Wagen werden reale Umgebungsbilder angezeigt, die mit der Frontkamera aufgenommen wurden. Diese Bilder sind mit fahrtechnischen Hinweisen überlagert. So wird etwa mit Pfeilen auf eine scharfe, schlecht einsehbare Kurve hingewiesen, oder es werden Hausnummern abgelesen und eingeblendet, die dem Fahrer die Adresssuche erleichtern sollen.

Auf der Konferenz CES 2018 in Las Vegas machte zudem das Schweizer Startup WayRay auf sich aufmerksam, das eine holografische Autonavigation vorführte. Dabei kann sich der Fahrer direkt auf der Windschutzscheibe Informationen einblenden lassen - etwa den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug.

Dass sich Augmented Reality auch für das Einrichten von Zimmern und Wohnungen eignet, hat Ikea mit seiner App "Place" bewiesen - zumindest jenen Kunden, die über ein leistungsstarkes Smartphone verfügen. Sie können herausfinden, ob Einrichtungsgegenstände von der Größe oder vom Stil her in die eigenen vier Wände passen. Die Anwender öffnen dazu die App und sehen über die Kamerafunktion ihres Smartphones das einzurichtende Zimmer, das sie nun Stück für Stück mit virtuellen Produkten aus dem Ikea-Katalog so befüllen, wie es ihnen gefällt. Nicht alle, aber doch die meisten Ikea-Produkte sind als Bilder in der App verfügbar.

Natürlich wird auch im industriellen Umfeld schon mit AR gearbeitet, allerdings meistens nur in Testszenarien. Unternehmen wie Vital Enterprises helfen, die ansonsten eher statische Dokumentationen direkt im Umfeld einer Maschine oder eines Fertigungsprozesses anzuzeigen, wenn sie dort benötigt werden. Arbeitsinstruktionen, technische Zeichnungen und auch Best-Practice-Videos können auch mit einem Sprachbefehl auf die Datenbrille gezaubert werden, da die Hände meistens nicht frei sind.

HoloLens öffnet neuen Markt

Microsofts Mixed-Reality-Brille "HoloLens", die derzeit noch zu groß ist und ein eher eingeschränktes Blickfeld bietet, hat dennoch dazu geführt, dass sich mehr Unternehmen mit dem Thema beschäftigen. Die Datenbrille lässt sich unabhängig von einem PC einsetzen und wird beispielsweise von Thyssenkrupp für die Vermarktung von Treppenliften genutzt: Kunden können daheim sehen, ob ein Treppenlift ins Haus passt und wie er ungefähr aussehen wird. Tatsächlich zeigt aber gerade die HoloLens, wo derzeit noch die Probleme liegen: Die Datenbrillen sind zu groß und zu schwer, der Preis ist mit 3300 Euro stattlich und es gibt noch technische Mängel wie ein eingeschränktes Blickfeld, eine mäßige Optik sowie das eine oder andere Problem in der Steuerung - etwa durch Sprache oder Gesten.

Das wird sich vielleicht schon im Frühjahr 2019 ändern, sofern Microsoft planmäßig mit der dritten Generation seiner HoloLens herauskommt. Gerüchten zufolge soll die Datenbrille nicht nur leichter und günstiger werden, sondern auch eine bessere Optik bieten. Ein dimmbares, monochromatisches LCD-Panel soll dafür sorgen, dass dass Umgebungslicht besser gedimmt werden kann und sich Hologramme stärker als bisher von der realen Umwelt abheben. Das wären wichtige Voraussetzungen dafür, dass die HoloLens im großen Stil Eingang in die Unternehmen findet.

Groß ist etwa der zu erwartende Nutzen im Bereich der Wartung von Maschinen und Anlagen sowie im Kundenservice. Außendienstler müssen sich nicht mehr mit Manuals herumschlagen, um einem Problem auf die Schliche zu kommen, sondern sie können sich entsprechend ihrer aktuellen Problemstellung Informationen auf der Datenbrille oder dem Smartphone anzeigen lassen, um einen Gegenstand zu reparieren oder ein Maintenance-Problem zu lösen. Gibt es Probleme, kann auch eine Live-Schaltung zu einem Service-Experten im Headquarter erfolgen, der sich den Display-Inhalt auf seinem Bürobildschirm anzeigen lässt und via Telefon oder über Annotationen im virtuellen Fenster Unterstützung bietet.

Walmart trainiert extreme Situationen

Auch im Trainings- und Ausbildungsbereich greifen erste Unternehmen auf AR und VR zurück, um neue Mitarbeiter schneller einzuarbeiten und sie mit grundlegenden Themen etwa im Sicherheitsbereich vertraut zu machen. Bei UPS etwa nutzen neue Paketzusteller VR-Brillen, um Situationen in engen oder schwer zugänglichen Stadtregionen zu trainieren. Das Startup Strivr hilft Konzernen wie Walmart, aber auch Leistungssportlern dabei, extreme Situationen während der Arbeit ("Black Friday") oder eines Wettkampfs zu simulieren und sich vorzubereiten. Vor allem dann, wenn Aufgaben besonders riskant oder gefährlich sind, dürften unterstützende Datenbrillen zum Einsatz kommen.

Analysten des Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Gartner sehen außerdem AR-Lösungen auf dem Vormarsch, die Mitarbeiter durch große Lager führen und ihnen anzeigen, welche Gegenstände oder Produkte sie für eine bestimmte Bestellung oder Konfiguration einsammeln sollen. Auch im Design- und Architekturbereich sei das Interesse groß.

Bahn lässt Mitarbeiter Hublift-Betätigung einüben

Auch die Bahn nutzt VR- und AR-Technologien in der Weiterbildung. Beispielsweise werden Zugbegleiter damit angelernt, um den Hublift für Bahnreisende mit Rollstuhl zu bedienen. Dazu sind 28 Handgriffe erforderlich, die sich mit digitaler Unterstützung sehr viel schneller einprägen. Da die Bahn echte Züge für Trainingsstunden aus dem Verkehr ziehen muss, liegt es auf der Hand, dass sich der Einsatz technischer Hilfsmittel rechnet, wenn es gelingt, die Ausfallzeiten dieser Züge zu verkürzen.

"Man kann es mit einem Fitnessstudio vergleichen," sagt Lars Tiedermann, VR-Entwickler DB Systel. Die Mitarbeiter lernen demnach die körperlichen Bewegungsabläufe und erarbeiten sich so eine Art Muskelgedächtnis. Ein Trainer verfolgt die Bewegungen an einem Bildschirm und unterstützt die Mitarbeiter, damit sie sich keine falschen Bewegungsmuster einprägen.