Erste Erkenntnisse des Arvika-Konsortiums

Virtual Reality in Fabrik und Service

04.05.2001
Mit einer Datenbrille auf der Nase könnten Monteure und Servicetechniker komplexe Arbeiten weitaus schneller und präziser ausführen als heute. Statt über das Studium umständlicher Handbücher könnte die Instruktion durch einen intelligenten Spezialrechner erfolgen. Doch inwieweit eignet sich "Augmented Reality" wirklich zur Anleitung von Menschen? Erste Antworten gibt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte "Arvika"-Projekt (Augmented Reality für Entwicklung, Produktion und Service). Von Johannes Kelch*

Hübsche 3D-Effekte versüßen die Arbeit am Desktop, in der Fabrikhalle lässt sich damit allerdings wenig erreichen. Soll ein tragbarer Computer einen Facharbeiter via Datenbrille mit eingeblendeten Informationen bei der Ausführung von Arbeiten anleiten und die Montage beschleunigen, so ist eine andersartige Darstellung gefragt. "Es gilt die Grundregel, so wenig Information wie möglich in die Datenbrille einzuspielen", erklärt Wolfgang Friedrich, Leiter des Arvika-Konsortiums, an dem neben Konsortialführer Siemens 20 Partnerunternehmen beteiligt sind. Demnach dürfe die virtuelle Information maximal 15 Prozent der gesamten Sichtfläche einnehmen. Für eine klare, unmissverständliche Montageanleitung, so Friedrich, genügen im Prinzip drei einfache Elemente: Kreise, Pfeile und kleine Textfelder.

Die Datenbrille allein genügt nichtDer Einsatz von Augmented Reality in Montage und Service gestaltet sich jedoch komplizierter als bisher angenommen. Nach den jüngsten Erkenntnissen der Arvika-Forscher reicht die Datenbrille als alleiniges Ausgabegerät nicht aus. Um auch einmal einen Schaltplan nachvollziehen oder einen längeren Text lesen zu können, benötigen die Monteure oder Techniker zusätzlich ein Web-Pad mit einem Bildschirm. Zudem kommt es sowohl in der Fabrik als auch beim Service auf eine Art Workflow an. Der Computer als "Instrukteur" muss demnach die Reihenfolge aufeinander folgender Tätigkeiten kennen und dem Beschäftigten genau zum richtigen Zeitpunkt den nächsten Arbeitsschritt nahelegen. "Es irritiert den Werker, wenn er während der Ausführung eines Arbeitsschritts bereits die nächste Anleitung erhält oder aber zu lange auf die nächste Instruktion warten muss", erklärt der Projektleiter.

Zudem genügt es nicht, sich auf visuelle Darstellung zu beschränken. Erst die sprachliche Verständigung zwischen Mensch und Computer führt zu optimalen Arbeitsergebnissen. So ist es laut Friedrich unabdingbar, dass der Computer Texte in gesprochener Sprache ausgibt. Umgekehrt müsse er auch verstehen können, was der Mensch ihm mitteilt. Im Arvika-Projekt wird deshalb sowohl mit Sprachausgabe als auch mit Spracherkennung experimentiert.

Aber selbst eine umfassende technische Konzeption garantiert noch keinen Erfolg. So zeigten die ersten Arvika-Untersuchungen, dass die Arbeiter beim Einsatz der neuen Hilfsmittel kaum Kompromisse akzeptieren und die mobilen Geräte schon bei geringfügigen Anleitungsmängeln pauschal ablehnen. Die Datenbrille als solche stößt hingegen nicht auf grundsätzliche Ablehnung.

Die "Vorfeld"-Abteilung von Siemens Automation & Drive in Nürnberg und das Institut für Arbeitswissenschaften der RWTH Aachen ließen 25 Servicetechniker versuchsweise mit Datenbrillen arbeiten. Die anschließende Befragung der Testkandidaten ergab, dass die Techniker mit den Produkten gut zurecht kamen. Auch die Angst vor einer per Laserstrahl auf die Netzhaut projizierten Information hielt sich in Grenzen. Allerdings würden etliche Probanden die Datenbrille eher eine halbe Stunde als einen ganzen Tag aufsetzen.

Im Bemühen, den hohen Anforderungen gerecht zu werden, haben die Arvika-Partner ein Basissystem für mobiles Computing in der Arbeitswelt entwickelt. Ein erster Prototyp, der schrittweise um Komponenten ergänzt wird, existiert bereits.

Die Software regelt die Kommunikation zwischen Server, Kamera, Datenbrille und Webpad. Das Basissystem stimmt die reale Welt (so wie sie per Kamera aufgenommen wird) und die virtuelle Information (Pfeile, Kreise, Anleitungen, Hinweise) aufeinander ab. Zu diesem Zweck verwaltet das System Modelle der Maschinen, an denen die Monteure oder Servicetechniker arbeiten.

Exakte Positionierung kennzeichnender ElementeUm Pfeile oder Kreise so exakt zu platzieren, dass sie Schrauben, Schalter oder Ventile eindeutig kennzeichnen, muss jede Maschine mit einem Marker versehen sein, über den sie adressierbar ist. Laut Arvika-Chef Friedrich darf die Positionierung von Pfeilen und Kreisen dabei maximal einen halben Zentimeter abweichen. Im Einzelfall könne jedoch auch eine millimeter- oder sogar pixelgenaue Adressierung erforderlich sein. Unter keinen Umständen darf die in der Datenbrille eingeblendete Information zur Nachbartaste oder falschen Schraube hinführen, sonst ist die Irritation des Facharbeiters schnell perfekt.

Bei der Architektur des Basissystems haben die Arvika-Forscher ganz auf die Web-Technik gesetzt. Friedrich erhofft sich von den künftigen Internet-Standards eine "schnellere Übertragung zwischen Server und Wearable Computer". Damit ließe sich die Rechenleistung auf beide Geräte aufteilen, was wiederum das "Tracking" beschleunigen kann, mit dem die Blickrichtung des Arbeitenden verfolgt wird. Letzteres erfolgt per Kamera, die auf der Datenbrille montiert ist.

Die Entwicklungsarbeit des Konsortiums konzentriert sich derzeit auf eine Verbesserung der Algorithmik und Performanz des Basissystems. Ein weiterer Schwerpunkt ist dessen Optimierung für Produktionsstätten mit ungünstigen Lichtverhältnissen, wie sie in der Realität häufig anzutreffen sind. Später soll der Techniker an der Maschine auch in einer halbdunklen Umgebung mit der Datenbrille arbeiten können, ohne auf eine Lampe angewiesen zu sein.

Noch mangelt es allerdings an passender Hardware. Von einer neuen Generation der Wearable Computer erhoffen sich die Arvika-Entwickler eine deutliche Beschleunigung der Reaktionszeiten. Derzeit wird mit Wearables experimentiert, die mit Taktraten von 233 Megahertz arbeiten - etwa Xybernauts "Mobile Assistant". Das ist jedoch nicht schnell genug, denn wie zu Stummfilmzeiten ist die Anzahl der pro Sekunde verarbeiteten Aufnahmen zu gering. Dadurch kommen die zu einer Kameraeinstellung passenden, virtuellen Informationen zeitverzögert in der Datenbrille an. Laptops mit 600 Megahertz hingegen liefern bereits zufriedenstellende Ergebnisse. So wartet man auf die Verfügbarkeit längst angekündigter Wearable Computer mit Taktraten von 400 bis 600 Megahertz. 600 Megahertz hält Friedrich für den Einsatz von Augmented Reality in Produktion und Service vorläufig für ausreichend.

Neue Hardware im FeldversuchAuch so manche Datenbrille ist noch verbesserungsbedürftig. Mit dem 90000 Dollar teuren Prototyp eines "Retinal Scanning Displays" (RSD), dem Vorläufer des Produkts "Nomad" der amerikanischen Firma Microvision, gab es noch Probleme. Das RSD projiziert zur Bilddarstellung einen Laserstrahl mit abgestimmt niedrigen Intensitäten auf die Netzhaut. Allerdings ließ der Tragekomfort des Prototypen noch viel zu wünschen übrig. Ein anderes Produkt, eine Datenbrille von Micro Optical, lässt sich im Montage- und Wartungsumfeld nur beschränkt einsetzen, da sie keine objektgenaue Überlagerung der wahrgenommenen Realität mit zusätzlichen Informationen erlaubt.

Im nächsten Schritt werden die Arvika-Projektpartner das Basissystem und die neueste Hardware in "Feldversuchen" testen. Psychologen und Arbeitswissenschaftler werden den Einsatz beispielsweise in der Produktion bei Ford, in der Qualitätssicherung bei Volkswagen sowie bei der Montage von Rohrleitungssystemen im Airbus begleiten. Anhand der daraus gewonnenen Erkenntnisse über die Eignung des Basissystems sowie dessen Unzulänglichkeiten wollen die Forscher dann einen neuen Prototypen entwerfen.

Arvika auf dem Weg in die zweite ProjektphaseIm Herbst 2001 hat das Arvika-Projekt die "Halbzeit" erreicht. Dann wird das Bundesforschungsministerium über die zweite, wiederum zweijährige Projektphase entscheiden. Nach Ansicht von Friedrich hat sich der ganzheitliche Projektansatz gelohnt, wonach nicht nur die Technik entwickelt, sondern auch die Eignung der Instruktionen sowie die Akzeptanz der Geräte untersucht wird.

Andere Projekte - beispielsweise ein Versuch des amerikanischen Flugzeugherstellers Boeing zur Anleitung bei der Verlegung von Kabelsträngen - sind gescheitert. Misserfolge dieser Art führt der Arvika-Projektleiter darauf zurück, dass wesentliche Faktoren wie die Interaktion zwischen Mensch und Computer zu wenig beachtet worden sind.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.

Links:www.arvika.de

www.xybernaut.de

www.mvis.com

www.microopticalcorp.com