Einsatz in der Architektur und in der Medizin

Virtual Reality: Die fiktive Welt nimmt nun Formen an

19.02.1993

Konstruktionsfehler an Gebaeuden entstehen oft durch falsche Planung. Sie fallen jedoch haeufig erst dann auf, wenn die Bewohner das Heim bereits bezogen haben. Die Technik der virtuellen Realitaet kann hier, so jedenfalls versprechen ihre Befuerworter, Abhilfe schaffen.

Martin Goebel, Projektleiter des Demonstrationszentrums "Virtuelle Realitaet" der Fraunhofer-Gesellschaft, Darmstadt, erklaert den Nutzen von VR-Systemen, die aus den CAD-Daten der Architekten- und Designersysteme ein virtuelles Gebaeude erstellen. Mit ihnen sei es Baumeistern und kuenftigen Bewohnern moeglich, sich gemeinsam durch ein erst in der Planungsphase befindliches Gebaeude zu bewegen. Sie bekaemen - durch die mit 16 bis 25 Bildern pro Sekunde realisierbare Echtzeit - den Eindruck, sich in einer tatsaechlich existierenden Umwelt zu bewegen. Aenderungswuensche koennten somit im Nu durchgefuehrt werden. Auch eruebrige sich die Erstellung und Manipulation des in der Architektur ueblichen Arbeitsmodells. Fehler wuerden unmittelbar erkannt und noch in der Planungsphase beseitigt.

Auch in der Medizin koennte VR kuenftig State of the Art werden. So waere es zum Beispiel moeglich, Operationen im voraus durchzuspielen und somit folgenschwere Fehler zu vermeiden. Erste Erfahrungen mit dieser Anwendung haben Mediziner bereits in San Diego gesammelt.

Bisher arbeiten vor allem die Automobilbranche und das Baugewerbe sowie Hersteller von Computerspielen mit VR. Die Technik, virtuelle Welten in Echtzeit visuell, akustisch und haptisch darzustellen, koennte aber bald Einzug in den verschiedensten Unternehmen halten.

Hohe Anforderungen an die Ausstattung

Die Durchfuehrung von VR-Anwendungen stellt jedoch nach Ansicht des Fraunhofer-Mitarbeiters Goebel extrem hohe Anforderungen an Hardware und Algorithmen. Professionelle Anwendungen liessen sich derzeit nur durch leistungsstarke und somit auch teure Rechner realisieren. Ferner sind dazu spezielle und kostspielige Softwarepakete notwendig.

Als Sichtgeraet dient optional ein von der amerikanischen Raumfahrtbehoerde Nasa entwickelter Helm "Eyephone" oder eine besondere Stereobrille. Das rund 10 000 US-Dollar teure Eyephone enthaelt zwei einzelne Monitore, die jeweils ein Bild fuer jedes Auge praesentieren. Bei jeder Bewegung des Kopfes veraendert sich der visuelle Eindruck, an der Computer in Sekundenbruchteilen den neuen Bildausschnitt berechnet und anzeigt. Indem zwei verschiedene Bilder (eines je Augeprojiziert werden, entsteht Dreidimensionalitaet.

Mit Hilfe der etwa 3000 Mark teuren Stereobrille erscheint das Bild auf dem Monitor oder als Grossbild auf einer Leinwand. Der Betrachter erhaelt dadurch einen stereoskopischen Eindruck, dass beiden Augen jeweils zwei aufeinanderfolgende Bilder gezeigt werden.

Ferner kann auf ein spezielles Eingabegeraet nicht verzichtet werden, da sich der Anwender virtuell im dreidimensionalem Raum bewegt. Bei der Peripherie handelt es sich hauptsaechlich um den "Spaceball" oder den bekannteren "Data Glove", einen Handschuh, der elektromagnetisch die Handposition erfasst und die Fingerbewegung ueber Lichtwellenleiter ermittelt. Auf diese Weise stellt das System die raeumliche Position und die Bewegungsrichtung fest. Billig ist dieses Eingabegeraet allerdings nicht: Es kostet rund 10 000 US-Dollar.

Einen weiteren Haken hat Virtual Reality derzeit noch: Die Szenarien werden durchschritten und somit nur visuell, allenfalls noch akustisch erkannt. Fuer taktile Rueckmeldungen hingegen sind noch keine geeigneten Geraete auf dem Markt verfuegbar. Wie Martin Goebel mitteilt, wird mittlerweile daran gearbeitet, dieses Problem zu bewaeltigen. In der Entwicklung befindet sich ein Handschuh, mit dem die virtuelle Realitaet ertastet werden kann.

Einige Anbieter haben sich bereits auf den zukunftstraechtigen VR- Markt spezialisiert. So auch die Media Systems Digitale Visualisierungssysteme GmbH. Das Karlsruher Unternehmen bietet Komplettloesungen aus Hard- und Software zur Durchfuehrung von Virtual-Reality-Anwendungen an. Dabei handelt es sich unter anderem um Rechner der Silicon Graphics Inc. und um die Animationssoftware "Prisms" der Side Effects Studios, Toronto, Kanada. Prisms ist ein Paket, mit dem der Anwender Animationen erstellen kann. Die Darstellungen lassen sich anschliessend stereoskopisch und in Echtzeit betrachten sowie interaktiv veraendern.

Media Systems kann bereits erste Referenzkunden nennen. Demzufolge wurde Prisms letztes Jahr bei der Stadtplanung in Tokio, vor allem bei der Konstruktion der Infrastruktur, eingesetzt.

Die raeumlichen Darstellungen haben allerdings ihren Preis: Das Einsteigerpaket von Media Systems kostet rund 67 000 Mark. Es enthaelt einen Indigo-Entry-Rechner mit 16-Zoll-Monitor sowie das rund 34 200 Mark teure Prisms und ein Videoboard.

Fuer professionelle Anwendungen offeriert das 1991 gegruendete Unternehmen den Hochleistungs-Computer Indigo Extreme mit 19-Zoll- Monitor einschliesslich Prisms, Videoboard sowie einem Thermo- Sublimationsdrucker fuer fotorealistische Ausdrucke. Erhaeltlich ist dieses Angebot fuer einen Bruttopreis von etwa 205 000 Mark. Sinnvoll ist zusaetzlich eine Grossbildleinwand und der dazugehoerige "Beamer", um Sequenzen zu projizieren.

Raum und Equipment fuer 2500 Mark pro Tag

Fuer User, die Virtual Reality nur gelegentlich nutzen moechten, stellt Media Systems einen Raum mit dem entsprechenden Equipment zur Verfuegung. Die Kosten fuer die Nutzung belaufen sich auf etwa 2500 Mark pro Tag. Das Karlsruher Unternehmen ist zusammen mit Silicon Graphics auf einem Stand der CeBit anzutreffen.

Goebel zweifelt allerdings daran, dass Einstiegsmodelle von Grafik- Workstations die in VR gesetzten Erwartungen ueberhaupt erfuellen koennen: "Der Indigo-Entry-Rechner ist fuer VR kaum geeignet. Die Geschwindigkeit und Grafikfaehigkeit des Rechners mit 8-Bit-Grafik sind fuer professionelle Anwendungen nicht ausreichend." Nach Meinung des VR-Experten kostet ein fuer Virtual Reality geeignetes Paket inklusive Software und der vielfaeltigen Peripherie heute noch mindestens 400 000 Mark.