Erste europäische Konferenz der texanischen Softwareschmiede

Vignette will Markt für Sellside-Content aufrollen

10.11.2000
CANNES (fn) - Der amerikanische Softwarehersteller Vignette aus dem texanischen Austin hielt erstmals seine auf Kunden und Partner ausgerichtete Konferenz "Vignette Village" in Europa ab. Die Veranstaltung nutzt das Unternehmen allem zur Selbstdarstellung und kolportierte in erster Linie bereits Bekanntes.

Unter mangelndem Selbstbewusstsein leidet Greg Peters offensichtlich nicht. Der CEO des amerikanischen Softwareherstellers Vignette Corp. beansprucht für sein Unternehmen, der nächste "Gorilla" in der Softwareindustrie zu werden. In der Vergangenheit habe diese Bezeichnung auf SAP als Anbieter von Enterprise- Resource-Planning-Systemen sowie Siebel, den Spezialisten für Customer-Relationship-Management (CRM) zugetroffen. Vignette sei der führende Hersteller von Software für die personalisierte Kundenansprache sowie die Interaktion mit Anbietern über unterschiedliche Kanäle wie Internet, Mobilfunkendgeräte oder interaktives Fernsehen. Peters strich in seiner Keynote-Rede den Begriff Web-Content-Management, mit dem sich Vignette einen Namen machte, und bezeichnete seine Firma als Hersteller von "Sellside-Content-Software". Damit soll eine Grenze gezogen werden zu Firmen wie Commerce One und Ariba, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen die Einkaufsseite (Buyside) im E-Business abdecken. Die Sellside umfasse dabei sowohl das Geschäft zum Endkunden als auch den Business-to-Business-E-Commerce einschließlich Online-Marktplätze.

Vignette betrat den Markt mit "Storyserver", einem für die Medienindustrie entwickelten Web-Content-Management-System. Zwar fand das Produkt großen Zuspruch wegen seiner Fähigkeiten als Content-Plattform für dynamische Websites. Eine Nutzung im audiovisuellen Bereich stellt aber hohe Ansprüche an die Entwickler und erfordert gute Programmierkenntnisse. Davon weiß zum Beispiel André Schnoor, Chef der Startup-Firma Besonic.com aus Hamburg, ein Lied zu singen. Der Music-Delivery-Service basiert auf Vignettes Storyserver, wobei Besonic die darauf laufende Anwendung komplett selbst entwickelte. So schaffte das Unternehmen Funktionen für durchgehende Mehrsprachigkeit, den Download und Upload von Musik, richtete Streaming-Media-Kanäle ein und versah die Applikation mit Personalisierungs-Features, mit denen Musikfans die Inhalte der Seiten auf ihre individuellen Geschmäcker abstimmen können.

Der Anteil der Kunden aus der Medienwirtschaft nimmt ab. Laut CEO Peters zählen nur noch 15 Prozent der Kundschaft zu dieser Branche. Waren es in der Vergangenheit zur Hälfte Dotcoms, die Vignette kauften, ordern nun vermehrt traditionelle Firmen die Software. Nur noch neun von 100 Käufern seien reine Internet-Firmen.

Insgesamt 1200 Unternehmen weltweit setzen inzwischen Vignette-Produkte ein, wobei zu den Kunden zahlungskräftige Unternehmen wie Mercedes-Benz, Lufthansa und Credit-Suisse gehören. Rund 250 Anwender kommen aus Europa, was letztlich auch einer der Gründe war, die Konferenz Vignette Village erstmals in der Alten Welt im französischen Cannes abzuhalten.

Bahnbrechende Neuigkeiten verkündete Vignette den rund 600 Besuchern, die sich an der französischen Mittelmeerküste eingefunden hatten, indes nicht. Allenfalls die Fahrpläne für die weitere Produktentwicklung dürften so manchem Angereisten genutzt haben. Für viele war dies dem Vernehmen nach jedoch lediglich eine Auffrischung bereits bekannter Fakten. So soll das Release 5.6 von V/5 Java 2 Enterprise Edition (J2EE) unterstützen und damit eine Integration in Applikations- und andere Server-Systeme von Drittherstellern erleichtern. Viele Anwender sind zur Zeit noch gezwungen, die Anbindung an diese Systeme selbst zu programmieren. Die Ursache ist unter anderem die von Vignette favorisierte Scriptsprache TCL, aus der sich Java-Funktionsaufrufe nicht ohne weiteres realisieren lassen. Zwar soll das Zusatzprodukt "TCL Blend" diese Lücke schließen, doch nach den Erfahrungen eines deutschen Anwenderunternehmens, das Vignettes Software an "BEA Weblogic" anbinden musste, konnte dieses Tool die Erwartungen nicht erfüllen. Auf eine handgestrickte Lösung musste auch das Systemhaus Gedas aus Berlin zurückgreifen, um Vignettes Programme "Content Management Server" mit dem Transaktionsmonitor "Tuxedo" von BEA zu verknüpfen. Der zum Volkswagen-Konzern gehörende IT-Spezialist realisierte die Website der "Autostadt" des Fahrzeugherstellers im niedersächsischen Wolfsburg.

Demnächst werden Anwender ihre Web-Seiten auch mit Java Server Pages (JSP) programmieren können. Derzeit unterstützt V/5 TCL Server Pages (TSP) sowie die Microsoft-Technik Active Server Pages (ASP). Dies soll Firmen in die Lage versetzen, bereits in ASP oder JSP realisierte Anwendungen in V/5 einzubinden. Zudem stehe es ihm frei, in welcher der drei Methoden er programmieren möchte. Außerdem hat sich Vignette für die zweite Jahreshälfte 2001 vorgenommen, Teile von V/5 in Enterprise Javabeans zu implementieren.

Lust auf das Geschäft mit Applikations-Servern verspürt Vignette indes nicht. Man werde sich auf die Integration dieser Systeme konzentrieren. Allerdings bleibt abzuwarten, wie offen der Anbieter gegenüber Lieferanten wie Iplanet und Bea bleibt, da eine enge Kooperation mit IBM besteht, deren Websphere mit den Applikations-Servern anderer Anbieter konkurriert.

Wer ist Vignette?Die texanische Softwareschmiede Vignette und deren erstes Produkt "Storyserver" entstanden im Laufe einer Auftragsarbeit des amerikanischen Medienhauses Cnet. Für seinen Online-Nachrichtendienst "News.com" benötigte Cnet ein Web-Content-Management-System für dynamische Seiten. Programmiert hat den Storyserver Steve Manweiler, heute Chief Technology Officer bei Vignette. Das Unternehmen betrachtet sich mittlerweile als Anbieter von Content-Engines für Sellside-E-Commerce und liefert außer dem Web-Content-Management eine Reihe von Anwendungen, beispielsweise für das Verwalten von Online-Marketing-Kampagnen, Personalisierung von Internet-Inhalten und Kundenansprache über mobile Endgeräte. Einen wesentlichen Teil der diesen Produkten zugrunde liegenden Technologien erwarb Vignette durch Übernahmen, etwa Datasage zur Analyse des Benutzerverhaltens auf E-Commerce-Angeboten oder Ondisplay für die mobile Datenkommunikation.

Das vormalige Kernprodukt Storyserver ist nun einer von sechs Servern der "V/5"-Plattform, mit der das Softwarehaus Firmen adressiert, die komplexe und frequentierte E-Commerce-Sites betreiben. Mit V/5 führte der Anbieter zudem das "Vignette Application Framework" (VAF) ein. VAF trennt die bisher in einem Block vorhandenen Display-, Management- und Applikationsservices. Auf diese Weise werden Inhalte und die Präsentation voneinander getrennt. Gleichzeitig vereinfacht das Framework die Entwicklung, da Softwareentwickler nicht die APIs einzelner Server, sondern die Programmier-Schnittstellen des VAF nutzen können.