Wie und wann "Accelerated SAP" Erfolg verspricht (Teil 1)

Vier Praxisbeispiele für die schnelle R/3-Einführung

09.10.1998

Die Unternehmen, die sich entschließen, bei ihrer R/3-Einführung den in Asap enthaltenen Referenzprozessen und Vorgehensweisen zu folgen, tun dies in der Hoffnung auf kurze Einführungszeiten, niedrige Projektkosten und einen hohen Return on Investment. Um diese Ziele zu erreichen, verzichten sie zunächst darauf, ihre Geschäftsprozesse einem Re-Engineering zu unterziehen. Vielmehr bringen sie die Bereitschaft mit, ihre Abläufe dem vorgegebenen Standard anzupassen und der in Asap definierten Projekt-Roadmap zu folgen, die zudem eine Reihe von "Accelerators" genannten Hilfsmitteln für die Implementierung bietet.

Das St. Gallener Forscherteam, zu dem neben dem Hochschullehrer Österle auch Thomas Huber, Ralf Dolmetsch und Elgar Fleisch zählen (siehe auch http://iwi2. iwi.unisg.ch/publications/queries/ publ.idc) hat vier konkrete R/3-Implementierungen auf die Herausforderungen und kritischen Erfolgsfaktoren hin analysiert. Ausgewählt wurden die Unternehmen von der SAP AG. Es handelt sich um die Crosfield BV mit Sitz in Eijsden bei Maastricht, die Mitek Surgical Products Inc. Westwood, Massachusetts, die Geschäftseinheit Switching Platforms (SWP) des finnischen Nokia-Konzerns sowie die auf New York, Los Angeles und Orangeburg verteilte "Prints"-Division der DMC Inc.

Die vier Unternehmen führten mit Hilfe der Asap-Methode innerhalb von fünf bis sechs Monaten mehrere R/3-Module aus den Bereichen Finanzen und Logistik ein, wodurch sie ihr altes Informationssystem vollständig ersetzten. Bei der Entscheidung für R/3 ließen sie sich von einer Reihe unterschiedlicher Gründe leiten. Übereinstimmend nannten sie jedoch die politische Entscheidung des Mutterkonzerns sowie das Millenniumproblem als Auslöser.

Nach den Beweggründen für die Asap-Entscheidung gefragt, führten die untersuchten Betriebe im wesentlichen zwei Argumente an:

1. Geringeres Risiko und höhere Kostentransparenz: Eine R/3-Einführung ohne vorgeschaltetes Re-Engineering soll das Volumen und die Komplexität der Projekte reduzieren, deren Budgets vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen engen Restriktionen unterliegen.

2. Schnellebigkeit der betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Wie zum Beispiel die Projektverantwortlichen bei Nokia erläuterten, hätte ein vorgeschaltetes Re-Engineering unter Umständen Prozesse definiert, die bereits zum Produktivstart des R/3-Systems überholt gewesen wären.Nach Ansicht des Österle-Teams wird es derzeit - im Hinblick auf den näherrückenden Millenniumswechsel - immer riskanter, der R/3-Einführung ein BPR voranzustellen.

Wie die St. Gallener herausfanden, hat jedes der vier untersuchten Unternehmen während des Projekts zusätzliches Verbesserungspotential festgestellt. Mit Rücksicht auf Budget und Projektdauer sei jedoch entschieden worden, dies erst nach dem Produktivstart zu erschließen.Ein Beispiel für die Anwendung der Asap-Methode liefert die mit der Produktion von Silikaten und Zeolithen befaßte Division des Chemiekonzerns Crosfield. Das in Eijsden bei Maastricht ansässige Unternehmen bewegt sich in einem wettbewerbsintensiven und entsprechend preissensiblen Markt. Deshalb benötigt der Betrieb ein System, das alle zur Preiskalkulation notwendigen Informationen integriert zur Verfügung stellt.

Die Idee, R/3 einzuführen, reicht zurück bis in Jahr 1996, der eigentliche Projektstart erfolgte jedoch erst am 6. Oktober 1997. Zuvor hatte Crosfield die Entscheidung hinausgezögert - zunächst wegen der Übernahme durch ICI, später wegen des als hoch eingeschätzten Risikos bezüglich der Einführungzeiten und -kosten. Das änderte sich, als der spätere Projektleiter Jack Vrancken im Sommer 1997 ein SAP-Seminar besuchte, auf dem die Asap-Methode vorgestellt wurde. Mit Hilfe dieses Mittels und der immanenten Philosophie des entscheidungsfreudigen Projekt-Managements (siehe Kasten "Die Prämissen...") hoffte Crosfield, Laufzeit und Kosten des Vorhabens mindestens kalkulierbar zu machen.

Neue Entscheidung gefährdete das Projekt

Als Einführungspartner wählte das Unternehmen die SAP Holland, deren Senior Consultant Pedro van der Werf gemeinsam mit Vrancken dafür Sorge trug, daß die vom Software-Anbieter definierten Rahmenbedingungen erfüllt waren. Trotzdem kam es nach Abschluß der Blueprint-Phase zu einer projektgefährdenden Situation - durch eine unvorhergesehen Entscheidung der Crosfield-Zentrale. Plötzlich sollte R/3 zeitgleich auch in der englischen und der US-amerikanischen Niederlassung eingeführt werden. Das hätte langwierige, standortübergreifende Abstimmungen erfordert.

Schließlich konnte sich das Management in Eijsden mit der englischen Zentrale auf ein Zweiphasen-Konzept einigen: Die Holländer hielten an ihrem Projektplan fest; England und die USA sollen bis zum Jahresende nachziehen und dabei große Teile des Entwurfs sowie des Know-hows aus dem Pilotprojekt nutzen.

In Eijsden hat sich Crosfield auf die R/3-Module Sales & Distribution (SD), Material Management (MM), die Finanzapplikationen FI, CO und EC sowie teilweise auch Production Planning (PP) beschränkt. Die Zahl der Benutzer beläuft sich auf 40.

Die Dauer des Projekts befristete das Unternehmen auf sechs Monate. Diese Mindestlaufzeit war nach Aussagen des Projektteams notwendig, um zu gewährleisten, daß die Mitarbeiter die SAP-Terminologie erlernen, System-Know-how aufbauen und gleichzeitig in Kontakt mit der eigenen Organisation bleiben.

Die unmittelbaren Kosten der R/3-Einführung betrugen umgerechnet rund eine Million Mark; den Löwenanteil am Projektbudget verschlangen die eingekauften Beratungsleistungen. In den Niederlanden kostet ein SAP-Berater-Tag durchschnittlich etwa mehr als 2000 Gulden. Crosfield benötigte für die Consulting-Unterstützung 760000 Gulden oder rund 670000 Mark, also etwas doppelt soviel wie für Softwarelizenzen, Schulungen und die notwendige neue Hardware. Laut Projektleiter Vrancken investierte das Unternehmen gleichzeitig noch etwa zweieinhalbmal soviel Arbeitszeit eigener IT-Mitarbeiter.

Eine 30prozentige Diskrepanz zwischen geplanten und tatsächlich benötigten Beratertagen ergab sich im Finanzbereich. Erst nach dem Projektstart stellte sich heraus, daß die in FI, CO und EC abgebildeten Prozesse komplizierter waren als angenommen. Um eine saubere Produktkostenrechnung zu gewährleisten, mußte die Finanzabteilung deshalb zusätzliche Hilfskostenstellen einrichten. Dies ist einer der Punkte, wo Crosfield Potential für weitere Verbesserungen sieht.

Zu der Entscheidung für eine referenzbasierte Implementierung von R/3 steht Vrancken heute wie damals: "Für die Kombination von Business Process Re-Engineering und R/3-Einführung würden wir statt sechs etwa 18 Monate brauchen", erläutert der Projektleiter. Vor allem im Hinblick auf die hohen Beratungskosten bezeichnet er die schnelle R/3-Einführung "für ein Unternehmen unserer Größe" als "die geeignete Strategie".

Im allgemeinen wird für Asap-Projekte etwa ein halbes Jahr veranschlagt. Mitek Surgical Pro- ducts brauchte nicht einmal fünf Monate. Das in der Nähe von Boston beheimatete Unternehmen erfreut sich eines starken Wachstums und hoher Gewinnspannen. Umsatz und Personalbestand nahmen im vergangenen Jahr um mehr als ein Fünftel zu. Jeder zweite Mitarbeiter arbeitet im Außendienst. Nach Ansicht von Mitek erfordert das rasante Wachstum des Unternehmens eine durchgängige IT-Unterstützung der administrativen Abläufe.

Nachdem das Unternehmen 1994 einen Teil der im Bundesstaat Utah ansässigen Medicine Lodge Inc. akquiriert hatte, faßte es den Entschluß, ein neues IT-System zu implementieren, das zum einen den funktionalen Anforderungen der kommenden Jahre gewachsen sein würde und zum anderen eine Integration der beiden Unternehmensstandorte ermöglichte. Es entschied sich für die Einführung von R/3.

In bezug auf die Vorgehensweise überlegten die Verantwortlichen lange Zeit, ob sie das Modell der Schwestergesellschaft Cordis kopieren sollten. Die Möglichkeit, Zeit- und Finanzaufwand relativ exakt kalkulieren zu können, sprach jedoch für Asap. Allerdings ersparte sich Mitek einigen Aufwand, indem es Elemente der Cordis-Konfiguration nutzte - beispielsweise den konzernspezifischen Kontenplan, die Kundendaten und einige Standardreports.

Da Mitek seine Administration bewußt klein hält, konnte kein Mitarbeiter für das Projekt vom Tagesgeschäft freigestellt werden, was eigentlich den von SAP definierten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Asap-Projekt widerspricht (siehe wiederum "Die Prämissen..."). Deshalb mußte das Unternehmen doppelt soviel Berater- wie Mitarbeiterzeit einkalkulieren. Die Beratertage summierten sich auf 620. Erschwerend kam hinzu, daß der externe Projektleiter - Mitek arbeitete hier mit SAP USA zusammen - während der Laufzeit des Vorhabens ausgetauscht werden mußte.

Offenbar wirkten sich diese beiden Faktoren jedoch nicht allzu negativ auf das Vorhaben aus. Jedenfalls brachte Mitek das Projekt vorzeitig und innerhalb des geplanten Kostenrahmens über die Bühne. Wie die Studie der St. Gallener Wirtschaftsinformatiker ausweist, war das aber nur möglich, weil Mitek sich der Realität stellte und den Projektrahmen verkleinerte. Die Alternative wäre gewesen, den Produktivstart zu verschieben. Aber genau das hätte die Grundidee der Asap-Methode ("Time-boxing") ad absurdum geführt. Lieber strich der Projektleiter Dexter Strong weniger vordringliche Anforderungen wie Produktkostenrechnung, Forecasting und Sales-Reporting aus dem Projektrahmen, denn das System sollte unbedingt vor den traditionell umsatzstarken Monaten November und Dezember "up and running" sein.

Eingeführt wurden die R/3-Module Sales and Distribution (RD), Financial/Accounting and Controlling (FI/CO), Material Management (MM) und Production Planning (PP). Insgesamt nutzen 40 Mitarbeiter das System. Die Hardware - ein Server und einige neue PCs - stammt von Compaq, als Betriebssystem fungiert Windows NT.

Nachdem R/3 sechs Monate lang produktiv im Einsatz war, merkten die Verantwortlichen, daß das System sie zwang, ihre Prozesse und ihre Geschäftspolitik zu formalisieren, was mit dem alten System nicht notwendig gewesen war. Solange das Unternehmen so weiterarbeitete wie zuvor, erzielte es trotz der neuen Software keine signifikanten Verbesserungen der geschäftlichen Abläufe. Weitere Beratertage waren notwendig, um die Produk- tionsplanung zu überarbeiten. Außerdem traten in den Abläufen der Produktion und des Verkaufs Fehler auf, die erst nach dem Produktivstart behoben wurden.

Das veranlaßte die Mitek-Verantwortlichen zu der kritischen Anmerkung, Asap werde zwar als komplette Lösung vermarktet, doch zwischen Einführung und Produktivstart seien einige Nacharbeiten notwendig. Zudem habe ihm ein SAP-Berater geraten, im folgenden Jahresbudget einen Posten für "Stabilisierungsmaßnahmen" einzuplanen, die sich letztendlich als ein kompletter Neuentwurf einzelner Geschäftsprozesse herausgestellt hätten. Von den vier Unternehmen, die das Österle-Team untersucht hat, ist Mitek bislang das einzige, das sich eine kontinuierliche Verbesserung seiner Prozesse ("continuous engineering") auf die Fahne geschrieben hat.

Zweimal Zwei

Mit Hilfe ausgewählter Praxisbeispiele hat ein Wirtschaftsinformatiker-Team der Universität St. Gallen versucht, die kritischen Faktoren für den erfolgreichen Einsatz von "Accelerated SAP" zu ermitteln. Die ersten beiden dieser Beispiele beschreiben wir in der vorliegenden, die restlichen zwei in der kommenden CW-Ausgabe.

DIE CHEMIKER

Die 1983 gegründete Crosfield BV, Eijsden, gehört zur internationalen Crosfield-Gruppe, deren Hauptsitz sich im britischen Warrington befindet.1996 wurde der profitable Chemiekonzern vom holländischen Branchenriesen Unilever an ICI verkauft. Am Standort Eijsden produziert Crosfield vor allem Silikate und Zeolithe. Die 190 Mitarbeiter erwirtschafteten 1996 einen Umsatz von umgerechnet etwa 150 Millionen Mark.

DIE MEDIZINMÄNNER

Mitek Surgical Products Inc. wurde 1985 gegründet und zählt heute zu den führenden Herstellern von medizinischen Geräten zur Fixierung von weichem Gewebe an menschlichen Knochen - beispielsweise nach Sehnen-, Bänder- oder Muskelabrissen. Mitek ist eine selbständige Geschäftseinheit der Ethicon Inc., die wiederum zu hundert Prozent der Health Care Division von Johnson & Johnson angehört. Der Erfolg des Unternehmens beruht nicht nur auf dem Verdienst, die Eignung einer Nickel-Titan-Legierung ("Nitinol") für medizinische Geräte entdeckt zu haben, sondern auch auf den firmenbezogenen Schulungsprogrammen für Mediziner. Das Unternehmen hat 200 Lieferanten und 3500 Kunden. Mit 250 Mitarbeitern erwirtschaftete es zuletzt einen Jahresumsatz von 40 Millionen Dollar. Fortsetzung folgt