Vier Jahre "EDV-Karriere":Die Pioniere werden vom Alltag eingeholt

15.12.1978

MÜNCHEN - Die Zeiten sind vorbei, in denen jedermann über Nacht in der Datenverarbeitung Karriere machen konnte. Heute wird auch kaum noch jemand im Schnellverfahren zum Programmierer umgeschult. Die Anforderungen an DV-Berufe sind immens gewachsen. Eine Spezialisierung ist unumgänglich, wenn der EDV-Neuling an der zunehmend härter werdenden Karriere-Front erfolgreich sein möchte. Auch im Bereich der DV-Gehälter ist man realistischer geworden. Vor wenigen Jahren noch garantierte der DV-Job ein hohes Einkommen. Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt für DV-Mitarbeiter haben die Kirche wieder ins Dorf gebracht.

Die Berufsaussichten sind jedoch nach wie vor günstig, besonders für qualifizierte EDV-Profis mit mehrjähriger Berufserfahrung. Der Personalmarkt ist leergefegt, 0,4 Prozent DV-Arbeitslose signalisieren Überbeschäftigung.

Auch im DV-Bildungswesen ist die Euphorie der vergangenen Jahre verflogen.

Der computerunterstützte Unterricht konnte sich bisher nicht durchsetzen.

Bereits im Oktober 1974 zeichnete sich eine Bildungskrise, in der EDV ab. "Angesichts der derzeitigen, unsicheren Wirtschaftslage fangen die Unternehmen an, die Spreu vorn Weizen zu trennen", konstatierte Robert Hürten, damals Mitglied der Geschäftsleitung des aiv-Instituts für automatische Informationsverarbeitung in Darmstadt. Die EDV-Berater waren sich einig: "Feld-, Wald- und Wiesen-Programmierer haben keine Chancen, sondern der EDV-Spezialist, der in wichtige Randgebiete und neue Technologien drängt und zusätzliches Fachwissen hat." Hürten prognostizierte schon 1974, daß "die noch weit verbreitete Sonderstellung des exklusiven Clubs der DV-Kräfte sich langsam abbauen wird - auch im Hinblick auf die gegenwärtige, überdurchschnittliche Bezahlung". Das hat sich auch bestätigt. "In der EDV wird heute nur noch mittelmäßig verdient", erklärt Christian Näser, Projektleiter für Gehaltsstrukturen bei der Kienbaum Unternehmensberatung in Gummersbach.

Sperry Univac sagte im Juli 1975 gar das Ende des Programmierers voraus:

"Der Benutzer von morgen wird mit dem Rechner verkehren, ohne zu wissen, daß es ein Rechner ist."

Ebenfalls 1975 war die Aktion Bildungsinfommationen e. V. (ABI) in Stuttgart der Bildungs-Mafia auf der Spur: "Nepper, Schlepper und Bauernfänger verkaufen EDV-Grundausbildung, die Lehrgänge sind oft ihr Geld nicht wert." ABI berichtete, daß rund 70 Institute, Akademien, Seminare und Firmen in der Bundesrepublik auf privatwirtschaftlicher Basis Aus- und Weiterbildung für EDV-Berufe anbieten. Die Mehrzahl - so ABI - ist seriös und fachlich qualifiziert, aber es gibt auch schwarze Schafe. "Oft werden Interessenten für die DV-Ausbildung mit der Behauptung geködert, der Kurs könne mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen werden. Das ist falsch", warnte ABI im Juni 1976.

Im Dezember 1977 berichtete jedoch die COMPUTERWOCHE, daß die Goldgräberzeiten einiger Institute, die oft mit wenig qualifiziertem Lehrpersonal Kurse jeglicher Art durchgeführt haben, der Vergangenheit angehören.

Über eine Krise bei der praxisfernen, subventionierten Ausbildung berichtet Dr. Roland Henssler, Direktor des Control Data Instituts in Frankfurt im gleichen Jahr: "Die von der Bundesregierung geförderten DV-Bildungszentren haben einen starken Schülerschwund zu verzeichnen. Sie sind im Moment nur zu 50 Prozent ausgelastet, die Einschreibungen lassen vermuten, daß diese Rate bald auf 30 Prozent fallen wird. Die Schulungszentren der Hersteller sind dagegen nahezu voll ausgelastet." Etwa ein Jahr später klagte er dann: "Gegen die Konkurrenz der Hersteller-Schulen und der staatlich geförderten DV-Bildungszentren lassen sich kostendeckende Seminargebühren derzeit noch nicht durchdrücken."

Gute Berufsaussichten für DV-Profis

Erfreulich ist die Entwicklung auf dem DV-Arbeitsmarkt: Die Bundesanstalt für Arbeit gab 1978 bekannt, daß in diesem Bereich nur 0,4 Prozent arbeitslos sind, 1975 war es noch ein Prozent. Arbeitslose EDV-Spezialisten sind heute nach Angaben der Bundesanstalt kaum länger als drei Monate aus dem Geschäft. Der Stellenmarkt bietet Computer-Fachleuten hervorragende Chancen. Bei einer Auswertung des CW-Stellenmarktes ergab sich, daß sich das Angebot im 1. Halbjahr 1978 gegenüber dem 2. Halbjahr 1977 um 64 Prozent erhöht hat. Der größte Bedarf besteht bei Programmierern. Kaum gefragt sind Berufsanfänger. Prof. Dr. Johann Löhn wußte jedoch im August 1977 zu berichten, daß die Absolventen der Fachhochschule Furtwangen "weggehen wir die warmen Semmeln". Er stützt seine Behauptung auch auf das dritte DV-Programm: Danach können 1900 graduierte Informatiker im Zeitraum 1973 bis 1978 unter 11 000 Stellen auswählen. Helmut Bielau, Fachvermittler bei der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) in Frankfurt, mochte indes diesen Zahlen nicht so recht trauen. "Keiner kann guten Gewissens eine verläßliche Prognose abgeben", meinte er Jedoch zeigte auch die Detailuntersuchung 1977 der Bundesanstalt für Arbeit, daß die Fachhochschul-Absolventen zu dieser Zeit auf den sichersten Stühlen sitzen.

Ist der CUU tot?

Noch nicht abgeschlossen ist das Kapitel "Computerunterstützter Unterricht (CUU)". Bereits 1976 gestand Dr. Gerhard E. Ortner vom Forschungs- und Entwicklungszentrum für objektivierte Lehr- und Lernverfahren (FEoLL), Paderborn, daß die EDV-Zeit in der Schule schon vorbei ist - oder noch nicht angefangen hat. Bei der Didacta im März 1977 kam dann auch eindeutig zum Ausdruck, daß der CUU nicht mehr als der Nürnberger Trichter und das angestrebte und alleinseligmachende Ziel der deutschen Bildungspolitik gilt. Dieses Thema griff denn auch Dr. Gerhard Maurer damals in einer seiner Kolumnen auf: "Das große Geld für die großen Systeme fehlte den großen Schulen. Das Ganze, mit 62 Millionen Mark gefördert endete - übrigens nicht nur hierzulande - als mittleres Fiasko." Sein Fazit: "Nach dem Katzenjammer kommt die nächste DV-Bildungs-Euphorie bestimmt." Die Antwort ließ nicht lange, auf sich warten. "Daß computerunterstützter Unterricht nicht tot ist, wird die Zukunft zeigen", verkündete Dipl-Inf. Claus Simon vom Rechenzentrum der Universität des Saarlandes in Saarbrükken. Er stützt seine Behauptung auf die Entwicklung neuer Technologien, insbesondere der Mikroprozessoren. Wie dem auch sei - die Zukunft wird's zeigen.