Windows kontra OS2 Glaube und Praxistest

Vielen PC-Nutzern gibt DOS noch immer alles

15.11.1991

In der Welt der PC-Betriebssysteme kann kaum noch jemand, so scheint es, irgendwas besser als die anderen. So grafisch wie der Macintosh ist ein Windows-PC längst, sagt Microsoft. Was Windows und DOS kennen, macht OS/2 locker nach, nur besser, sagt IBM. Windows will jetzt stärker werden - zunächst als PC-Variante 3.1 benutzerfreundlicher und stabiler. Für irgendwann im nächsten Jahr ist dann das erwachsene 32-Bit-Windows NT angekündigt. Dieses soll ins High-end einbrechen und OS/2 2.0 klein halten.

Dieses Re-Release von IBMs Desktop-Oberfläche kann nun angeblich gleich alles: Applikationen, die bislang unter DOS, ob von Microsoft oder Digital Research, und unter Windows liefen, werden IBM zufolge nebst ihren Heim-Betriebssystemen "verhaftet", sprich: unter 2.0 ablauffähig gemacht. Gegenwärtig entwanzen 20000 Beta-Tester das Paket, damit es ab April 1992 im Markt bestehen kann.

Es stellt sich jedoch die Frage, wer auf OS/2 wartet. Ist IBMs uneheliches Kind aus der Krisenbeziehung mit Microsoft ein Produkt ans den Anregungen und Forderungen der PC- und Workstation-Anwender, oder breitet Big Blue damit ein Sprungtuch nur für diejenigen User aus, die von einer großen blauen proprietären Plattform "downsizen" wollen? Sollte letzteres zutreffen, würden sich die IBM-Feuerwehrleute und ihre Wettbewerber gegenseitig auf die Füße treten, wobei die anderen jedoch mit größeren Sprungtüchern für eine größere Installationsbasis antreten: Unix in allen Schattierungen, Apples Macintosh und wiederum Windows (siehe Grafik).

Das Joint-venture zwischen IBM und Apple schließlich wird dem Markt noch ein Betriebssystem mehr bescheren, was den Autor des "Personal Computer Report" vom 18. Oktober 1991 bereits unken läßt: "Der logische Schluß aus der Zusammenarbeit (IBMs, d. Red.) mit Apple ist, daß OS/2 so gut wie tot ist."

"Ob es sich lohnt, eines der neuen Systeme einzusetzen, kann man natürlich erst beurteilen, wenn man die endgültigen Versionen auf dem Tisch hat", meint Dietrich Rogge, der für die Siemens AG als Projekt-Manager im Bereich öffentlicher Auftraggeber der Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG in Berlin tätig ist. In seinem eigenen Arbeitsbereich läuft gegenwärtig Windows 3.0 auf dem Desktop und OS/2 als Server-Betriebssystem.

Zu welcher Systemkonfiguration das nächste Upgrade führen wird, hänge von der Performance ab, die Windows 3.1 beziehungsweise Windows NT oder auch OS/2 2.0 zeigen würden. Die gleiche abwartende Haltung, berichtet Rogge, nähmen die Kunden ein, da sie sich in der Mehrzahl nicht anhand einer nur angekündigten Leistung festlegen wollten.

Bei vielen, bemerkt er, ist eine Entscheidung für den grafischen Desktop, welcher Herkunft auch immer, noch nicht gefallen. Applikationen, die die grafischen Features von Windows oder OS/2 nicht ausnutzten, hätten sich oft als feste Größen etabliert und stünden nicht zur Disposition, stellt der Projektmanager fest. Zumindest aber müsse gewährleistet sein, daß grafische Interfaces verbreitete Anwendungen wie zum Beispiel IBM-PC-TextIV "importieren" können.

"Man kann nicht davon ausgehen", so Rogges nüchterne Abschätzung, "daß Anwender, die jahrelang in einer anderen Welt gearbeitet haben, übereilt ihre bestehenden Applikationen umstellen werden." Selbst diejenigen User, die dazu bereit wären, könnten sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht darauf verlassen, ihre gewohnten Applikationen unter einer der jüngst angekündigten Oberflächen wiederzufinden. Deshalb, glaubt er, spiele sich um die Frage der Systemunterstützung durch die Software-Anbieter momentan "ein erfrischender Wettbewerb zwischen Microsoft und IBM ab".

Als die Speichergrenze von 1 MB mit der Windows-Version 3.0 durchbrochen wurde, konnte sich Klaus-Peter Schmidt mit der Microsoft-Oberfläche anfreunden. Für den System-Supporter im Forschungslabor der Hamburger Philips GmbH, Bereich Technische Systeme, ist deshalb auch "OS/2 zur Zeit eigentlich kein Thema". Von Microsoft und IBM ursprünglich als Erbe der DOS-Basis positioniert, sei es "jetzt nicht mehr so wichtig", wie die Entwicklung auf dem Markt zeige.

Das, schränkt Schmidt ein, gelte allerdings vorerst mal nur in der Konkurrenz zur 16-Bit-Linie von Windows. Sobald eine Umrüstung anstehe auf Applikationen, die eine Busbreite von 32 Bit unterstützen, meint Schmidt, sei das Rennen offen. Nicht sonderlich beeindruckt zeigt er sich indes vom Klang der Marketing-Trommeln IBMs und Microsofts, die aufgeregt vermeiden, daß jede 16-Bit-Applikation auch unter den 32-Bit-Systemen Windows NT und OS/2 2.0 laufen werde: Dies sei ebenso selbstverständlich wie wichtig.

Schon für Anwendungen unter dein herkömmlichen Windows 3.0 macht es nach seiner Erfahrung Sinn, diese auf 32-Bit-Maschinen, also auf PCs mit wenigstens einer 386er-CPU, zu fahren. Von Windows NT beziehungsweise OS/2 2.0 sei zwar zu erwarten, so Schmidt, daß die alten Anwendungen darunter schneller laufen würden als jetzt. Zu ihrer vollen Wirkung gebracht werden könnten die neuen großen PC-Betriebssysteme jedoch erst von eigens auf 32-Bit-Unterstützung umgestrickten Applikationen.

Der Philips-Mitarbeiter hofft, daß Windows NT den Vorsprung der Version 3,0 gegenüber OS/2 halten kann, was den niedrigen Preis und sparsamen Verbrauch an Systemressourcen (Hauptspeicher, Festplatte) angeht. Die Entstehungsgeschichte des 32-Bit-Desktop-Systems von Microsoft läßt ihn jedoch argwöhnen, daß diese Vorteile verlorengehen könnten. NT sei ja schließlich "eigentlich gar kein Windows, sondern ursprünglich als OS/2 3.0 geplant" gewesen. Mit einem definitiven Urteil will Schmidt jedoch noch warten, bis beide neuen Produkte verfügbar sind.

Als vergleichende Abschätzung der jeweiligen Marktchancen stellt Schmidt fest: "Wenn man die Installationszahlen von OS/2 und Windows vergleicht, dann sprechen die zum jetzigen Zeitpunkt für sich." Damit sei OS/2, zumindest vorerst, weitgehend außen vor.

Rafael Laguna de La Vera ist OS/2-Befürworter, was für den Chairman der deutschen OS/2-User-Group und Vertriebsleiter eines vor allem im SNA-Umfeld entwickelnden Softwarehauses auch naheliegt: Die Micado GmbH aus Sankt Augustin bei Bonn ist seit Januar 1990 im Beta-Testprogramm für OS/2 2.0; Laguna verfügt daher über praktische Erfahrungen mit dem ehemals gemeinsamen Kind von Microsoft und IBM.

Seine Argumente für 2.0 sind zuerst einmal technischer Natur: "OS/2 ist das technisch sauberste Betriebssystem; der Presentation Manager und der Multitasking-Kernel sind die stabilste Plattform." Gerade für Großkunden, meint Laguna, drängt sich OS/2 daher auf, denn "wenn jemand eine Applikation entwickeln will, die nachher auf 2000 Plätzen läuft, kann ich nicht ernsthaft Windows empfehlen".

Keines der beiden künftigen Windows-Releases kann Laguna überzeugen. 3.1 habe - zwar, konzediert der Vertriebsmann, gegenüber NT den Vorteil, daß es in der großen existierenden Welt der bisherigen Windows-Installationen heimisch sei und daher - bis zur Auslieferung von OS/2 2.0 - über den größten aktuellen Bestand an ablauffähiger Software verfüge. Sonst findet er jedoch kaum ein gutes Wort: "Mit 3.1 ist nicht viel los. Es gibt ein paar Abstürze weniger, es ist ein bißchen schneller, bunter und Multimedia-fähiger geworden, aber es handelt sich dabei um nichts weiter als ein normales Update. 3.1 wird nichts bewegen", so Lagunas Verdikt.

Auch das High-end-Windows NT werde "nicht der große Renner werden, so wie es im Augenblick positioniert ist". Microsoft könne es mit NT nicht allein schaffen, den Workstation- und Server-Markt zu bedienen, und diese Befürchtung, so vermutet Laguna, hegt auch die PC-Software-Company selbst. Das wird nach Ansicht des Micado-Mannes eventuell dazu führen, daß "IBM und Microsoft bald feststellen werden, daß sie zusammen einfach mehr Geld verdienen können.

Daran könnte auch IBM interessiert sein, um von Microsofts Erfahrung in einem wichtigen Punkt zu profitieren. Laguna glaubt: "IBM hat ein Marketing-Problem. Die wissen gar nicht, wie man den Consumer-Markt angeht." Damit meine er nicht nur die Heim-Anwender: Das Consumer-Segment reiche vielmehr in die mittelständischen Betriebe hinein, auf die IBM traditionell kaum einen nennenswerten Zugriff habe. Die treuen Anwender aus dem Bankwesen und der Industrie dagegen dächten nicht an eine Alternative zu OS/2 2.0.

Beobachter und Kunden sind skeptisch, ob IBM alle versprochenen OS/2-Features auch auf die Reihe bekommt. Was den integrierten "Workplace" angeht, will Laguna ebenfalls nicht darauf wetten, daß Big Blue es schaffen wird, Windows-Applikationen sichtbar parallel zu Anwendungen unter dem Presentation Manager laufen zu lassen. Ansonsten zählt er auf. "In den letzten Beta-Releases läuft der Windows-Support genauso wie etwa Powerpoint. Für die Zukunft glaube ich, daß IBM auch eine Antwort haben wird auf das OLE-Feature (Object Linking and Embedding) von Windows. Das Objekt-Interface wird als erstes Output der IBM-Metaphor-Kooperation kommen und in 2.0 enthalten sein."

Einen Vorwurf kann Laguna indes Big Blue nicht ersparen: OS/2 erhalte absichtlich nicht die Fähigkeit zum symmetrischen Multiprocessing, um zu verhindern, daß Intel-basierte Rechner in die Leistungsbereiche der RS/6000 unter AIX vorstoßen. In diesem Punkt erblickt er eine "politische Bremse", die jedoch wirkungslos bleiben werde, weil Multiprocessing-Features sicherlich bald als Zusatzprodukte von Fremdanbietern verfügbar sein würden. "Den Zug kann auch IBM nicht aufhalten."

Ein Einsatz weder von OS/2 noch von Windows wird heute bei der Raiffeisen-Hauptgenossenschaft in Hannover geplant. Dr. Peter Naumann, Abteilungsdirektor DV/Organisation, kommt "hervorragend zurecht" mit der seit fünf Jahren laufenden Lösung: 286er PCs unter DOS mit Extended Memory bis 2 MB laufen in einem Novell-Netz. Er sieht zumindest "in den nächsten fünf Jahren überhaupt keine Einsatzmöglichkeit" für eines der neuen grafischen Interfaces bei der landwirtschaftlichen Genossenschaft.

Diese Prognose des Systemverantwortlichen beruht auf den offenbar befriedigenden Erfahrungen mit Microsofts zehn Jahre alter Disk-Operating-Software, obwohl, wie Dr. Naumann meint, DOS letztlich ein "Minimal-Betriebssystem" sei. "Man muß sich eine vernünftige Datenbank und eine Makrosprache zulegen, aber dann kommt man gut zurecht. Wir sind bisher diesen Weg gegangen, und ich sehe keinen Grund, das zu ändern."

Um die Verfügbarkeit von Standardsoftware beziehungsweise Applikationen für DOS, davon ist Dr. Naumann überzeugt, müssen sich die Getreuen der zeichen- und befehlsorientierten Oberfläche - im Gegensatz zur OS/2-Gemeinde - noch lange keine Sorgen machen, denn: "Der Strom der Standardanwendungen richtet sich ja immer an den gebräuchlichen Betriebssystemen aus. Das Marktpotential für OS/2 ist einfach zu gering, als daß die Software-Anbieter sich darauf zubewegen und DOS vernachlässigen würden."