Weil Unternehmen den Weiterbildungsbedarf nicht ermitteln

Viele Teilnehmer verstehen Training als bezahlte Freizeit

14.06.1991

Weiterbildung muß sein, und sie soll dem Teilnehmer "etwas bringen", vor allem beruflich. In dieser Hinsicht sind sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber einig. Gerhard Schelling* stellt in pointierter Form dar, wie dagegen die Realität des Trainings oft aussieht.

Training erlöst uns nicht von der Arbeit, sondern bereitet uns auf sie vor und erleichtert sie. Soweit die graue Theorie, die Praxis aber ist anders: Wir schicken allzu oft jemanden nur deshalb zum Training, weil

- eine bestimmte Anzahl Tage für ihn eingeplant ist,

- er zuwenig Arbeit hat, also um ihn zu beschäftigen,

- er zuviel Arbeit hat, also um ihn zu belohnen,

- es an der Zeit ist, ihn mit einem Bonbon zu beschwichtigen,

- es nicht die Zeit ist, daß er das Gelernte auch anwenden kann.

Kriterien für die Auswahl

Nachdem wir den Trainee in spe auf diese Weise ermittelt haben, müssen wir uns leider auch noch für ein bestimmtes Training entscheiden. Getreu dem Motto, ein Training kann nicht so schlecht sein, daß man gar nichts dabei lernt, umschiffen wir elegant auch diese Klippe und wählen ein Training aus, das

- die für ihn geplante Anzahl von Schulungstagen nicht übersteigt,

- in seiner Urlaubszeit stattfindet oder dann veranstaltet wird, wenn ihm seine Arbeit keine Zeit dafür läßt,

- nur solche Themen behandelt, die bei ihm nicht das Bedürfnis wecken, irgendetwas ändern zu wollen, und

- nur solche Fähigkeiten vermittelt, die der Teilnehmer nicht (mehr) benötigt.

Jetzt brauchen wir nur noch zu klären, wie das Training zu gestalten ist. Diese letzte Hürde ist gar nicht so hoch, wenn wir sie flach legen und das Training durchfuhren lassen:

- von fremden Kräften, die in jedem Falle besser sind, weil wir nur ihre Honorare, nicht aber ihre Fähigkeiten kennen und sie unsere Belange nicht wie eigene zu vertreten brauchen,

- von eigenen Lehrkräften, sofern wir sicher sein können, daß sie wenig Ahnung und Talent und noch weniger Zeit und Lust dazu haben;

- in fremden Räumen, wenn die Verkehrsverbindungen ausreichend ungünstig sind und das Freizeitangebot der Veranstaltungsorte gegen null tendiert,

- in eigenen Räumen, sofern sie nachweisbar ungemütlich und unzureichend ausgestattet sind, aber dafür jederzeit den telefonischen sowie körperlichen Zugriff auf den von der Arbeit abgezogenen Trainee gewährleisten.

Ist dies schon Tollheit oder hat es auch Methode? Wohl beides. Natürlich habe ich schamlos übertrieben, um das Problem zu verdeutlichen. Aber ehrlich, wie oft geschieht nicht folgendes: Wir in der zuständigen Abteilung warten ab, bis uns der Zufall überrascht oder ein akuter Anlaß uns zum Handeln zwingt, statt den Trainingsbedarf anhand der Anforderungen unserer Kunden für jeden einzelnen Arbeitsplatz zu ermitteln. Wir nehmen, was geboten wird, oder überlassen es dem Betroffenen, sich um sein Training selbst zu kümmern, statt eine sorgfältige Auswahl zu treffen. Wir melden wahllos und auf Verdacht zum Training an, ohne vorher Nutzen, Notwendigkeit oder Machbarkeit zu prüfen.

Die Trainees ignorieren oder verlegen die Bestätigung, statt sich spätestens jetzt ernsthaft Gedanken über die Teilnahme zu machen und noch rechtzeitig absagen oder sich auf das Training vorbereiten zu können.

Sie lassen sich eigens zur Teilnahme auffordern, demonstrieren durch regelmäßiges Zuspätkommen und vorzeitiges Gehen Gleichgültigkeit oder schützen durch Fernbleiben Arbeitsüberlastung vor, statt sich redlich zu bemühen, das Training für alle Beteiligten zu einem Erfolg werden zu lassen.

Wenn überhaupt, geben sie nur lustlos nichtssagende Beurteilungen ab, statt durch ehrliche Kritik und brauchbare Anregungen dafür zu sorgen, daß Programm und Durchführung verbessert und den sich ändernden Bedürfnissen angepaßt werden.

Wohin führt es, wenn wir Training ernst nehmen? Zu dem, was Training eigentlich ist: Nicht die willkommene oder lästige Unterbrechung der Arbeit, um sich auf Kosten der Firma und anderer Trainees zu amüsieren oder widerwillig abrichten zu lassen, sondern das planmäßige Durchführen eines Programmes von vielfältigen Übungen, um - durch freiwilliges Engagement und nicht ohne Spaß - das Wissen zu erweitern und die Leistungsfähigkeit zu steigern.