Mannesmann will weiter in Richtung Informations- und Kommunikationstechnik diversifizieren:

"Viele sind vom Markt verschwunden, weil sie den Sprung in die Elektronik nicht geschafft haben"

03.05.1985

Mit Franz-Josef Weisweiler, dem Vorstandsvorsitzenden der Mannesmann AG, sprach CW-Redakteurin Helga Biesel

- Herr Weisweiler, Mannesmann scheint auf dem Weg zur weiteren Diversifizierung. Die Investition in das kleine, feine, aber notleidene Unternehmen Kienzle hat sich offenbar bereits gelohnt. Das heutige Tochterunternehmen Mannesmann Kienzle ist wieder in den schwarzen Zahlen. Inwieweit zahlt sich darüber hinaus die für Sie doch relativ neue informationstechnische Verwandtschaft für den Anlagenbauer Mannesmann aus? Wo ist in erster Linie der Synergie-Effekt?

WEISWEILER: Wir sind ja nicht nur Anlagenbauer. Wir sind Hersteller von Investitionsgütern. Wir bauen Anlagen, machen Engineering und stellen Standardmaschinen her. Mit anderen Worten: ein Original Equipment Manufacturer, ein OEM. Wir bauen aber auch selber. Ihre Frage ist damit zum Teil beantwortet. Unsere Idee, bei Kienzle einzusteigen, war die, daß wir Zugang zu einem Wachstumsmarkt bekommen wollen. Unser Portfolio war in den Wachstumsbereichen zu schwach vertreten. Die Kommunikationstechnik ist nun mal ein Wachstumsmarkt. Wie paßt sie nun zu uns? Ein Unternehmen, das so viele moderne Produkte mit hoher Technologie herstellt, braucht meiner Meinung nach die Elektronik-Branche in seinen eigenen Reihen.

- Das erscheint zwingend. Worin liegt der wesentliche Vorteil?

WEISWEILER: Was wir brauchen, ist eine eigene Entwicklung im Hause, die an der Quelle der Elektronik sitzt. Diese soll über den Quer-Know-how-Transfer die anderen Bereiche befruchten. Das ist nicht quantifizierbar. Aber wie viele Unternehmen bzw. Produkte sind vom Markt verschwunden, weil sie nicht rechtzeitig den Sprung in die Elektronik geschafft haben.

- Also ist das für Sie eine Conditio sine qua non?

WEISWEILER: Bei unserem Produktionsprogramm - ja; wenn wir nur Stahl- oder Röhrenhersteller wären - nein. Das ist aber ein Nebengrund. Der erste Grund ist der, daß wir versuchen wollen, mit Kienzle selber in diesem Markt zu wachsen. Wir wollen uns damit Umsatz und Vertragspotential schaffen. Das heißt im Klartext: Wir werden noch die eine oder andere Ergänzung suchen, um in dem Markt für Informationstechnik breiter tätig zu werden. Wir sind mit dem Konzept noch nicht am Ende.

- Wie sieht Ihre mittel- und langfristige Strategie, speziell im Hinblick auf den Vertrieb aus? Kienzle ist ja weltweit mit seinen Produkten noch nicht nennenswert auf den Markt gegangen. Hier könnte der Mannesmann-Effekt für Kienzle sehr zum Tragen kommen.

WEISWEILER: Schrittweise, ja. Wir haben erstmal zwei bis drei Jahre gebraucht, um Kienzle zu stabilisieren. An eine Expansion war bisher wenig zu denken. Noch in diesem Jahr aber wollen wir unsere Position auf den europäischen Märkten verbessern, schwerpunktmäßig in England und Frankreich.

- Haben Sie einen Sektor, von dem Sie sagen, hier haben wir realisierbare Chancen, auch gegen starke internationale Konkurrenz interessante Marktanteile zu gewinnen?

WEISWEILER: Das haben wir auf einigen europäischen Märkten. Zum Beispiel Skandinavien und England.

- Mit welchem Produkt?

WEISWEILER: Wir rechnen momentan nur mit der Datenverarbeitung. Bei den Datenerfassungsgeräten sieht das ganz anders aus. Ich glaube, daß wir dort in Ostasien große Chancen haben. Es dürfte keine größeren Schwierigkeiten geben, außer mit der gewohnten Konkurrenz der Japaner.

- In welchem Maße ist die gesamte Mannesmann-Vertriebs-Crew gehalten, ihre komplexe Produktpalette mit Kienzle-Equipment zu versehen? Gibt es Kienzle gegenüber interne Abnahme-Verpflichtungen oder Empfehlungen?

WEISWEILER: Eine Mannesmann-Vertriebs-Crew gibt es eigentlich gar nicht. Wir haben mehrere Vertriebsmannschaften, wie zum Beispiel die der Demag etc.; außerdem haben wir unsere Vertriebsorganisation im Ausland. Diese ist weltweit vertreten und läuft je nach Zweckmäßigkeit. In den freien Märkten empfiehlt sich keine Zusammenfassung. Aber wir können zum Beispiel Kontakte herstellen, und wenn wir in der Anfangsphase Verluste machen, dann können wir das gegen die Ergebnisse der anderen halbieren. Es gibt bei uns keine Abnahme-Verpflichtungen, aber es gibt Empfehlungen! Alles andere würde uns zu starr, zu unflexibel machen. Wenn wir eine komplette Anlage liefern, prüfen wir, ob Kienzle in Frage kommt. Wenn der Kunde andere Vorstellungen hat, gehen wir natürlich auch darauf ein.

- Gibt es eine Bindung von Mannesmann an einen anderen großen deutschen Hersteller?

WEISWEILER: Bei der Automation, ja; in der Prozeßautomation arbeiten wir mit Siemens zusammen. Die Prozeßrechnung von Siemens wird mit angeboten.

- Im Gespräch ist auch der Einkauf in andere High-Tech-Unternehmen. Damit könnte sich dann die angestrebte ernst zu nehmende innerdeutsche Konkurrenz im IUK-Sektor ergeben, zurn Beispiel für Nixdorf. Welche Unternehmensform wird langfristig stabiler sein, ein diversifiziertes Unternehmen, wie Mannesmann, oder ein stark spezialisiertes Unternehmen?

WEISWEILER: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Ich sehe Mannesmann und Nixdorf beispielsweise zwar als konkurrierende Unternehmen, aber nicht als konkurrierende Unternehmensformen. Nixdorf ist ein Einzweckunternehmen. Solange, wie Nixdorf dieses Wachstum und diese Markterschließung aus eigener Kraft schaffen kann, wird sich für ihn nicht die Notwendigkeit stellen, sich mit einem größeren zu verbinden. Wir sind eine Unternehmensgruppe. Wir schaffen einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Konjunkturzyklen. Die Technik verläuft nach ganz anderen Kriterien. Wir haben auch einen strukturellen Ausgleich. Das schließt nicht aus, daß einige Unternehmensgruppen eine starke Position in ihrer Branche haben. Ich würde sagen Kienzle ist bei uns die Ausnahme: Die Röhrenwerke sind der größte Hersteller der Welt; die Hydraulikgruppe ist der zweitgrößte Hydraulikhersteller; die Demag ist in verschiedenen Produktbereichen Marktführer etc. Nur Kienzle ist in seiner Branche klein. Das soll aber nach unseren Vorstellungen nicht so bleiben.

- Kann man sagen, daß nur in der EDV-Branche, die ja noch sehr stark wächst, die Unternehmen es sich leisten können, auf einem Bein zu stehen, während ein so viel älteres Unternehmen wie Mannesmann sich immer wieder neue Ecksäulen zulegen muß?

WEISWEILER: Wir haben vor hundert Jahren mit Röhren angefangen. Ob die EDV-Hersteller in hundert Jahren auch nur noch EDV herstellen, ist unwahrscheinlich. Die Frage ist richtig heute nicht zu beantworten. Für uns hat sich die Notwendigkeit der Diversifikation ergeben weil unser altes Stammprodukt nicht mehr genügend wächst.

Mit einer "politisch gemeinten Äußerung" hatte die Mannesmann AG zu Beginn der Hannover-Messe auf ihre Kapitalkraft aufmerksam gemacht. Das Unternehmen präsentierte sich wieder einmal auf Freiersfüßen. Die Braut: Die durch Erbauseinandersetzungen ins Gerede gekommene vielseitige High-Tech-Dame Dornier. Zwar zog die Konzernleitung aus Düsseldorf vor Ort in Stuttgart beim baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth ihren Antrag zurück, doch scheint die Übernahme von Anteilen (68 Prozent) durch Daimler Benz und das Land Baden Württemberg (4 Prozent) noch nicht ganz gesichert, denn Claudius Dornier, erklärte sich mit der von Lothar Späth favorisierten und verkündeten Lösung nicht einverstanden. Nocheinmal eine Chance für Mannesmann?