OSI-Konformität hat Vorrang vor Eigenentwicklungen:

Viele neue Fische im Deutschen Forschungsnetz

27.06.1986

BERLIN (sch) - Seit seiner Gründung im Jahre 1984 sehr herausgemacht hat sich der Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN). So ist gegenüber der Startphase die Mitgliederzahl dieser Selbsthilfeorganisation der Wissenschaft um das Neunfache gestiegen. Im gleichen Zuge konnten auf dem Sektor der benötigten Kommunikationssoftware diverse Innovationen eingeführt werden.

Rechnerverbindungen stehen beim DFN-Verein ganz im Zeichen der OSI-Netzphilosophie (OSI: Open Systems Interconnection). Zum einen "sponsert" er etablierte Standards, indem die entsprechenden Hersteller -, aber auch DFN-Produkte in dem neuen Forschungsnetz bevorzugt eingesetzt werden. Zu diesen Angeboten zählt beispielsweise der MVS-Pad für X.25.

In zweiter Linie arbeitet die Organisation mit der Industrie bei der Festlegung und Erprobung von internationalen Standards wie dem Protokoll X.400 des Message-Handling-Systems (MHS) zusammen. In Fällen, wo noch keine Einigung auf internationaler Ebene stattgefunden hat, sich aber ein Anwenderbedarf deutlich abzeichnet, versucht der vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) bezuschußte Verein, auf eigene Faust Kommunikationssoftware zu entwickeln. Nach den Worten von DFN-Verwaltungsvorsitzendem Norbert Szyperski "kann man manchmal eben nicht warten".

Beispiele für neue Schnittstellen sind der Dialog und der File-Transfer auf dem Betriebssystem Unix sowie der File-Transfer und Remote-Job-Entry auf dem Betriebssystem RSX 11 der Firma Digital Equipment GmbH. Aktivitäten setzte der DFN-Verein auch im Hinblick auf grafische Kommunikationslinks und Gateways zu LANs sowie anderen Netzen in Gang, wobei die ISO-Transportklasse 4 mit ins "Kalkül" gezogen wird. In Vorbereitung oder in der Pilotphase befinden sich "Brückenschläge" zwischen dem DFN und Decnet, dem Betriebssystem Unix und Ethernet sowie Interfaces für eine Verbindung des Deutschen Forschungsnetzes an weitere Netze wie Csnet und Eunet. Als bis dato noch nicht näher definierte Wahlmöglichkeit soll langfristig gesehen übrigens auch eine ISDN-Ankopplungsmöglichkeit zur Verfügung stehen.

Im Zusammenhang mit den bereits realisierten oder noch geplanten Softwareentwicklungen betonen die DFN-Verantwortlichen schließlich, daß die nicht OSI-konformen Lösungen wieder unter den Tisch fallen, sobald die entsprechenden Normen vorhanden wären. So warte man derzeit beispielsweise auf das Protokoll File Transfer Access and Manipulation (FTAM).

In diesem Monat kann der Verein mit insgesamt 95 Mitgliedern aufwarten, darunter 17 Wirtschaftsunternehmen, 22 Großforschungseinrichtungen und 56 Universitäten. Neben dem Anwachsen der Mitgliederzahl ist ein beachtlicher Anstieg der angeschlossenen Computer zu

verzeichnen. Im Januar lag die Zahl der Rechner bei rund 30, inzwischen hängen aber schon 100 Einheiten mit einem Datenaustauschvolumen von drei Gigabyte pro Monat in dem Datex-P-Netz. Zu den vertretenen Betriebssystemen gehören unter anderem VM, VMS, NOS/BE sowie NOS/ VE, BS3000 sowie Unix.

Durch seine X.25- und OSI-Anhängerschaft glaubt der DFN-Verein auf lange Sicht, gut neben dem bereits etablierten Earn-Netz bestehen zu können. Im Moment bekommen die Berliner Koordinatoren dieses Kommunikationsangebots jedoch noch den Zeitvorsprung von Earn zu spüren. Dazu meint DFN-Projektleiter Wulf Bauerfeld: "Ein Earn-Nutzer kann relativ schnell auch auf manchen Nicht-IBM-Anlagen die Dienste dieses Netzes in Anspruch nehmen. Demgegenüber steht OSI als moderne Welt mit größerer Funktionalität, aber mit noch teilweise nicht angeschlossenen Standards, die auch im Rahmen von DFN noch in der Entwicklung sind." Die OSI-Architektur habe einfach noch nicht "diese Stabilität und diese Vielfalt" erreicht.

Zu ähnlichen Schlüssen wie Bauerfeld kommt auch Peter Holleczek, Leiter der Abteilung Kommunikationssysteme an der Universität Erlangen, die ein eigenes Netz und zwei Großrechner mit DFN- und Earn-Anschluß betreibt. Da der DFN-Verein verstärkt an Diensten für die Bereiche File-Transfer und Remote-Job-Entry, die zunächst eine Domäne von Earn gewesen seien, arbeite, hole das Deutsche Forschungsnetz jedoch immer mehr auf. Es gebe aber gute Gründe dafür, nur noch auf einen Informationsservice zu setzen: "Beide Netze müssen ja verwaltet werden. Und bei Earn ist dies aufgrund der herkömmlichen Technik und des Führens von Knotenlisten innerhalb der Rechner leider ziemlich personalintensiv".