Interview

Viele Firmen bleiben im Status eines Ingenieurbüros

20.12.1996

CW: Laut einer Untersuchung machen sich nur etwa ein Prozent der Hochschulabsolventen selbständig. Woran liegt das?

Theis: Weil keinem jungen Menschen gesagt und beigebracht wird, daß Unternehmer ein erstrebenswerter Beruf ist.

CW: Sind die Hochschulen schuld, daß zu wenige Abgänger den Weg in die Selbständigkeit wagen?

Theis: An den Hochschulen allein liegt es sicher nicht, es geht ganz allgemein um das Verständnis unserer Gesellschaft, die davon ausgeht, daß Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden und daß man sich darum nicht zu kümmern braucht.

CW: Können Professoren, also Beamte auf Lebenszeit, die das Wort Risiko nicht kennen, Studenten auf die Selbständigkeit vorbereiten?

Theis: Amtsträger und Professoren, von denen viele nie einen Betrieb von innen gesehen haben, bringen kaum Kompetenz zu diesem Thema mit, die sie weitergeben könnten. Ich glaube auch nicht, daß die Universitäten wirklich begriffen haben, daß sie die meisten Studenten nicht für die Wissenschaft ausbilden, sondern für den Beruf.

CW: Sieht es an den Fachhochschulen besser aus?

Theis: Durch die stärkere Praxisorientierung ist dort auch die Bereitschaft der Absolventen größer, sich selbständig zu machen. Mit Praxissemester und Diplomarbeit schafft sich der Student oft selbst den zukünftigen Arbeitsplatz. Die Uniabsolventen dagegen beschäftigen sich fünf bis sieben Jahre mit der Theorie und gehen dann in einen Betrieb, ohne zu wissen, wie es dort aussieht. Die Folge: Der Betrieb muß sie nochmals ausbilden.

CW: Was ist zu tun?

Theis: Man muß den Berufseinsteigern die Wahrheit sagen. Sie müssen sich künftig mehr um ihre berufliche Zukunft bemühen als es früher der Fall war. Ich schätze, daß jeder vierte Hochschulabgänger sich seinen Arbeitsplatz selbst schaffen muß.

CW: Die Realität sieht aber anders aus.

Theis: Nach Untersuchungen will die Hälfte der Berufseinsteiger zum Staat, und weitere 30 Prozent träumen von einer Karriere in einem Konzern. Von einem Großunternehmen weiß ich, daß sich auf eine Stelle als Produkt-Manager 1200 Kandidaten bewarben. Wenn ich als Mittelständler eine Position ausschreibe, muß ich froh sein, wenn sich 30 Interessenten melden.

CW: Das Image des kleinen Unternehmers liegt demnach im argen.

Theis: Es ist leider noch nicht sozial akzeptiert, daß jemand den Schritt in die Selbständigkeit wagt, es ist noch immer schicker zu erzählen, daß man bei einer Großbank oder einem Elektrokonzern arbeitet, einen Dienstwagen fährt und stolz über die Pensionsberechtigung ist, die man nach fünf Dienstjahren bereits erworben hat.

CW: Die USA gelten als das gelobte Land der Jungunternehmer. Wo sehen Sie den Unterschied zu Deutschland, was die Einstellung der Absolventen betrifft?

Theis: In den USA können sich viele Studenten vorstellen, als Selbständiger zu beginnen. Das ist oft die erste Überlegung nach dem Studium, während hier der Posten des Regierungsdirektors als erstrebenswert gilt. Hinzu kommt, daß in Amerika der Unternehmer ein positives Image hat.

CW: Wie bewerten Sie die Chancen für Gründungen im IT-Umfeld?

Theis: Was in Deutschland fehlt, ist das Risikokapital und die Gründer. Ideen haben wir genug. Die meisten Firmen bleiben im Status eines Ingenieurbüros. Sie schaffen nicht den Sprung zu einem größeren Unternehmen, weil sie zum einen zu vorsichtig und ängstlich sind und zum anderen Kapital nicht zu vernünftigen Konditionen zur Verfügung gestellt wird - wegen der fehlenden Rahmenbedingungen. Der Risikokapitalmarkt existiert bei weitem nicht in der Form wie beispielsweise in den USA oder auch in Großbritannien und Israel.

CW: Venture-Capital-Firmen werfen den Deutschen vor, daß sie sich nicht gerne in die Karten schauen lassen.

Theis: Die deutschen Unternehmer müssen lernen zu teilen. Wenn jemand Risiko mitträgt und Know-how einbringt, muß man ihn mitreden und mitverdienen lassen. Der Deutsche meint immer - im Gegensatz zum Amerikaner -, sein Unternehmen vererben zu müssen, und vergißt, daß das bei den schnellen Innovationszyklen kaum noch geht. Der Unternehmer hierzulande glaubt, er könne alles, und meint deshalb, alles selber machen zu müssen.