Nur praxisorientierte Schulung hilft IT-Experten weiter

Viele DV-Profis sind nicht fit in Objekttechnik

28.06.1996

Die höchste Hürde bei der Einführung einer neuen Technologie stellt oft die Akzeptanz des Neuen bei den meist traditionell ausgebildeten Mitarbeitern dar. Unternehmen, die vom Einsatz der Objekttechnologie profitieren wollen, stehen vor dem Problem, nicht über das hierfür notwendige Know-how zu verfügen.

Ohne externe Hilfe geht es nicht

Ist erst einmal der Entschluß zum Einsatz der Objekttechnologie gefaßt, sei es in einem umfangreichen Programmierprojekt oder für ein Business Process Re-Engineering, so kommen Unternehmen derzeit nicht ohne externe Experten auf diesem Gebiet aus. Sie sollen das nötige Spezialwissen mitbringen und an die eigenen Mitarbeiter vermitteln, um ein Projekt erfolgreich zu realisieren.

Das führt unausweichlich zum direkten Aufeinandertreffen der traditionellen Denkweise erfahrener Mitarbeiter mit der oftmals als fremdartig empfundenen objektorientierten Welt der herangeholten Experten. Von der Bewältigung dieses Konfliktes hängt der Erfolg eines Projektes maßgeblich ab.

Als größte Schwierigkeit bei kommerziellen Projekten hat es sich parallel zur Einführung der neuen Technologie immer wieder herausgestellt, die Mitarbeiter des Auftraggebers an die objektorientierten Prinzipien zu gewöhnen, meint Rainer Burkhardt. Sein Unternehmen, die Firma Owis - Gesellschaft für objektorientierte und wissensbasierte Systeme mbH in Martinroda, führt gerade ein umfangreiches und komplexes Projekt im Finanzsektor durch. Dabei zeigte sich, daß trotz der gewohnten Vorbehalte mit praxisnaher Einführung der Objekttechnologie der gewünschte Erfolg durchaus erreichbar ist.

Den Rahmen stellen ein streng entlang der Zeitachse strukturiertes und projektbezogenes Vorgehensmodell sowie bekannte und eigene objektorientierte Modellierungsmethoden dar. Die von Owis eingesetzte Prozeßmodellierung orientiert sich an den Dienstleistungen, die der Auftraggeber erbringen muß.

Die Owis-Mitarbeiter trafen im aktuellen Projekt auf ein Team, dessen Mitglieder alle über eine gute Ausbildung und angeeignetes Praxis-Know-how im Geschäftsfeld des Unternehmens verfügten. Die Programmierkenntnisse gingen aber über Cobol oder Assembler nicht hinaus. Die Mitarbeiter hatten sich ausschließlich freiwillig auf eine unternehmensinterne Ausschreibung gemeldet und dabei ihre Lernbereitschaft betont.

Die Aufgabe von Owis bestand zunächst darin, die dem prozeduralen und ablauforientierten Denken sehr stark verhafteten DV- Mitarbeiter in die ereignisorientierte Welt der Objekttechnologie einzuführen. Dabei sollten die objektorientierte Modellierung und, motiviert durch ein teilweise unglücklich verlaufenes Vorprojekt, die Aspekte Remodellierung und Redesign besondere Betonung finden. Gleichzeitig mußten die Mitarbeiter den Wechsel von einer objektorientierten Programmiersprache (Smalltalk) zu einer anderen (C++) vollziehen.

Es stellte sich heraus, daß letzteres ohne große Schwierigkeiten als Neuanfang verstanden und akzeptiert wurde. Die darüber hinausgehende wesentlich gravierendere Änderung im Vorgehen, in besonderer Weise die Motivation zur objektorientierten Modellierung, war den traditionellen Programmierern weit schwieriger zu vermitteln. Hierzu führten die Thüringer ein umfangreiches Schulungsprogramm mit einem Aufwand von insgesamt 250 Personentagen durch.

Die Owis-Experten vermittelten allen am Projektteam beteiligten internen Mitarbeitern neben einem Grundkurs zu Betriebssystemen und den Feinheiten der entsprechenden Programmier-Schnittstelle insbesondere das Wissen, das sie brauchten, um die Anforderungen der Fachbereiche bei der Modellierung zu erfüllen. Sämtliche Schulungen fanden vor Ort in den Räumen des Projektteams statt, ferner konnten dessen Mitglieder die Umsetzung ihrer neuen Kenntnisse direkt an realen Beispielen aus ihrem Unternehmen üben.

Diese praxisnahe Vermittlung des benötigten Wissens bildete den Schlüssel zum Erfolg. Hierdurch gelang es, den doch sehr verfestigten prozeduralen Denkansatz trotz anfänglicher Skepsis der Lernenden durch das ereignisorientierte Konzept der Objekttechnologie zu ersetzen. Als störend wurde von einigen Mitarbeitern lediglich empfunden, daß sie sich auf das Neue nicht ausreichend konzentrieren konnten, da sie mit einem Bein noch im "Altgeschäft" standen.

Beide Seiten mußten voneinander lernen

Dem Fach-Know-how in der Objekttechnologie der Owis-Mitarbeiter stand das überlegene Wissen der Beschäftigten des Finanzdienstleiters bezüglich der Geschäftsbereiche und -abläufe gegenüber.

Das gegenseitige Lernen zwischen Objektspezialisten und erfahrenen Firmenmitarbeitern war mit erhöhten Anforderungen an die Ausbilder verbunden. Diese müssen bei einem solchen Vorgehen bereits während der Schulung auf einem Gebiet operieren, das ihnen erst nach und nach bekannt wird. Der Ausbilder muß somit bei Beispielen zum gewählten Fachgebiet darauf achten, daß die Gruppe die Aufgaben weitestgehend selbständig erarbeitet.

*Jörg Reinsmann ist freier Fachjournalist in Meppen.