Viele DV-Abteilungen suchen noch nach ihrer neuen Rolle

05.08.1994

Andrea Baukrowitz

Baukrowitz & Boes, Forschung und Beratung, Marburg

Die Abloesung des Grossrechners stellt das traditionelle Selbstverstaendnis und die Aufgaben vieler DV-Abteilungen in Frage. Verantwortlich dafuer sind weniger die technischen Innovationen. Wesentlich ist vielmehr die radikale Veraenderung des Verhaeltnisses des Computers zu seinem sozialen Umfeld. Hier muss das Umdenken ansetzen.

Bisher konnte man das Verhaeltnis von Software zur sozialen Realitaet als genau geregelt betrachten. Hier die Software mit ihren formalen Strukturen. Dort die chaotische Realitaet, die man gerne aus der Software-Entwicklung heraushalten moechte. Zwischen beiden eine berechenbare, abgrenzende und vermittelnde Schnittstelle. Dies wird von IT-Fachkraeften im allgemeinen als sehr praktisch angesehen: Die Entwicklungssituation ist durch eine klar strukturierte Abgrenzung zwischen Software und ihrem Einsatz gekennzeichnet. Informatiker und Informatikerinnen konnten sich also mehr oder weniger begruendet hinter die Grenzen der formalen Welt zurueckziehen, die bei aller Komplexitaet doch sehr viel weniger Probleme aufzuwerfen scheint als reale Verhaeltnisse.

Mit der Einfuehrung von modernen Software-Architekturen und Objekten wird diese Trennwand durchloechert. Objekte werden immer kleiner, die Grenzen, in denen formale Strukturen entwickelt werden koennen, immer enger. Komplexer und unschaerfer aber werden die Aussenbeziehungen der Objekte, die Verhaeltnisse der Software zum Menschen und zur sozialen Realitaet. Fuer die Arbeit der DV- Abteilungen in den Unternehmen bedeutet dies, dass Informationssysteme nur noch im Kontext einer Neugestaltung von Arbeit in den Anwenderabteilungen entwickelt werden koennen. Individuelle Arbeitsaufgaben und die Kooperationsbeziehungen der Anwender muessen gemeinsam mit der Funktionalitaet des Informationssystems neu gestaltet werden.

Damit verbunden ist eine neue Qualitaet von Verantwortlichkeit der DV-Abteilungen und der IT-Fachkraefte. Sie gestalten nicht nur die Software, sondern das Verhaeltnis von Software und Mensch.

In neuer Form ist nicht nur oekonomische Effizienz, sondern auch die sozialvertraegliche Gestaltung von Arbeitskraeften von ihrem Tun abhaengig. Gegenueber diesen Anforderungen verhalten sich viele IT- Fachkraefte und ganze DV-Abteilungen zurueckhaltend. Sie versuchen, an alten Vorstellungen der Rechenzentrumsarbeit festzuhalten. Das Resultat: In vielen anwendernahen IT-Fragen uebernehmen die Anwenderabteilungen die Federfuehrung. Die DV-Abteilungen werden von nicht wenigen strategischen Aufgaben ausgeschlossen.

Die Grundlage der Positionssicherung der DV-Abteilungen kann nur in einer strategischen Neuausrichtung bestehen. Die Entwicklung von Informationssystemen muss als Aufgabe der Arbeitsgestaltung bestimmt und aktiv in die Innovationsprozesse des Unternehmens eingeordnet werden. Dies gelingt allerdings nur, wenn die notwendigen Kompetenzen in der DV-Abteilung vorhanden sind:

1. IT-Fachkraefte muessen ueber die Faehigkeit verfuegen, Programmcode zu erzeugen und mit der Hardware umzugehen. Das Programmieren muss methodisch strukturiert werden, um die zunehmende Komplexitaet der Programme bewaeltigen zu koennen. Die Faehigkeit des Programmierens ist also systematisch in die der Datenmodellierung und Funktionsstrukturierung einzubetten.

2. Das systematische Software-Engineering zielt ins Leere, wenn es nicht mit einer kompetenten Bestimmung von Gestaltungsanforderungen an Software verbunden ist. Da diese nicht offen und eindeutig vorliegen, muessen sie erst entwickelt werden. Handlungskompetenz bedeutet unter diesen Umstaenden, konstruktiv in die Neugestaltung des jeweiligen Arbeitsprozesses einzugreifen.

3. Die Arbeitsgestaltung mit ihren Problemen der Anforderungsdefinition, der Umsetzung der Anforderungen in Daten- und Funktionsmodelle, der Programmierung und Implementierung bildet einen komplizierten Erkenntnis- und Entwicklungsprozess. Evolutionaere Entwicklungsprozesse und die Kooperation mit Anwendern kennzeichnen die Software-Entwicklung, deren Bewaeltigung und Steuerung besonderer Faehigkeiten bedarf. Arbeitsgestaltung muss deshalb eingebettet sein in die Faehigkeiten zur Kooperation und bewussten Steuerung von Prozessen.

4. Um diese Teilaspekte aufeinander zu beziehen und projektbezogen neu formulieren zu koennen, benoetigen IT-Fachkraefte Orientierungswissen ueber das Wesen von Arbeit und die Verortung von Software in Arbeitsprozessen. Nur mit diesem Wissen koennen sie den Charakter eines Projekts erfassen und sich gegenueber allen Anforderungen als kompetent erweisen. DV-Abteilungen mit derart qualifizierten Mitarbeitern werden in der Lage sein, eine aktive Rolle in den Innovationsprozessen der Unternehmen einzunehmen. Ohne eine strategische Personalentwicklung ist der drohende Bedeutungsverlust nicht aufzuhalten.