Viele Banken lernen abzugeben

Viele Banken lernen abzugeben

23.11.2007
<Verlegerpublikation>Bei den deutschen Banken ist die Fertigungstiefe mit rund 70 Prozent nach wie vor sehr hoch. Sie wird sich in den nächsten Jahren aber stark verringern. Gründe sind der enorme Kostendruck und der starke Wettbewerb durch ausländische Banken und Direktbanken. Die Einstellung auf neue Spielregeln wie MiFID und SEPA fordert die IT-Mitarbeiter.

Der Bankensektor in Deutschland befindet sich weiter im Umbruch. Eine schwierige Ertragslage und der Kostendruck prägen das Bankgeschäft. „Steigender Konsolidierungsdruck und rückläufige Erträge“, konstatiert Joachim Benner, Analyst bei IDC. Die zunehmende Globalisierung führt zu weiteren Fusionen im Finanzsektor. Rechtliche Bedingungen erleichtern ausländischen Firmen zudem, in Zukunft leichter in Deutschland tätig zu werden.

Direktbanken mit fortschrittlicher IT und schlanken Kostenstrukturen machen den Filialbanken das Leben schwer und nehmen den traditionellen Playern Marktanteile ab. Die Unternehmen stehen deswegen unter dem Druck, ihre Kosten weiter zu senken. Doch die Banken haben inzwischen auch gelernt, Teile ihrer Aufgaben nach außen abzugeben. „Viele Banken werden sich in Zukunft stärker auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, um die Effizienz und die Gewinne zu steigern“, sagt IDC-Mann Benner. Immer mehr spezialisierte Dienstleister kümmern sich inzwischen auf Wunsch um die Banken-IT.

„Die Anpassung der Bankenstrukturen an die geänderten Rahmenbedingungen geht mit einer zunehmenden Auslagerung von Prozessen einher, die immer mehr auch die Kernkompetenzen betrifft“, sagt Dr. Torsten Eistert, Head of Business Consulting der GFT Technologies AG. Nicht nur Outsourcing und Nearshoring, sondern auch Offshoring sind wichtige Themen bei den Banken. „Anbieter von IT-Dienstleistungen, die über das erforderliche Branchen- und Prozess-Knowhow verfügen, können weitere Marktpotenziale erschließen“, heißt es bei den Marktforschern von IDC.

China, Indien oder Europa? Auf jeden Fall ein wachstumsstarker Bereich. Denn Outsourcing gilt als Patentrezept der Industrie, das schnell Kosten senken soll. Doch trotz aller Prognosen zu Kosteneinsparungen durch Offshore Sourcing in Indien oder anderswo, ist die Situation im Finanzdienstleistungsbereich – wie so oft – komplizierter. „In Deutschland ist man im Vergleich zum angelsächsischen Bereich mit dem Herausgeben von Geschäftsprozessen generell eher zurückhaltend“, meint Benner von IDC.

Banken sahen Outsourcing immer als besonders heikel an. „Denn es sind zum Teil ja auch Konkurrenten, an die man Teile auslagert. Das kommt nicht für alle infrage.“ Doch mittlerweile haben die meisten IT-Leiter verstanden, dass sich viele der automatisierbaren und ertragsschwachen Bankaktivitäten besser und billiger in Kooperation mit Partnern abwickeln lassen. Als Schlüssel zum Erfolg gilt die Optimierung der bankfachlichen Geschäftsprozesse. „Künftig werden verstärkt industrielle Fertigungsprozesse Einzug in die Banken halten. Andere Branchen, etwa die Automobil-, die Industriegüter- und die Elektroindustrie haben dies bereits vor Jahrzehnten vorgemacht und die Herausforderungen mit Bravour gemeistert.
Dort konnten die Produktionskosten aufgrund einer hohen Arbeitsteilung, eines hohen Spezialisierungsgrads und klar definierter Schnittstellen erheblich reduziert werden“, sagt Klaus-Peter Bruns, Vorstand Technik und Sicherheit bei Fiducia, dem größten IT-Dienstleister im genossenschaftlichen Finanzverbund. Doch die zunehmende Industrialisierung der Finanzwelt bedeutet auch erst mal ein Umdenken für die CIOs. Viele Privatbanken haben mittlerweile ihren Zahlungsverkehr an die Postbank ausgegliedert, die als Transaktionsbank dient. Im Oktober hat die Dresdner Bank angekündigt, Teile ihrer IT an externe Dienstleister auszulagern. Der französische Dienstleister Atos Origin wird das Kernbankensystem der Allianz-Tochter mit rund 80 Anwendungen für das Privat- und Firmenkundengeschäft betreuen. 200 IT-Experten der Dresdner Bank wechseln zum Dienstleister.

Neue Regularien und neue Prozesse

Aber auch immer wieder neue rechtliche Regeln verlangen nach neuen Prozessen und fordern die IT-Mitarbeiter der Finanzinstitute. „Aktuelle Regularien in der IT abzubilden gehört gewissermaßen zum Pflichtprogramm“, sagt Frank Mang, Geschäftsführer im Bereich Financial Service beim Beratungsunternehmen Accenture. Viele Institute nehmen neue gesetzliche Regeln auch zum Anlass dafür, größere technologische Innovationen einzuführen. Stichworte waren in
der Vergangenheit Basel II, Regeln gegen Geldwäsche und die International Financial Reporting Standards (IFRS). Aktuell heißen die IT-Aufgaben MiFID zum 1. November sowie SEPA und Einführung der Abgeltungssteuer zum Jahresbeginn 2008.

Die EU-Vorgabe MiFID (Markets in Financial Instruments Directive) soll die Verbraucherrechte stärken und den Kunden mehr Transparenz bescheren. Die Richtlinie zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt führt zu umfangreichen Markt- und Wettbewerbsauswirkungen und setzt kleinere Häuser unter Druck. Denn die Auswirkungen auf die Wertpapierprozesse sind weitreichend. Nahezu jeder Prozessschritt im Wertpapiergeschäft wird durch die Vorgaben berührt. Die Umsetzung, so Bankexperten, zieht sich deswegen durch die gesamte Wertschöpfungskette: beginnend bei den Anforderungen an die Organisation (zum Beispiel Compliance-
Stelle), über die Kundenkommunikation und die Durchführung des Wertpapierhandels bis hin zum erweiterten Reporting.

Die Management- und Technologieberatung BearingPoint sieht infolge der MiFID-Einführung weitreichende Markt- und Wettbewerbsauswirkungen, vor allem für regional oder national tätige Finanzdienstleister und Handelsplätze. Kleinere Player könnten dem Preisdruck der großen und den steigenden Kosten für MiFID-gerechtes Reporting nicht mehr standhalten und würden aus dem Markt gedrängt.

Große Herausforderung: SEPA

Mit dem Projekt Single Euro Payments Area (einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum, SEPA) zum 28. Januar 2008 sollen bargeldlose Zahlungen innerhalb der Teilnehmerländer standardisiert abgewickelt werden, sodass die noch bestehenden Unterschiede zwischen nationalen und grenzüberschreitenden Zahlungen verschwinden. Im Ergebnis werden die europäischen Banken stärker zusammenrücken. Bruns: „Die IT-Infrastrukturen fit für die Anforderungen von SEPA zu machen ist eines der aufwendigsten Projekte in der Geschichte der Finanzbranche.“

Aber auch interne Erfordernisse wie die Erweiterung des Produkt- und Serviceportfolios, Internationalisierung und konzernweite Standardisierung sowie der ungebrochene Fusionstrend, stellen große Anforderungen an die Flexibilität von IT-Prozessen und -Systemen. Für die Entwicklung eines neuen Produkts brauchen die Banken zwei bis drei Monate, für die Integration des neuen Produkts in die IT werden von Sachkennern jedoch sechs bis neun Monate veranschlagt. Kein Wunder, dass die Hälfte der Filialmitarbeiter schon vor zwei Jahren in der Studie „Redefining Core Banking“ von Accenture
und SAP an erster Stelle Prozessverzögerungen infolge der Nutzung von Altsystemen bemängelten.

Fast jede dritte europäische Bank wird bis 2010 ihr Kernbankensystem ersetzen. Der Grund: Die über Jahrzehnte gewachsenen Anwendungen werden zu einer Gefahr für den wirtschaftlichen Erfolg, sie verschlingen bei einigen Instituten die Hälfte des gesamten IT-Budgets. Deutschland hinkt hier hinterher. Viele Banken in Spanien etwa haben bereits in den 90er-Jahren neue Kernbankensysteme eingeführt, die den Bankern eine durchgängige IT-Unterstützung und eine Gesamtsicht auf den Kunden ermöglichen.

Bei der Ablösung der bei Banken immer noch vielfach vorhandenen Legacy-Systeme durch den Einsatz von Kernbankensystemen, die die Bankprozesse durchgängig unterstützen, kommt dem Einsatz von SOA eine immer größere Bedeutung zu.

Foto: Torsten Eistert
Foto: Klaus-Peter Bruns

Dr. Torsten Eistert,
Head of Business
Consulting der
GFT Technologies AG

Klaus-Peter Bruns,
Vorstand Technik und
Sicherheit der Fiducia IT AG