Neukunden lassen sich mit IBMs Mittelstandsrechner kaum gewinnen

Viele AS/400-Softwarehäuser stehen vor dem Aus

26.01.2001

Für die AS/400-Häuser sieht es schlecht aus. Sowohl in Deutschland als auch international müssen die Anbieter Federn lassen. Die schwedische Intentia kommt nicht aus der Verlustzone, die britische JBA wurde im vergangenen Jahr von Geac geschluckt und das einstmals weltweit führende AS/400-Softwarehaus SSA praktisch in letzter Sekunde durch die Investorengruppe Gores Technology vor dem endgültigen Aus gerettet.

"Gehen den AS/400-Anwendern im Mittelstand die Softwarehäuser aus?" fragt sich vor dem Hintergrund dieser Entwicklung nicht nur Hans-Jürgen Friedrich, Mitglied des Vorstandes der AS/400-Benutzervereinigung Common Deutschland. Auch wenn diese Frage angesichts der riesigen Zahl von Softwarefirmen und Anwendungslösungen für die AS/400 bewusst provokant gestellt ist, kumuliert in ihr die um sich greifende Verunsicherung.

Diese Irritation wird noch verstärkt durch das Ausbleiben von Startups aus der AS/400-Community in den neuen Anwendungsfeldern Supply-Chain- und Customer-Relationship-Management, Internet und E-Commerce oder Application-Service-Providing. Selbst die Stärken der Maschine als stabile und sichere Plattform für Java- oder Domino-Anwendungen können offenbar nicht so recht überzeugen. Innovative neue Anwendungen werden für die Linux- oder Windows-Welt entwickelt und erst später auf die AS/400 portiert - wenn überhaupt. Zwar sind heute erst rund 3000 Programme für Linux verfügbar (gegenüber den laut Schätzungen 25000 bis 28000 Softwarepaketen für die AS/400) - doch der Trend weg von dem IBM-Rechner scheint offenkundig.

Das führt zu Besorgnis bei Common-Vorstand Friedrich - insbesondere mit Blick auf die Entwicklung bei den namhaften AS/400-Softwarehäusern in Deutschland. "Für unsere Mitglieder stellt sich die Frage nach der Investitionssicherheit in diesem Bereich und nach hilfreichen Auswahlkriterien bei zukunftsweisenden Entscheidungen hinsichtlich des Softwareeinsatzes im eigenen Unternehmen", so Friedrich. "Dies gilt insbesondere, weil sich IBM zunehmend aus dem Bereich der Anwendungssoftware herauslöst und selbst in Kundenprojekten die jeweils opportune Lösung empfiehlt, ohne selbst Garantien gegen kurzfristige Firmenauflösungen der empfohlenen Softwarehersteller oder gar eine Haftung übernehmen zu können."

Heiß diskutiert wurde diese Thematik auch auf dem letzten User-Treffen des Alsdorfer Softwarehauses AS/point Mitte November. Die aufstrebenden AS/400-Spezialisten mit Fokus auf die Warenwirtschaft hatten dazu Volker Stich eingeladen. Der Geschäftsführer des Forschungsinstitutes für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen legte dar, dass der ERP-Markt in einigen Teilen unter einer strukturellen Schwäche leidet.

Signifikante Hinweise darauf liefert die sorgfältige Analyse des Verhältnisses von Produktalter, Umfang des Neukundengeschäftes und vorhandener Kundenbasis. So teilen sich vier Anbieter 39 Prozent des ERP-Marktes (siehe Kasten). Viele Softwarehäuser haben jahrelang keine neuen Kunden mehr gewonnen.

Zu der Flaute im ERP-Markt gesellen sich zusätzliche Negativentwicklungen, die speziell die Krise der AS/400-Softwarehäuser verschärfen. Dass Global Player des ERP-Marktes wie SAP, Baan, Geac oder QAD mittlerweile die mehr als eine halbe Million AS/400-Anwender weltweit als lukratives Kundenpotenzial entdeckt haben und im Midrange-Markt aktiv geworden sind, verstärkt den Konkurrenzdruck auf die spezialisierten mittelständischen AS/400-Anbieter. In Deutschland sind beispielsweise die Infor AG oder Varial als Newcomer in diesem Markt tätig geworden.

Gleichzeitig hat IBM das Gießkannenprinzip aus der Business-Partner-Charta gestrichen und konzentriert ihre Unterstützung auf die Marktführer - zu Lasten der kleineren Partner. Das ist zwar für die AS/400-Anwender in der Hinsicht positiv, dass führende Anbieter wie Ariba, I2 Technologies oder Siebel Systems die AS/400 mit ihren Produkten unterstützen. Die kleineren AS/400-Spezialisten sehen sich jedoch der gewohnten Hilfestellung durch Big Blue beraubt, was Probleme in Vertrieb und Marketing nach sich zieht - oft mit fatalen Folgen. Dazu kommen spektakuläre Einzelfälle wie der Konkurs des Softwarehauses Westernacher (siehe CW 42/00, Seite 4), die nicht nur auf unternehmerische Fehleinschätzungen zurückzuführen sind, sondern auch auf ungewohnte Verstrickungen im früher fein gesponnenen Beziehungsnetz der IBM hindeuten.

Führungsschwäche beziehungsweise Querelen im Vorstand nach Fusionen und Übernahmen sind gerade bei wachstumsstarken Firmen häufig zu beobachten. Brain kann nach der Fusion von Rembold + Holzer mit BIW als Beispiel par excellence gelten; die hochfliegenden Expansionspläne mussten zurückgenommen werden, das Kapital aus dem Börsengang ist verbrannt, und die Gründer haben ihren Einfluss auf Firmen- und Produktstrategie weitgehend an die Banker verloren.

Neben solche hausgemachten Probleme tritt ein weiteres: Gerade die AS/400-Häuser zählen zur ersten Welle der Software-Startups in den 70er, Anfang der 80er Jahre, deren Gründer nun allmählich in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Fehlt dann in der Familie der Nachfolger, bietet sich neben dem Börsengang als Alternative ein Firmenverkauf an einen geeigneten Partner an. Die Stuttgarter Heinrich & Partner GmbH beispielsweise, die an die m+s Elektronik AG veräußert wurde, lässt sich ebenso wie seinerzeit die heutige SAP-Tochter Steeb in diese Kategorie einordnen.

Projektgeschäft ist in der Flaute

Sind es nicht Führungsprobleme oder die Flaute im ERP-Markt, so haben AS/400-Häuser derzeit in der Regel unter ihrem Systemhaus-Charakter zu leiden. Sie treten meistens als Komplettanbieter in DV-Fragen für eine Region oder eine Branche auf und liefern auch die Hardware und die Netzwerktechnik mit, installieren und betreuen sie. Gerade beim Projektgeschäft klafft eine durch das Jahr 2000 Problem bedingte Lücke, da viele Großprojekte auf diesen Stichtag hin geplant wurden. Nachfolgeprojekte laufen zwar jetzt allmählich an, bringen jedoch erst mit erfolgreichem Projektfortschritt Geld ein.

So auch bei der Soft M AG als Nummer zwei unter Deutschlands AS/400-Häusern, die zuletzt einen Umsatzeinbruch auf voraussichtlich 90 Millionen Mark im Jahr 2000 vermelden musste. Als Ursache führt Vorstandssprecher Hannes Merten das unerwartet schwache Hardwaregeschäft an, das in den ersten neun Monaten mit 18,6 Millionen Mark weit hinter den Planungen zurückblieb. 1999 hatte das Systemgeschäft noch knapp die Hälfte des Gesamtumsatzes ausgemacht. Im abgelaufenen Geschäftsjahr kamen zur Nachfrageschwäche auch noch überraschende Lieferschwierigkeiten der IBM hinzu. "Die Nachfrage nach ERP-Software hat sich inzwischen belebt, wird jedoch immer noch von langen Entscheidungszeiten beeinträchtigt", blickt Merten verhalten optimistisch nach vorn. Erfolgreich abgeschlossene Verträge würden auch deshalb zum Großteil erst im Jahr 2001 umsatzwirksam. Um in Zukunft bestehen zu können, wird das Softwarehaus seine ERP-Software auch auf Windows NT und Linux anbieten. So soll das künftige Neukundengeschäft abgesichert werden.

Die meisten ERP-Anbieter entwickeln ihre Produkte inzwischen plattformunabhängig - auch im AS/400-Markt. Nur wenige setzen wie Günter Wiskot, Vorstand der Command AG, bewusst auf eine Strategie der Selbstbeschränkung: "Wir vertreten hier die Philosophie, lieber ein Key-Player in einem kleineren Markt zu sein als ein No-Name in einem großen Markt." Aber auch Command setzt nicht nur auf die AS/400, sondern hat sich mit dem R/3-Geschäft ein zweites Standbein geschaffen. Typischer ist aber, die eigene Softwaresuite auf andere Plattformen zu portieren, wie es beispielsweise der Kölner Softwareunternehmer Heinrich Kissels macht. "Die Welt bewegt sich weg von Technologien wie RPG und proprietären Systemen", beobachtet Kissels, der vor etwa drei Jahren ein Entwicklungsprojekt aufgesetzt hat, um seine Software mit Java-Hilfe auf eine neue, objektorientierte und plattformunabhängige Basis zu stellen. "Man erwartet einfach von uns, das wir auch für Windows NT Lösungen anbieten können. Gerade im Neukundengeschäft ist das wichtig."

Nicht bei allen AS/400-Häusern lief das Geschäft schlecht. So meldete Ralf Gräßler, Leiter Strategische Geschäftsentwicklung und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der Veda Datenverarbeitung GmbH aus Alsdorf, deutlich verbesserte Zahlen für das erste Quartal des am 1. August 2000 begonnenen Geschäftsjahres. Sowohl Umsatz als auch Ergebnis im Kerngeschäft der Software für Personal- und Rechnungswesen seien gesteigert worden. Nicht zuletzt die Übernahme des Lohn- und Gehaltsprogramms "Pewi" von JBA durch Veda und die nach dem Verkauf des IBM-Lohns verunsicherten Anwender sorgten für eine starke Zunahme der Neuabschlüsse im Geschäftsbereich Personalwesen. "Für Softwarehersteller wird es zunehmend wichtiger, neben dem klassischen Lizenz-, Wartungs- und Implementierungsgeschäft die qualifizierte Schulung der Kunden im Umgang mit den Produkten in den Vordergrund zu stellen", beschreibt Gräßler seinen Ansatz.

Doch die Masse der AS/400-Häuser kämpft derzeit mit der skizzierten Mischung aus Nachfrageschwäche, hausgemachten Problemen und AS/400-typischen Schwierigkeiten. Resultat ist eine Konsolidierung des Softwareangebotes, wie sie derzeit nicht nur im AS/400-Markt auf Hochtouren läuft. Allerdings sind der Konsolidierung durch die unterschiedlichen Anforderungen von Konzernen und kleineren Firmen, Branchen und verschiedenen Auftragsabwicklungstypen natürliche Grenzen gesetzt. Einer Expertenbefragung des Aachener Instituts FIR zufolge ist zwar eine Konsolidierung auf weniger als zehn Anbieter für PPS-Systeme in ferner Zukunft durchaus wahrscheinlich, doch wird wohl niemals ein Anbieter ähnlich marktbeherrschend werden wie Microsoft bei den Büroanwendungen.

Obwohl also eine Reihe von Anbietern vom Markt verschwinden werden, müssen die Anwender sich nicht gleich Sorge um die Zukunft ihrer Lösungen machen. Mit dem Verkauf oder der Pleite eines AS/400-Softwarehauses verschwindet sein Know-how nicht - oftmals leben, wie bei Westernacher unter neuen Eignern wie Ametras und RZW Cimdata, auch die Produkte weiter. Der Kauf eines AS/400-Hauses dient einem größeren Unternehmen oft als Verstärkung des Engagements in diesem Markt, zum Beispiel der Kauf der Berliner Comitt GmbH durch die Scopeland AG. Der Anbieter von Software-Entwicklungswerkzeugen baut mit dem "Frida"- und "MAS90"-Spezialisten eine Line of Business für ERP auf, die zunächst speziell im AS/400-Markt individuelle Erweiterungen und Ergänzungen für Standardsoftware-Pakete anbieten soll.

Das Know-how geht also in großen Systemhäusern wie ADA, Bechtle, Haitec, m+s, Sysdat oder Systematics auf, die wiederum eigene AS/400- Kompetenzzentren bilden. Diese Branchengrößen sind zwar mit Sicherheit schwerfälliger als die kleinen AS/400-Häuser, tun sich aber leichter, die erforderlichen zusätzlichen Fähigkeiten vorzuhalten, die auch AS/400-Anwender zunehmend für Fragen rund um PC, Netzwerke, Internet und E-Commerce nachfragen.

Denn auch eine AS/400 steht heute nicht mehr allein, sondern ist als Server in PC-Netzwerke eingebunden und taugt durchaus als Host für das Internet. Die Zeiten, in denen AS/400-Kenntnisse allein einem Systemhaus für die Komplettbetreuung mittelständischer Kunden ausgereicht haben, sind längst passé. Demzufolge werden auch die lupenreinen AS/400-Häuser langsam rar.

* Berthold Wesseler ist freier Journalist in Brühl.

Wachstum ist zu gering

Nach den jüngsten FIR-Analysen teilen sich heute vier Systeme 39 Prozent und 28 Systeme 80 Prozent des deutschen ERP-Marktes, auf dem laut Volker Stich, Geschäftsführer des Forschungsinstituts für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen, insgesamt über 100 Produkte durchaus beachtenswert sind. Für 25 Prozent dieser Systeme gab es seit 1997 keinerlei Neukunden; die Anbieter dieser Produkte existieren also von der Betreuung der Kundenbasis und der Weiterentwicklung ihrer Systeme. Das muss nicht schlecht sein; eine hinreichende Installationszahl beziehungsweise Marktabdeckung eines Branchensegmentes vorausgesetzt, lässt sich auch damit gut leben.

Anbieter neuer Produkte jedoch brauchen für ihr Überleben laut Stich in der Anfangsphase einige Jahre stürmischen Wachstums; allerdings erreichten nur 15 Prozent der ERP-Systeme zwischen 1997 und 1999 ein durchschnittliches jährliches Wachstum der Kundenzahl von mehr als 50 Prozent. 41 Prozent aller Anbieter und damit die größte Gruppe müssen sich mit bescheidenen Wachstumsraten bis zu 20 Prozent begnügen. Ein etabliertes Unternehmen kann bei adäquater Strategie damit seine Zukunft sichern, während das Scheitern eines Newcomers mit solchen Werten programmiert ist.

Anbieter

Die zehn größten deutschen AS/400-Softwarehäuser

Unternehmen / Umsatz*

Brain International / 243,4

Soft M / 100,0

Intentia / 41,6

Update / 40,0

Westernacher / 35,3

GUS / 31,4

DCW Software / 30,4

Command / 29,3

Kissels Software / 24,0

Veda / 22,0

*in Millionen Mark