Interview mit Pascal Matzke, Forrester

Viel Zank um die richtige digitale Strategie

09.09.2014
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Jede Zahnbürste von Philips kriegt eine IP-Adresse

Lassen Sie uns über die IT-Abteilungen reden. Welche Rolle können sie im Digitalisierungsprozess spielen?

Pascal Matzke: Es gibt sehr positive Beispiele, wir haben ja schon über VW gesprochen. Es ist schon erstaunlich, dass sich hier die Group-IT als Zentrale im Innovationsnetzwerk positioniert. Ein anderes Beispiel ist Philips, wo der CIO quasi zum wesentlichen Change Agent bestimmt wurde. Connected Technology ist dort das Thema: Jede Zahnbürste, jede Leuchtstoffröhre von Philips erhält eine IP-Adresse, um dann darauf neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Der CIO ist inzwischen CEO der Philips Healthcare Software Division. Das ist eine ähnliche Software-Unit mit zentraler Aufgabe wie bei Bosch

Ein anderes Beispiel ist Adidas, wo man zwischen IT und Marketing gemeinsame Reporting-Strukturen entwickelt hat, um die Digitalisierung der Produkte stärker voranzutreiben. Das fing ursprünglich mal mit Social-Media-Marketing an und ist inzwischen so weit, dass die Connected Wearables, also T-Shirts, Laufschuhe etc., gemeinsam entwickelt und gemanagt werden.

Die Unternehmen sind also aufgewacht…

Pascal Matzke: …ganz so ist es nicht. Wenn wir uns den deutschen Mittelstand anschauen, müssen wir doch feststellen, dass 80 Prozent der IT-Organisationen wahrscheinlich nicht der Innovationspartner für das Business sein können. Das liegt auch daran, dass sie in der Vergangenheit mit ganz anderen Themen zu tun hatten und der Fokus stark auf Konsolidierung und Kostensenkung gelegt wurde. Diesen IT-Shops wird oftmals auch einfach nicht zugetraut, Innovationsbeiträge zu liefern.

"Wir sollten uns vom Begriff IT verabschieden"

Ist die Folge daraus, dass sich Fachbereiche wie Marketing, Produktion oder Forschung und Entwicklung ihre eigene innovative und kundennahe IT aufbauen?

Pascal Matzke: Ich würde in dem Kontext dafür werben, dass wir uns von dem Begriff IT verabschieden. Im Zuge der Digitalisierung kommen neue Technologien auf, die mit den klassischen Systems of Records, den Kernsystemen also, nichts zu tun haben. Das ist nicht nur für das Business, sondern auch für die IT Neuland. Da ist es gar nicht der natürliche Weg zu sagen: `Die IT macht das jetzt‘. Wenn wir über Industrie 4.0 und die Digitalisierung von Produktionsstraßen sprechen, dann würde es den Unternehmen kaum einfallen, die IT zum wesentlichen Partner zu machen. Das ist ein Thema für den Leiter der Produktionsstraße. Die Prozesse, die hier vorangetrieben werden sollen, liegen in seiner Verantwortung.

Eine Digitalisierung wird sich vor allem danach ausrichten, was das geschäftliche Ziel ist - sowohl den Geschäftsbereich als auch das gesamte Unternehmen betreffend. Der Bereichsleiter muss am Ende dafür gerade stehen, was mit dem Einsatz dieser Technologie erreicht wird. IT-Abteilungen, die daran gemessen werden, was sie einsparen und wie stark sie rationalisieren, sind eben nicht der natürliche Ansprechpartner, wenn es um Digitalisierungsthemen geht. Dafür sind dann Vertrieb, Marketing, Produktentwicklung oder welche Abteilung auch immer verantwortlich.

Das heißt aber nicht, dass das Kerngeschäft der klassischen IT kleiner wird. Im Gegenteil. Mit dem Digitalisierungsgrad des Unternehmens nehmen die Integrationsaufgaben zu. Die IT wird also gut zu tun bekommen, auch wenn sie nicht die Speerspitze im Innovationsprozess ist.