Interview mit Pascal Matzke, Forrester

Viel Zank um die richtige digitale Strategie

09.09.2014
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Viele haben eine digitale Strategie - aber nicht die richtige

Unternehmen sind heute in der Regel noch klassisch aufgestellt - mit Geschäftsführung, den Fachabteilungen und der IT, die die Systemlandschaften betreut. Wie können sie sich aus diesem organisatorischen Korsett heraus auf die digitalisierte Welt einstellen? Dafür müssten sie doch in allen Abteilungen und auf allen Hierarchieebenen mit IT-Skills durchdrungen sein.

Pascal Matzke: Das ist der entscheidende Punkt. Gewachsene Unternehmenskultur, Skills und die etablierten Strukturen werden vor dem Hintergrund der entstandenen Dynamik zu Hindernissen, die es zu überwinden gilt. Es gibt eine schöne Statistik, wonach 85 Prozent der CIOs und auch der Bereichsleiter wissen: Die Digitalisierung wird maßgebliche Auswirkungen auf ihre Geschäftsmodelle haben. 75 Prozent behaupten, eine digitale Strategie zu haben. Aber nur 35 Prozent sind davon überzeugt, dass es auch die richtige Strategie ist. Es kommt ja tatsächlich darauf an, ob man eine Digitalisierungsstrategie konzernweit verfolgt oder ob IT, Marketing, Produktion etc. ihren eigenen Ansätzen nachgehen.

Rund ein Drittel der Entscheider haben auch gesagt: ‚Wir haben eigentlich gar nicht die richtigen Menschen dafür.‘ Sie bräuchten nämlich Mitarbeiter, die viel stärker interdisziplinär denken. Klassische Business-Silo-Funktionen wie IT, Marketing, Research & Development etc. können nicht isoliert arbeiten. Sie müssten mit ihren Business-Partnern in einem, wie wir es nennen, "Dynamic Ecosystem of Value", also einer Art Innovationsnetzwerk sowohl mit internen als auch externen Partnern zusammenarbeiten.

Da ist also ein kultureller Wandel notwendig, aber auch einer in den Qualifikationen. In den Business-Silos sitzen ja Menschen, die stark geprägt sind von dem, was sie immer machen: Von ihrer Ausbildung her bis hin zur Ausübung ihres Berufs. Ob sie ITler sind oder Techniker, Marketing-Leute oder was auch immer.

"Nur wenige CEOs packen das Thema beim Schopfe"

Mit anderen Worten: Digitalisierung ist Chefsache, ohne ein starkes Commitment aus dem Management geht nichts voran…

Pascal Matzke: Ja. Doch in den seltensten Fällen gibt es einen CEO oder Vorstand, der das Thema wirklich beim Schopfe packt und mit einem starken Mandat von oben umsetzt. Aber nur dann sehen wir echte Fortschritte. Ein positives Beispiel ist der Volkswagen-Konzern: Wir konnten alle beobachten, wie der Vorstandsvorsitzende Winterkorn auf der letzten CeBIT aufgetreten ist. Er hat ganz klar gesagt: Connected Car ist für ihn ein voll digitalisiertes Produkt, es steht im Zentrum seiner Strategie. Danach richtet sich alles aus. Und er als Vorstand hat der Group IT das Mandat erteilt, in dem entsprechenden Innovationsnetzwerk die zentrale Rolle zu spielen.

Die Group-IT von VW war auf der CeBIT mit einem großen Messestand gleich neben IBM platziert - nicht weil die dort Autos verkaufen wollten, sondern weil sie sich als Innovationsnetzwerker einklinken wollten in die Diskussion. Dass geht nur, wenn die Unterstützung des Vorstands da ist. Gibt es dieses starke Mandat, das die organisatorische und Skill-seitige Veränderung unterstützt, nicht, wird es schwer mit der Digitalisierung. Sie können das übrigens auch bei GE-Chef Immelt oder bei Siemens-Boss Kaeser sehen.

In den meisten Fällen agiert die IT aber als Serviceabteilung. Dann ist es schwer, dem Unternehmen nachträglich eine digitale DNA einzupflanzen. Haben da junge, mit digitalen Produkten groß gewordene Anbieter wie Google oder Amazon nicht einen gewaltigen Vorteil?

Pascal Matzke: Nicht unbedingt. Es gibt schöne Beispiele, in denen sich alteingesessene Unternehmen diesen DNA-Strang, wie Sie es nennen, selbst implementiert haben. Ich denke da etwa an Bosch mit seiner Bosch Software Innovations GmbH. Die haben eine Software-Company aufgebaut, von der die digitalen Innovationen für den Automotive- aber auch für andere Unternehmensbereiche ausgehen. Diese Softwaretochter ist heute einer der Weltmarktführer für Plattformen rund um das Thema Integration im Bereich Internet der Dinge - von uns ähnlich gut bewertet wie IBM. Man hat also ein internes Inkubationszentrum geschaffen, zugrunde lag übrigens die Akquisition einer IT-Company.

Digital-Native-Unternehmen wie Google haben natürlich einen gewissen Vorteil, aber sie decken nicht die gesamte Wertschöpfungskette ab. Sie sind stark in der reinen Digitalisierungskomponente, aber um ein modernes Auto zu bauen, braucht es mehr - neue Werkstoffe im Leichtbau, um ein Beispiel zu nennen. Man muss beides unter einen Hut bringen, um ein Endprodukt herzustellen, das den künftigen Marktanforderungen genügt.