Videoconferencing setzt sich durch

26.08.2011
Lange Zeit waren Videokonferenzsysteme ein Stiefkind der IT, doch mittlerweile haben sie sich ihren Stammplatz in der Unternehmenskommunikation erobert. Dennoch sollte der Systemwahl eine genaue Analyse vorausgehen.

Das Spektrum an Konferenzsystemen ist heute breit gefächert. Es reicht von einfachen Videotelefonaten zwischen zwei Handys über Billigsysteme auf Basis von Skype, Desktop- und bewegliche Großbildsysteme bis hin zu um- fassend konzipierten Raum- systemen. Das realitätsechte Erlebnis der Letzgenannten prägte seinerzeit den Begriff Telepresence. Heute wird er oft auch für jegliche Konferenz in High Definition - kurz HD - verwendet.

Vom Ladenhüter mit IP zum Massen-Tool

In der professionellen Liga gab es in den letzten Jahren eine starke Konsolidierung - übrig blieben nur wenige Player. Dazu zählen etwa Cisco mit Tandberg, der von Logitech übernommene Anbieter Lifesize sowie Polycom. Für die führenden Anbieter aus der TK-Welt ist Videoconferencing quasi die natürliche Erweiterung ihres Telefonie-/UC-Angebots - so mischen auch Hersteller wie Alcatel-Lucent, Avaya, Siemens und seit kurzem auch Huawei mit. Ferner tummeln sich noch kleinere, spezialisiertere Anbieter im Markt - darunter etwa Mitel, Radvision und als einer der wenigen Newcomer Vidyo.

Lange Zeit - erste Lösungen kamen bereits Ende der 80er Jahre - war Videoconferencing ein Ladenhüter. Das dürfte an der Komplexität der Lösungen und vor allem an den im Vergleich zum Nutzen sehr hohen Preisen gelegen haben. Erst unter dem Druck reiner IP-Lösungen kam Bewegung in die Entwicklung. Inzwischen sind auch die anfangs rein für den privaten Markt konzipierten Einfach-Lösungen gereift und versuchen, ihr Einsatzgebiet auf Unternehmen auszuweiten. Populärstes Beispiel ist Skype, das für den privaten Bereich bis heute kostenlos angeboten wird und per Web-Interface einfach zu bedienen ist. Zudem ist es überall nutzbar, wo ein halbwegs schneller und stabiler Internet-Anschluss verfügbar ist (etwa ab 250 Kbit/s). Der Preis, den Skype für seine Unternehmenslösungen verlangt, ist mit sechs Euro pro Monat ein Fall für die Portokasse. In dieser Version lässt sich Skype zentral installieren und erlaubt in gewissem Umfang die Kontrolle, wie es am Arbeitsplatz genutzt wird. Das bezieht sich aber in erster Linie auf die Account-Verwaltung und Budgetzuweisung für kostenpflichtige Services. Für IT-Administratoren relevante Funktions- und Parametersteuerungen fehlen auch im Business-Skype weitgehend. Wie sich Skype unter der Microsoft-Regie weiterentwickelt, bleibt abzuwarten.

Protokolle für Effizienz und Kooperation

Für viele Unternehmen ist die einfache und kostengünstige Integrationsmöglichkeit mit UC-Lösungen ein entscheidendes Kriterium. Hier hat sich auch im professionellen Bereich das Session Initiation Protocol (SIP)weitgehend durchgesetzt. Als Standardprotokoll für die Verwaltung von Videoconferencing-Sitzungen (auch in der Telefonie gebräuchlich) hat es das früher dominierende H.323-Protokoll der ITU (International Telecommunication Union) inzwischen weitgehend verdrängt. SIP beschreibt Kommunikationsprozesse auf einer sehr grundsätzlichen Ebene. Viele Hersteller hat das dazu verleitet, Ergänzungen aufzunehmen, die aber leider wieder proprietär waren. Wenn auf zwei Systemen unterschiedlicher Hersteller also "SIP" steht, heißt das noch lange nicht, dass beide reibungslos zusammenarbeiten. Im Zweifelsfall, etwa wenn schon bestimmte Komponenten vorhanden sind, die mit einer neuen Lösung integriert werden sollen, wäre die Fähigkeit zur Kooperation zu prüfen. Meist reicht dafür eine Anfrage bei einem der in Frage kommenden Hersteller. Sie dokumentieren in der Regel genau, zu welchem Equipment von welchem Anbieter ihre Lösung kompatibel ist, und vermarkten diese Tatsache sogar oft auch aktiv. Aktuelles Beispiel ist die Ankündigung von Lifesize, das seine HD-Videokonferenzlösungen "Passport" und "Express 220" nun erfolgreich für die Zusammenarbeit mit Avaya-Ausrüs-tung getestet hat.

Ad-hoc-Zuschaltungen in der Planung bedenken

Wer mit wem kann, ist auch für flexible Session-Erweiterungen wichtig. Gerade bei Konferenzen zwischen zwei Lokationen mit Raumsystem werden gerne beispielsweise noch Spezialisten von einer Forschungseinrichtung oder einem Partnerunternehmen dazugeholt. Oft haben diese nur einfache Lösungen in Form eines Desktop-Systems, oder sie sind sogar mit Laptop unterwegs und steuern die dort integrierte Hobby-Kamera mit einer Konferenzanwendung für den privaten Bereich. Mindes-tens bei den beweglichen oder fest in einem Raum installierten Großbildsystemen sollten entsprechende Ad-hoc-Zuschaltungen in einer für diese Zielsys-teme angepassten Qualitätsstufe möglich sein.

Gute Bilder - aber schnell

Videoconferencing ist immer ein Spiel zwischen Bildqualität und verfügbarer Bandbreite - daher ist die Effizienz der Video-Codecs von entscheidender Bedeutung. Seit 2003 gibt es nun H.264 (auch als MPEG-4/AVC - Advanced Video Coding bekannt), welches die Code-Effi- zienz gegenüber H.263 um das Dreifache verbesserte und damit den Weg für die Übertragung hochauflösender Video-Streams wie etwa HDTV oder auch Blu-ray ebnete. Seit Ende 2007 gibt es eine interessante Ergänzung zu diesem Codec: "Anhang G" - besser bekannt als H.264 SVC (Scalable Video Codec). SVC verfeinert das Bild mit der zur Verfügung stehenden Bandbreite. Die Adaption der entsprechenden Auflösung und Bildwiederholrate erfolgt dabei dynamisch in Echtzeit (daher "skalierbar"). Der große Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass Unterbrechungen beziehungsweise Abbrüche einer Sitzung praktisch nicht mehr vorkommen. Auch bei sehr schwankenden Bandbreiten, wie sie für Internet-Verbindungen ohne garantierte Servicequalität üblich sind, bleibt eine ruckelfreie Verbindung bestehen. Allerdings funktioniert die Sache nur, wenn alle Endpunkte die SVC-Technik unterstützen. Und hier liegt derzeit in der Praxis das Hauptproblem von SVC: Das Protokoll wird bislang nur in den Produkten weniger Hersteller verwendet. Wohl nicht zuletzt auch deswegen, weil es sich nicht mit wichtigen Internet-Protokollen wie etwa RTP (Real-Time Protocol - im Internet für den Transport von Video- und Voice-Streams genutzt) vertrug. Immerhin besteht seit Anfang Mai dieses Jahres mit RFC 6190 eine gültige Beschreibung, wie SVC als Nutzlast von RTP zu behandeln ist.

Videoconferencing auf Tablet und Smartphone

Inzwischen gibt es auch eine Reihe spezialisierter vertikaler Lösungen - etwa für den medizinischen Bereich, für Labore, Unterrichtsräume, Industrieanlagen oder Werkshallen. Ein entsprechendes Customizing ist teilweise auch über die Vertriebspartner der Hersteller zu bekommen - für manche inzwischen ein strategisches Merkmal zur Kundengewinnung. Einige Hersteller binden auch mobile Geräte - allen voran Tablet-PCs - in ihre Videoconferencing-Architektur mit ein. Als einer der ersten präsentierte Polycom eine Videoconferencing-App auf dem Samsung Galaxy Tablet.

Wohl kaum ein Player wird es sich leisten können, diesem Trend nicht zu folgen. Einen weiteren Trend gibt es in Sachen Verbesserung des Präsenz-erlebnisses: So hat etwa Alcatel-Lucent kürzlich seine "Immersive"-Videolösungen vorgestellt, die sehr lebendige Begegnungen von Personen an unterschiedlichen Orten in einem gemeinsamen virtuellen Raum erlauben sollen. Eine spezielle Software stellt dabei das Videobild der Teilnehmer von ihrem Hintergrund frei und projiziert sie in eine gemeinsame, nach Belieben wählbare, virtuelle Umgebung. (hi)

Stefan Mutschler ist freier Journalist in Rosenheim.