Kapitaltransaktionen bringen Kerkerbachbahn ins Gerede:

Victor-Käufer Beta Systems für Börse dubios

20.07.1984

MÜNCHEN (ru) - Nicht gerade Freude kommt in der Branche bei dem Firmennamen Beta Systems auf. Grund ist die Kapitalverquickung mit der Mannheimer Kerkerbachbahn AG. Während deren Vorstandsvorsitzender Tom Clarke Sieger bemüht ist, negative Berichte über die Gesellschaft als haltlos hinzustellen, hat er jüngst die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Für die Aktien der Reichhold Chemie AG, in deren Mantel die jetzt gegründete Beta Systems Computer AG geschlüpft ist, weigerte sich die Frankfurter Freimaklerfirma Fleischhauer, Notierungen festzulegen.

Ob die Gläubiger der Victor Technologies Inc. bei der Mannheimer Beta Systems auf das richtige Pferd gesetzt haben, wird von Brancheninsidern bezweifelt. Zumindest kam der plötzliche Laufpaß für den britischen "Apricot"-Hersteller ACT etwas überraschend. Noch vor etwa vier Wochen hatte der deutsche Victor-Statthalter, Jürgen Tepper, gegenüber der COMPUTERWOCHE erklärt: "Wir sehen keine Veranlassung, uns von ACT zu trennen." Agenturberichten zufolge verhandelte Beta Systems aber schon im Mai mit dem angeschlagenen US-Computerhersteller.

Bei der Entscheidung der Victor-Gläubiger zugunsten Beta Systems dürfte das Engagement der Kerkerbachbahn eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben. Immerhin hielt ihre Holding, die luxemburgische Beta Systems International S. A., Ende Juni dieses Jahres 70 Prozent der Victor-Aktien. So erwarben sie vor wenigen Wochen die 43prozentige Beteiligung des US-Konglomerats Walter Kidde Inc. an Victor. Zusätzlich kauften sie noch andere Aktionäre heraus.

Sieger, der vor einigen Jahren den aktienrechtlichen Mantel der einstigen Eisenbahnlinie kaufte, brachte die Kerkerbachbahn AG als Anbieter von Bauherrenmodellen ins Gespräch. Als der steuersparende Immobilienzug durch die konjunkturelle Entwicklung an Fahrt verlor, setzten die Kerkerbachbahn-Leute auf Diversifikation. Da der Umweltschutz sich als gewinnträchtig anließ, stiegen sie mit 25,1 Prozent bei der Firma Recycloplast, Entwickler von Recycling Technologien, ein. Weiterhin erwarben die Mannheimer für 1,5 Millionen Mark 30 Prozent der Beta Systems im benachbarten Luxemburg.

Bevor sie allerdings ihre neuen Engagements bekanntgaben, ließen sie sich über die Münchner Portfolio Management an die Börse bringen. Bei Banken und Anlegern stieß dieser plötzliche Wechsel des Geschäftszwecks sauer aufs Kurzerhand zog sich das Bankenkonsortium zurück. Das Kerkerbachbahn-Papier erwies sich nach den ersten üblichen Kurssteigerungen nicht gerade als erstrebenswerte Anlage.

Promotor sehen Geschäft

Einen guten Verdienst erhofften sich die Promoter in Mannheim auch im Rohstoffgeschäft. Mit einer kanadischen Ölgesellschaft wurde ein Pakettausch beabsichtigt: 25 Prozent der Kerkerbachbahn-Aktien gegen 25 Prozent der von General Allied Oil & Gas (GAZ). Die GAZ-Aktien, derzeit notiert mit 2,85 Dollar, bewerten Frankfurter Analysten wesentlich niedriger.

Von der unter Chapter 11 stehenden Victor behauptet jetzt die Luxemburger Beta Systems, sie arbeite wieder mit Gewinn. Konkret: Sie produziere jeden Monat einen positiven Cash-flow von ungefähr 1,5 Millionen Dollar. Während die Luxemburger durch ihre Aktienmajorität Wohl die Victor-Gläubiger von einem Sanierungskonzept zu überzeugen wußten, waren die Finanzjongleure der Kerkerbachbahn nicht untätig. Von der Schweizer Reichhold Chemie AG kauften sie 95,2 Prozent der Reichhold Chemie AG in Offenbach, ein Unternehmen, das sich seit eineinhalb Jahren in Liquidation befindet - alle Vermögenswerte sind veräußert, die Verbindlichkeiten erfüllt. Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung sprachen sich die Anteilseigner jetzt für die Umbenennung in Beta Systems Computer AG, Sitz Mannheim aus. Diese "tote Hülle" hat somit als einzigen Vermögenswert die von der Kerkerbachbahn eingebrachte 30prozentige Beteiligung an der Luxemburger Beta, die wiederum 70 Prozent an Victor hält.

Keine Notierung

Die Reichhold-Aktie sollte mit nahtlosem Übergang, offenbar als aussichtsreiches Technologiepapier, unter "Beta" im Frankfurter Telefonverkehr Ehre einlegen. Doch da spielte die Freimaklerfirma Fleischhauer nicht mit. Sie weigerte sich, einen Kurs festzusetzen. Die Notierung unter neuem Namen soll laut Börsenzeitung nur erfolgen, wenn von einer an der Börse zugelassenen Bank ein Antrag auf Umbenennung und Fortsetzung des Handels gestellt wird, um für einen geordneten Markt dieses Wertes zu sorgen.

Im Zuge der Umbenennung von Reichhold in Beta Systems beschloß die Kerkerbachbahn auch eine Verdopplung des Kapitals der Mannheimer AG auf 12 Millionen Mark. Ausgabekurs je Vorzugsaktie: 300 Mark. Die Münchner Kranefeld GmbH versucht nun, so Börsenfachleute, bei interessierten Anlegern die Optionen auf die Beta Systems privat zu plazieren. Das Geld geht auf ein Sperrkonto der Dresdner Bank zugunsten des Bankhauses Martin Friedburg & Co. in Hamburg, das sich auch für die Emission zuständig erklärt. Es handelt sich um eine Privatbank, deren Geschäftsbetrieb seit langem ruht. Branchenkenner behaupten, die Kerkerbachbahn hätte der Hamburger "Leiche" neues Leben einhauchen müssen, da andere Banken nicht mehr bereit waren, die Kapitalerhöhung durchzuführen.

Zwar hat Beta Systems die Victor-Gläubiger auf ihre Linie eingeschworen, doch das letzte Wort hat das zuständige amerikanische vergleichsverwaltende Gericht. Dessen Zustimmung oder Ablehnung (voraussichtlich im September) steht freilich noch aus. Spätestens dann zeigt sich, ob die Aktionäre die richtige Wahl getroffen haben. Victor ist immerhin der einzige Vermögenswert der Beta Computer AG. Ob der Eigentumsübergang der 70 Prozent Aktien auch wirklich stattfindet, ist mithin von der gerichtlichen Entscheidung abhängig, also noch ungewiß.

Noch zwei Übernahmen

Wie VWD berichtet, wird die in Mannheim zusätzlich bestehende Beta System GmbH, eine Verkaufsorganisation, die OEM-Geschäfte macht, in die Beta AG eingebracht. Die Kerkerbachbahn will nach eigenen Aussagen in diesem Jahr noch zwei weitere Unternehmen aus der DV-Branche übernehmen. Im Fall Victor sehen sich die Mannheimer als deutsche Gesellschaft in einer Vorreiterfunktion.