Verzerrte Optik: ein Markt, eine IBM Dieter Eckbauer

06.01.1995

Die IBM schlaegt zurueck, mit "blossen Faeusten", schreibt sinngemaess das amerikanische Magazin "Business Week" ueber die neue Aggressivitaet der Gerstner-Truppe (Titel: "Bare Knuckles at Big Blue") angesichts offenkundiger Schwaechen des Mikroprozessor- Rivalen Intel. Das Pentium-Problem wollen wir hier nicht behandeln. Uns interessiert, wie die derzeitige Position der IBM eingeschaetzt werden kann. Die Organisation IBM ist immer einen Blick wert. Nur fuer die ueberzeugtesten Big-Blue-Anhaenger stellen sich die Ereignisse der vergangenen zwei, drei Jahre als Alptraum dar, aus dem sie gerade erwachen, um erleichtert zu konstatieren, dass alles nur eine schlimme Einbildung war. Jetzt erlebten wir die wahre IBM.

Solche Typisierungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Dass blaue Mainframes immer noch oder wieder eine sichere Bank seien, war zuletzt etwa von den IBM-Watchern der Gartner Group zu vernehmen.

Ein High-Noon-Duell "PC vs. Mainframe" abzublasen, das so von den Vertretern der neuen High-Tech-Generation nie angekuendigt worden war, lenkt jedoch von der Kernfrage ab: Woran ist IBM gescheitert? Zu einem von dem IBM-Chef gesuchten Shoot-out "Gerstner gegen Grove" wird es nicht kommen. Der Markt entwickelt sich anders. Die IBM scheiterte, weil sie die Dynamik des DV-Geschaeftes falsch einschaetzte. Zur Erinnerung: Die IBM des Jahres 1986 beschaeftigte 406 000 Mitarbeiter und machte allein mit Mainframes Milliardengewinne. Die Gerstner-Company von 1994 kann mit 222 000 IBMern das Ergebnis durch straffes Kosten-Management etwas besser als ausgeglichen gestalten - dazwischen Jahre, die zuletzt enorme Verluste brachten.

Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte. Der Markt belohnt die richtige Idee. Mit der Einfuehrung der Mainframe-Architektur Mitte der sechziger Jahre landete die IBM einen Volltreffer: Eine Branche wurde definiert, die sich nach Big Blue richtete. Spaetestens Mitte der achtziger Jahre waren die Grenzen dieser Konzeption erreicht. Mit PCs und Workstations, Desktop-Software sowie lokalen Netzen sind voellig neue Maerkte entstanden, die eigene Gesetze haben und in denen Anbieter wie Intel, Microsoft, Novell, Compaq, HP, Sun und Apple die Spielregeln bestimmen. IBMs Business-Modell, das von einem einzigen Markt ausging, in dem alles vom Mainframe abhing, lieferte keine Antworten mehr.

Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt die aktuelle Situation: Muss aus gegebenem Anlass die DV-Geschichte erneut umgeschrieben werden, mit dem Tenor etwa, dass sich die Idee von einem einzigen, einheitlichen IT-Markt doch als tragfaehig erweist, wovon IBM-Chef Gerstner offensichtlich ausgeht? Wir kommen der Antwort mit einer Gegenfrage naeher: Koennen Intel oder Microsoft die alte Rolle der IBM uebernehmen? Nichts spricht dafuer. Einen einzigen IT-Markt wird es nicht geben. Belohnt wird weiterhin nur die gute Idee. Das spricht fuer Firmen, die vielleicht heute noch keiner kennt. Aufgepasst, Intel und Microsoft! Es koennte euch wie IBM ergehen.