Deutsche Notes User Group traf sich in Kassel

Verwirrender Lotus-Kurs bei E-Learning-Produkten

31.03.2000
Die Deutsche Notes User Group (DNUG) nahm ihre 12. Konferenz in Kassel zum Anlass, den Arbeitskreis "E-Learning" zu gründen. Für den Zickzackkurs, den Lotus bei seiner Plattform "Learningspace" fährt, zeigten Teilnehmer der Auftaktveranstaltung jedoch nur wenig Verständnis. Volker Weber* hat das User-Treffen begleitet.

Bei Learningspace handelt es sich um eine Notes/Domino-basierte Intranet-Anwendung, die Lotus seinen Anwendern als Netzwerklösung für hausinterne Schulungsinitiativen sowie für die Projektkommunikation anbietet. Die Konfusion, die um die Plattform seit ihrer Einführung vor einigen Jahren besteht, wurde auf dem Anwenderforum offenkundig. Im Konferenzprogramm war der Vortrag eines Lotus-Mitarbeiters vorgesehen, der Neues über Learningspace berichten sollte. Der Hersteller ließ sich jedoch von einem Mitarbeiter der Gesamthochschule Kassel vertreten, der im Rahmen seiner Lehrtätigkeit zwar umfangreiche Erfahrungen mit Learningspace gesammelt hatte, jedoch wenig Gesichertes über die Weiterentwicklung der Plattform berichten konnte.

Der Ausfall des Lotus-Mannes verursachte auch deshalb Ärger, weil man einen äußerst sattelfesten Pfadfinder benötigt, um sich im Dickicht der verschiedenen Learningspace-Versionen zurechtzufinden. Gründe für die Verwirrung sind nicht zuletzt die Bemühungen von Lotus, zugekaufte Technologien unter einem Dach zu vereinigen und daraus neue Produkte zu bündeln.

Während Learningspace anfangs eine reine Notes-Lösung war, kamen durch die Akquisition von Databeam und der Pathware-Division von Macromedia neue Komponenten hinzu, die große Herausforderungen für Technik und Marketing bargen. Mit Databeam erwarb Lotus einen Konferenz-Server, der in Lotus'' "Sametime" sowie in Learningspace integriert wurde. Aus Learningspace wurde daraufhin "Learningspace Anytime" und aus dem Databeam-Produkt "Learningspace Forum". Mit Version 3.0 hat man diese Differenzierung wieder aufgegeben: Jetzt gibt es nur noch Learningspace, das in Kürze als Version 3.1 auf den Markt kommt.

Doch kaum scheint das Durcheinander beseitigt, steht die nächste Konfusion ins Haus. Unter dem Arbeitstitel "Athena"-Release wird derzeit an Learningspace 4.0 gearbeitet, das noch in diesem Jahr mit integrierter Pathware-Technik herauskommen soll, einer auf Web-Inhalte spezialisierten Lernplattform. Während jedoch alle Vorgängerversionen auf einer Notes-Datenbank basieren, setzt Pathware auf Microsoft-Produkte wie den "Internet Information Server" und eine SQL-Datenbank. Im Kern wird Learningspace 4.0 also nicht mehr auf Domino basieren, und damit hat eine User Group, die "Notes" als Bestandteil des Namens führt, naturgemäß ein Problem.

Abseits politischer Überlegungen ("Gilt meine Treue einer Technologie oder einem Hersteller?") ist man sich vor allem unsicher, wie sich bereits geschaffene Lerninhalte auf die fremde Plattform übertragen lassen. Einige Hochschulen, etwa in Kassel und Paderborn, haben viel Arbeit in Learningspace 2.5 investiert und sehen nun ihre Felle davonschwimmen.

Für neue Lerninhalte ist der Wechsel durchaus als positiv anzusehen. Athena wird wie Pathware zum Standard AICC (Aviation Industry CBT Committee, www.aicc.org) kompatibel, so dass sich austauschbare Lerninhalte einkaufen und in die Plattform integrieren lassen. Die Ankündigungen, das auf Athena folgende Release doch wieder mit Domino zu realisieren, wirken deshalb wenig glaubhaft. Wahrscheinlicher ist wohl eine Lösung auf Basis von Websphere und DB2.

War die Präsenz von Lotus in Sachen E-Learning eher dürftig, so stellte sich der Hersteller bei anderen Themen durchaus seinen Anwendern und Partnern. Die DNUG hatte auf der eigenen Web-Seite (www.dnug.de) Gelegenheit gegeben, anonym Fragen an Lotus zu richten. Zur Beantwortung schickte der Hersteller aus München seinen Regional Director Central Europe, Hans-Peter Bauer, die für Business Partner Marketing zuständige Petra Heinrich sowie Robert Schneider, Leiter des Lotus Technology Center.

Die Antwortsession fiel erwartungsgemäß eher ruhig aus. Wo der Schuh drückt, ist allein schon deshalb bekannt, weil vorhandene Probleme über Jahre hinweg nicht zufriedenstellend gelöst wurden: Notes druckt schlecht, die Unterstützung von Roaming-Usern hinkt, Notes erfordert ein eigenes Login, die Notes-PKI ist nicht mit anderen Standards interoperabel, der OS/2-Client wurde eingestellt und die Office-Integration gestaltet sich schwierig.

So wie die Fragen waren auch die Antworten vorhersehbar: Notes wird auch weiterhin nicht besonders gut drucken, Roaming-User stehen - wieder einmal - für das nächste Release auf dem Plan, die Marschrichtung für Authentifizierung und Verschlüsselung lautet X.509, ein OS/2-Client (jetzt als I-Notes) ist noch nicht angekündigt, wird aber wohl kommen. Bei der Office-Integration verspricht ein Dateisystem Entlastung, das Notes-Datenbanken für den Windows Explorer öffnet. Eingeführt wird diese Lösung demnächst in einem Quarterly Maintenance Release (QMR) - selbstredend nur für Windows NT.

Als Dauerbrenner entpuppte sich auch wieder der Architektur-Disput um die Lotus Solution Architecture (LSA). Den Bemühungen der Münchner, das Framework weltweit durchzusetzen, steht eine Eigenentwicklung des Business Partners IT Factory entgegen, mit dem man zwar weiterhin intensive Konsensgespräche führt, über eine mögliche Lösung aber auch in Kassel nichts verraten wollte. Hans-Peter Bauer machte klar, dass Lotus eine glänzende Zukunft für die LSA sieht und dass man notfalls auch mit einem anderen Partner zusammenarbeiten werde. Für die Anwesenden blieben jedoch weiterhin viele Fragen offen. In Anspielung an die Onestone-Akquisition meinte Bauer, man müsse ja nicht gleich einen Partner kaufen - Onestone hatte eine Organisationsdatenbank zur LSA beigesteuert.

Das Konferenzprogramm war recht breit angelegt, so dass jeder Teilnehmer auf seine Kosten kommen konnte. Das "E" wurde nicht nur durch E-Learning, sondern auch durch E-Business strapaziert. Bei diesem Themenkomplex ging es unter anderem um die Anbindung von SAP und die Auslagerung von Domino-Anwendungen zu Serviceanbietern.

Die Qualität der Vorträge war, wie bei den bisherigen Konferenzen, auch in Kassel wieder recht durchwachsen. Die Teilnehmer erwarteten vor allem Praxisberichte, um von den Erfahrungen der Vorreiter zu partizipieren. Da sich die DNUG jedoch nicht als reine Benutzervereinigung versteht, sondern auch Business Partner in das Forum einbezieht, reichten viele Vorträge nicht über eine Produkt- und Firmendarstellung hinaus.

Hörte man sich unter den Teilnehmern um, dann wurde schnell klar, dass zahlreiche Lotus-Anwender eine Migration von Domino 4.x auf Release 5 noch vor sich haben. Bei einigen ist gerade die Pilotierung angelaufen. Während eine Server-Migration durch einfacheres Management und bessere Skalierbarkeit direkte Vorteile verspricht, scheint die Client-Migration langsamer vonstatten zu gehen. Es fehlt die Killer-Applikation, die dem Anwender R5 schmackhaft macht. Wolfgang Schmidetzki, Geschäftsführer der Ratinger Firma Innovation Gate, sieht bei seinen Kunden im Bereich Web-Content-Management nun die Bereitschaft, auch auf dem Client nach R5 zu migrieren, zunächst jedoch nur in Inseln, ohne gleich das ganze Unternehmen einzubeziehen.

Gerade im Bereich Web-Content-Management sind die Business Partner dabei, neue Kunden außerhalb des klassischen Groupware-Marktes zu gewinnen. Softwerk hat mit dem Partner Feldmann Media Group beeindruckende Websites für Puma und Bulthaup eingeführt, deren Inhalte auf der Basis von Lotus Domino gepflegt werden. Außerhalb dieses Projektgeschäfts tummeln sich etliche Anbieter. Lotus selbst kooperiert mit der Deutschen Bank und vermarktet über Partner das Produkt "Netficient": Eine Ausgründung gleichen Namens steht wohl bevor.

Auch Lotus Sametime fand bei den Teilnehmern der Konferenz großes Interesse. Der einzige Vortrag zu diesem Thema war besonders stark frequentiert. Bisher nimmt sich offensichtlich nur ein Business Partner, die Firma Ashtree aus Schwäbisch Gmünd, dieses Programms ernsthaft an. Die Kasseler Veranstaltung lässt jedoch erwarten, dass in Kürze mehr Lotus-Spezialisten auf diesen Zug aufspringen werden.

Interessant bei solchen Konferenzen sind auch die kursierenden Gerüchte. So war verschiedentlich zu hören, dass die IT-Abteilung von Lotus USA nun der IBM Software Group unterstehe. Dies wäre ein weiteres Indiz dafür, dass IBM seine Tochter mehr und mehr vereinnahmt. Besonders interessant dabei ist der Aspekt, wen Lotus im IBM-Konzern verdrängt. Bislang wurde die Software Group von den IBM Global Services bedient. Sollte hier tatsächlich eine schleichende Umstrukturierung stattfinden, erhalten Spekulationen um ein allgemein beobachtetes Phänomen Nahrung: Der Kunde ist mit dem Outsourcing nicht mehr zufrieden und erbringt die IT-Leistungen lieber wieder selbst.

*Volker Weber ist Fachjournalist in Darmstadt.