Liebeswerben um den Bürofachhandel (Teil 2):

Vertrieb macht Mikroanbietern Sorgen

18.03.1983

Goldgräberstimmung scheint die Mikrobranche angesichts traumhaft Absatzprognosen erfaßt zu haben. Doch der Vertrieb stellt noch ein Hemmschuh dar. In der letzten Folge diskutierte der Autor, was hinter der Vertriebsorganisation steht und wie neue Marketingmethoden aussehen könnten.

Hersteller und Händler sind also aufeinander angewiesen. Bisher haben sie zu sehr nebeneinander her gelebt (Mea culpa). Hier ist schnelles Umdenken notwendig. Mit Lippenbekenntnissen ist es auf beiden Seiten nicht mehr getan:

- Der Handel fordert neben guter und preiswerter Hardware vorn Hersteller verstärkt Marketingleistungen, von der Software bis zur Schulung.

- Die Hersteller wiederum benötigen Fachhandelspartner, die Mut zum Risiko besitzen und die entsprechenden Investitionen in den systematischen Aufbau des Computergeschäftes nicht scheuen.

- Die Hersteller müssen auch bereit sein, jungen und dynamischen Firmen beim Aufbau dieses Geschäftes durch entsprechende Vertriebs- und Finanzierungsmodelle Starthilfe zu leisten.

- Hersteller, die sich nur auf Hardwarelieferung und minimale Dienstleistungen beschränken, werden beim Fachhandel scheitern.

Gewiß, das wird neben Engagement und Fachwissen auf beiden Seiten auch viel Geld kosten, sich langfristig jedoch als richtiger Weg erweisen. Konkret bedeutet dies für die Hersteller:

- Entwicklung einer speziellen "Händlerkonzeption";

- Fachhändler als echte Partner betrachten und behandeln. Das bedeutet: herunter vom Podest!;

- Entwicklung gemeinsamer Vermarktungskonzepte auf regionaler Basis;

- Unterstützung bei Bereitstellung und Pflege qualifizierter Software;

- intensive Schulung hinsichtlich Produkt, Markt und Software;

- Unterstützung der Marketingaktivitäten, zum Beispiel durch überregionale Werbemaßnahmen;

- Bereitstellung qualifizierter Verkaufshilfen, Demounterlagen;

- Händlerbetreuung durch geeignete Mitarbeiter mit laufendem Erfahrungsaustausch;

- Entwicklung neuer Vertriebsmodelle, zum Beispiel auf Franchising-Basis und andere mehr.

Und für den Bürofachhändler: Schluß mit halbherzigen Versuchen!

Nicht nebenher zu verkaufen

Hochwertige professionelle Mikrocomputer kann man nicht mehr "nebenher" verkaufen. Hier ist der Mut zum Konzentrieren, investiven Handeln notwendig.

Das bedeutet:

- Analyse des regionalen Marktes einschließlich der in Betracht kommenden Zielgruppen und Maßnahmen in Form eines Marketingplanes;

- konsequenter Aufbau des Computergeschäftes;

- systematischer Personalaufbau mit qualifizierten Spezialisten für Software, Technik und Verkauf;

- ausreichende Sachinvestitionen (Vorführungsanlagen, Ersatzteile);

- gründliche Ausbildung und Schulung;

- Suche, Kauf und Bereitstellung weniger, aber guter und umsetzbarer Software;

- systematische Aufbereitung des örtlichen und regionalen Marktes anhand des vorhandenen Marketingplanes und andere mehr.

Nur so ist auf Dauer eine für beide Seiten erfolgreiche Zusammenarbeit denkbar. Hersteller, die diese Ansätze kurzfristig in die Praxis umsetzen, werden beim Handel die Nase vorne haben.

Diesem Vertriebsweg kommt im professionellen Mikrocomputerbereich eine stark steigende Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere für die Vermarktung eigener Branchenpakete. Einem in der Regel hervorragendem fachlichen Know-how stehen allerdings häufig unzureichende Vertriebskenntnisse und -möglichkeiten gegenüber. Eine bundesweite Vertriebspräsenz ist die Ausnahme.

Trotzdem muß man ihnen gute Chancen bei der qualifizierten Vermarktung von Mikrocomputer-Lösungen einräumen.

Immerhin wird der Anteil der Software- und Systemhäuser am Mikromarkt heute schon auf zehn bis 15 Prozent - bei steigender Tendenz geschätzt.

Computerverkauf über den Ladentisch

Unter diesem Motto sind die nach amerikanischem Vorbild in Deutschland gegründeten Computer-Shops in den Markt gegangen. Ständigen Neugründungen stehen relativ viele Geschäftsauflösungen entgegen. Eine erste Zwischenbilanz fällt nicht besonders erfreulich aus: Es zeigt sich heute, daß viele der "Newcomer" dieses Geschäft mit der irrealen Vorstellung begonnen haben, schnell wohlhabend werden zu wollen. Dabei wurden die Probleme speziell bei kommerziellen Anwendungen - häufig stark unterschätzt. Um Mißverständnissen vorzubeugen:

Dem Autor sind eine ganze Reihe äußerst profihaft und erfolgreich arbeitender Computer-Shops bekannt, bei denen der Anwender qualifizierte Gesamtlösungen aus Hardware, Software und Service erhält.

Nur sind dies zur Zeit nur Ausnahmen. Während Computer-Shops gute Eignung für den Hobbycomputer-Verkauf aufweisen, sind sie im professionellen Mikrovertrieb bisher wenig erfolgreich. Die Gründe liegen auf der Hand:

- Mangel an qualifiziertem Personal (aus Kostengründen häufig nur Hilfskräfte),

- Mangel an qualifizierter Software,

- Mangel an betriebswirtschaftlicher und organisatorischer Beratung,

- mangelnder technischer Service,

- mangelnde Finanzkraft für Markterschließung beziehungsweise Marketing.

Computerlieferung per Katalog?

Daß sich amerikanische Gepflogenheiten nicht ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragen lassen, geht auch aus der mangelnden Akzeptanz professioneller Anwender gegenüber Computer-Shops hervor. Hauptkunden sind deshalb vorerst primär Bastler, " Computer-Freaks", Techniker und Home-Hobby-Anwender.

Hinzu kommt der im Regelfall regionale oder örtlich begrenzte Wirkungskreis. Und schließlich ist auch hinsichtlich der Konstanz aufgrund fehlender Kapitalausstattung häufig ein Fragezeichen zu setzen.

Dort, wo jedoch nach professionellen Maßstäben vorgegangen wird, hat auch der Computer-Shop langfristig gute Chancen.

Ein weiterer, bereits in der Praxis laufender Versuch stellt der Vertrieb von Mikrocomputern per Katalog über Spezial- und Großversandhäuser dar, Quelle, Neckermann, Schäfer führen seit einiger Zeit Mikrocomputer des untersten Preisbereiches im "Elektronik-Sortiment". Aber selbst hier sind die Probleme unübersehbar: Mit der Hardwarelieferung ist es bekannterweise nicht getan. Software- und Serviceprobleme sind bislang ungelöst.

Computer und Hi-Fi-Verkauf?

Ähnliches gilt für den Phono- und Fernsehhandel. Auch hier sind die ersten Versuche im kommerziellen Mikrobereich (von den üblichen Ausnahmen abgesehen) negativ verlaufen. Die Gründe sind weitgehend identisch: fehlendes EDV-Knowhow, keine Fachberatung, unqualifiziertes Personal, dünne Kapitaldecke etc.

Die Chancen, "am Mikromarkt mitverdienen zu wollen", liegen auch hier fast ausschließlich im beratungsarmen Hobby- und Spielcomputer-Bereich. Dies um so mehr, da sich unter dem Gesamtbegriff "Video" Hi-Fi- und Videogeräte und Hobby- und Spielcomputer immer mehr annähern.

Das Problem muß gelöst werden!

Die hier aufgezeigten Möglichkeiten sind zwar nur einige sicher erweiterungsfähige Beispiele. Sie sollen jedoch verdeutlichen, daß das "Vertriebsproblem Mikrocomputer" nicht von vornherein als unlösbar hingenommen werden muß. Daß hier große Probleme vorhanden und zu lösen sind ist unbestritten. Nur wird hier persönlich zuviel gejammert und zuwenig kreativ nachgedacht und gehandelt!

Wir müssen uns inhaltlich endlich von den fetten Bürocomputer-Jahren der ehemaligen Mittleren Datentechnik lösen und uns auf weniger fette und wesentlich härtere Mikrocomputer-Jahre einstellen. Dazu ist mehr Mut zum Risiko, aber auch mehr kreative Beweglichkeit und unkonventionelles, schnelles Handeln erforderlich.

Mit den Auffassungen und Methoden von gestern jedoch ist dies nicht zu schaffen. Die deutsche DV-Industrie läuft sonst verstärkt Gefahr, in die Mittelmäßigkeit abzugleiten. Unabhängig davon braucht man kein Prophet zu sein, wenn man heute schon einen klaren Ausleseprozeß voraussagt. Es dürfte angesichts der vorhandenen Ausgangsfaktoren unabwendbar sein.

Wer überleben will, muß vom gegenwärtig vorherrschenden kurzfristigen taktischen Denken schnellstmöglich auf das mittelfristig erforderliche strategische Denken umschalten. "Goldgräberzeiten" sind bekanntlich immer sehr kurzlebig.

* Gerhard J. Pleil ist Marketing- und Vertriebsleiter der David Computer GmbH Stuttgart.