Die Verordnung erhöht die Risiken der Produkthaftung

Vertreiber: Rücknahme nur bei funktionsgleichen Geräten

10.01.1992

Die vom Umweltministerium vorgeschlagene Elektronikschrott-Verordnung wirft viele Fragen auf: Muß ein Händler jetzt alle Geräte zurücknehmen, was macht der Hersteller mit den Altgeräten, wer bezahlt das Recycling, kann ein Käufer beim Kauf eines Matrixdruckers zehn alte PCs zurückgeben, wer ist für Rücknahmestellen verantwortlich? Frank Koch* gibt eine Übersicht über die rechtlichen Auswirkungen der Verordnung.

Die Schlagworte Wiederverwertung und Entsorgung nicht verwertbarer Abfälle erlangen ab Januar 1994 im Bereich elektrischer und elektronischer Geräte, also für den gesamten Bereich der Datenverarbeitung, erhebliche Bedeutung. Hersteller und Händler unterliegen hier neuen Pflichten. So ist etwa ein System von Rücknahmestellen einzurichten, deren Planung bereits im Frühjahr 1992 in Angriff zu nehmen ist, um zum Stichtag über ein funktionsfähiges Annahmesystem zu verfügen.

Außerdem erweitern diese Pflichten bereits bestehende Produkthaftungs-Risiken der Hersteller und Händler. Hier sind ergänzend Kontrollvorkehrungen zu treffen und gegebenenfalls Versicherungsverträge anzupassen.

Inkrafttreten im ersten Quartal 1994

DV-Händler und -Hersteller müssen alte Geräte kostenfrei zurücknehmen, sammeln und nach Möglichkeit verwerten oder einer Abfallentsorgung zuführen.

Grundlage dieser Verpflichtung ist die neue Elektronikschrott-Verordnung (ES-Verordnung). Sie befindet sich gegenwärtig noch in Vorbereitung, mit ihrem Inkrafttreten ist voraussichtlich im ersten Quartal 1994 zu rechnen.

Diese Regelung bringt eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Belastung für Händler und Hersteller. Sie müssen gebrauchte Geräte zurücknehmen und verwerten oder entsorgen. Die hierbei entstehenden Kosten dürfen nicht getrennt gegenüber den Kunden berechnet, sondern können nur auf den Neupreis anteilig aufgeschlagen werden.

Der Entwurf führt mehrere Einschränkungen der Rücknahmepflicht ein, die bei der Organisationsplanung genau zu berücksichtigen sind. Bei Neukauf ist der Hersteller oder Händler nur verpflichtet, gleichartige Geräte zurückzunehmen (° 4, Absatz 1), also Rechner gegen Rechner, Monitor gegen Monitor oder Telefax gegen Telefax. Altes und neues Gerät müssen jeweils dieselbe Funktion erfüllen beziehungsweise der gleichen Zielsetzung dienen.

Ist diese Voraussetzung erfüllt, muß der Vertreiber das Gerät auch dann zurücknehmen, wenn es nicht von ihm stammt, selbst dann, wenn es kein Markengerät ist. Der Vertreiber braucht beim Neukauf also nicht jedes Gerät zurücknehmen, sondern prinzipiell nur funktionsgleiche Geräte.

Rücknahme im Sortimentsumfang

Allerdings ist der Vertreiber gezwungen, auch Altgeräte in größeren Mengen zurückzunehmen, nämlich solche, die er in seinem Sortiment führt, gleichgültig, ob er neue Produkte verkauft oder nicht. Diese Verpflichtung geht über einen Gerätetausch weit hinaus, denn der Anwender kann auch mehrere Geräte zurückgeben, gemäß ° 4, Absatz 2 des ES-Entwurfes und zwar so viele, wie üblicherweise im Rahmen der Ersatzbeschaffung oder Modernisierung anfallen, also etwa komplette Client-Server-Systeme. Da nun der Vertreiber auch anläßlich eines Neukaufs zusätzliche Geräte sortimentsbezogen zurücknehmen muß, bildet der Sortimentsumfang die Grenze der Rücknahmeverpflichtung. Der Entwurf enthält damit keine uneingeschränkte Rücknahmeverpflichtung.

Soweit die Rücknahmeverpflichtung jedoch besteht, gilt sie für alle gebrauchten Geräte, unabhängig davon, ob sie der Vertreiber (teilweise) noch selbst verwerten kann oder einer Abfallentsorgung zuführen muß (° 5, Seite 1 ES-Entwurf). Im letzten Fall ist der Vertreiber dazu verpflichtet, die zuständige Behörde einmal jährlich über Verbleib und Behandlung der Geräte zu informieren (° 5, Seite 2).

Ein System von Annahmestellen

Vertreiber müssen gebrauchte Geräte nicht selbst zurücknehmen, wenn sie sich an einem gemeinsamen branchenbezogenen System von Annahmestellen beteiligen, die in der Nähe einzurichten sind (° 4 Absatz, 3 ES-Entwurf). Anwender können dann auf diese Annahmestellen verwiesen werden.

Die Verordnung sieht eine solche Freistellung aber nur für die Rücknahme außerhalb eines Neukaufs vor, nicht für die Rücknahme bei Neukauf. Weiter gilt diese Freistellung nur gegenüber zurückgebenden Anwendern, nicht gegenüber den Annahmestellen, die ihrerseits die zurückgenommenen Geräte durchaus den Herstellern und Händlern wieder zurückgeben können, wenn diese Vertreibergeräte gleicher Art in Umlauf bringen. Der obengenannte Sortimentsbezug gilt auch zwischen Vertreiber und Annahmestelle als Grenze der Rücknahmepflicht.

Unberührt bleibt das Risiko des Anwenders, Geräte auf eigene Kosten und unter eigener Haftung zu einem Vertreiber oder einer Annahmestelle zu transportieren. Insoweit trifft die Vertreiber zumindest aus der Verordnung keine Haftung.

Hersteller und Händler sind gehalten, Annahmestellen für gebrauchte Geräte einzurichten, die nicht in Zusammenhang mit einem Neukauf zurückgegeben werden. Diese Annahmestellen müssen bei Inkrafttreten der Verordnung am 1. Januar 1994 bereits existieren. Die Verordnung sagt dies zwar nicht eindeutig, jedoch ergibt sich dieser Zeitrahmen aus dem Umstand, daß Vertreiber von einer Rücknahmepflicht ab dem 1. Januar 1994 nur dann befreit sind, wenn sie zu diesem Zeitpunkt eine Beteiligung an eingerichteten Annahmestellen nachweisen können. Bei den bekannten Vorlaufzeiten für Genehmigungsverfahren sollte mit der Planung deshalb möglichst bald, also bereits Anfang 1992, begonnen werden.

Geldbuße bis zu 100 000 Mark möglich

Vertreiber sind laut Verordnung nicht ausdrücklich verpflichtet, sich an entsprechenden Annahmenstellen zu beteiligen. Ohne diese Teilnahme verlieren sie aber ihre Freistellungsmöglichkeit.

Eine bestimmte Form schreibt die Verordnung für die Organisation der Annahmestellen nicht vor. Auch ist nicht ausgeschlossen, daß diese Systeme mit branchenspezifischen zentralen Verwertungs- und Entsorgungseinrichtungen verbunden werden.

Grundsätzlich sind alle Hersteller und Händler berechtigt, an bestehenden branchenspezifischen Systemen teilzunehmen. Wird einem Unternehmer die Beteiligung verweigert, kann dies eine kartellrechtlich unzulässige Behinderung sein, die die Wettbewerbsposition des betroffenen Unternehmens erheblich beeinträchtigen kann.

Die Einrichtung von Annahmestellen bedarf der vertraglichen Absicherung zwischen den beteiligten Unternehmen. Der Vertrag sollte die Rücknahmepflichten, die erforderlichen Transporte und den Betrieb von zusätzlichen Einrichtungen für die Entsorgung von Produkten beziehungsweise auch eine mögliche Annahme von Altgeräten aus Neukauf regeln.

Nimmt ein Vertreiber entgegen seiner Verpflichtung Geräte nicht zurück, führt er diese nicht der gesetzlich erforderlichen Verwertung beziehungsweise Entsorgung zu oder gibt er die notwendige Erklärung zur Entsorgung nicht ab, erfüllt er einen Ordnungswidrigkeiten-Tatbestand, der zu einer Geldbuße bis zu 100 000 Mark führen kann (° 18 Absatz 1, Nummer 11, Abfallgesetz).

Produkthaftung zunächst unberührt

Die öffentlich-rechtliche Rücknahmeverpflichtung aus der geplanten Elektronikschrott-Verordnung ist eng mit der zivilrechtlichen Haftung der verpflichteten Unternehmer aus Produktvertrieb verknüpft. Diese Verknüpfung ist bisher allenfalls ansatzweise geklärt, hat aber bereits jetzt erkennbare und erhebliche praktische Konsequenzen.

Zunächst bleiben bestehende produkthaftungsrechtliche Verpflichtungen von Herstellern und Händlern unberührt. Dies gilt auch für die Pflichten zur Produktbeobachtung, Warnung und Durchführung eventueller Rückrufe.

Der Rückruf von Elektronikprodukten ist im DV-Bereich eher selten, im Haushaltsgerätebereich aber keine Ausnahme. Generell stellt sich für alle Bereiche die Frage, ob die Rücknahme von Altgeräten im Rahmen der Produkthaftungsversicherung als Rückruf versicherbar ist. Grundsätzlich wird dies zu verneinen sein.

Nach der Verordnung sind Geräte unabhängig davon zurückzunehmen, ob von ihnen eine Gefährdung ausgeht. Haftungsrechtliche Rückrufe sind hingegen bei Bestehen einer Gefährdung auch dann erforderlich, wenn der jeweilige Anwender noch keine Rückgabe plante. Die allgemeine Rücknahmepflicht aus der Verordnung und produkthaftungsrechtliche Rückrufverpflichtungen sind also zwei unterschiedliche Sachverhalte.

Eine Verletzung der Rücknahmepflicht aus der Verordnung führt damit keineswegs zwingend zu einer Produkthaftung des Vertreibers, während umgekehrt aus der Produkthaftung des Vertreibers keine allgemeine Rücknahmepflicht ableitbar ist.

Den Vertreiber treffen Verkehrssicherungspflichten im Sinne von ° 823 Bürgerliches Gesetzbuch auch bei Rücknahme der Geräte vom Anwender oder von Annahmestellen sowie bei Wiederverwertung und Abfallentsorgung. Dies führt zu einer nicht unbeträchtlichen Ausweitung der bereits bestehenden Produkthaftung von Herstellern und Händlern.